Buchrezensionen

Angelika Steinmetz-Oppelland: Der Pfau aus Glas. Christbaumschmuck aus dem Thüringer Wald, VDG Weimar 2016

Kleine Preziosen sind sie und trotzdem werden sie oft verlacht: Die Figürchen und Kugeln, die jedes Jahr im Advent aus ihren Kisten geholt und an die Weihnachtsbäume der Nation gehängt werden. Überall verfügbare Massenware, Plastikschmuck und Co. lassen aber oft vergessen, dass hinter dem Baumschmuck aufwendiges Kunsthandwerk steht. Die Figürchen aus dem Thüringer Wald aber sind echte Handarbeit und verbergen einen aufwendigen Fertigungsprozess. Ein neues Büchlein widmet sich ihnen. Stefanie Handke hat es gelesen.

Dabei nutzt der moderne Glasbläser einen Glaskolben, den er ausbläst – entweder als Kugel oder als sogenannte Formsache oder Ornament, also eine der zahlreichen kleinen Figürchen. Die hierfür verwendeten Formen sind zum Teil mehr als 100 Jahre alt und werden wie ein Schatz gehütet. Aber auch neue Formen werden immer wieder entworfen und genutzt. Im Anschluss wird mithilfe einer Silbernitratlösung Silber an die Innenwand der Figur gebracht und erst in einem dritten Schritt erfolgt die Farbgebung: Oft steht am Anfang die farbige Grundierung, der weitere Bemalung oder die Verzierung mit Glitter folgen. Daneben gibt es faszinierendes »Beiwerk«: die sogenannten leonischen Drähte umspinnen die faszinierenden Formen, Glasfasern (die auch Ausgangsprodukt für Glaswolle sind) bereichern die kleinen Skulpturen oder bilden Flügel und Schwanzgefieder kleiner Vögel.

Die Geschichte der Glasbläserei in Thüringen ist lang; bereits im Mittelalter stellten sogenannte Waldglashütten Kelche und Becher her, die heute durch ihre grüne Farbe berühmt sind. Grundherren siedelten die lukrativen Glashütten an, die mit umfangreichen Privilegien ausgestattet wurden. Ab 1597 konnte auch Lauscha eine solche Glashütte vorweisen, die Glaskelche für die herrschaftliche Hofhaltung herstellte, später aber auch Gefäße für die Olitätenhersteller der Umgebung sowie Glasrohre, die wiederum Grundlage für Herstellung von Christbaumschmuck sein sollten. Mit der Eröffnung eines zentralen Glaswerks in Lauscha waren alle Voraussetzungen für die Entwicklung des Lauschaer Christbaumschmucks endlich beisammen: ausreichend Rohstoffe und eine zentrale Vorproduktion, ein großer Bestand an Heimarbeitern, eine zentrale Lage sowie ein Vertriebsnetzwerk u.a. zu den Sonneberger Spielzeughändlern. Erst im 19. Jahrhundert aber ging der Trend hin zum für uns heute selbstverständlichen Christbaumschmuck Zunächst als »Glasspielwaren« vertrieben, wurde »Christbaumschmuck aus Lauscha« zu einem Markenzeichen für echte Qualität und schon um 1880 exportierte man in die USA, aber verkaufte auch an den bürgerlichen Haushalt in Deutschland – Christbaumschmuck wurde ein massenhaft hergestelltes Konsumgut. Bis in die Mitte des 20. Jahrhunderts hinein blieb die Heimarbeit Normalität und erst in der DDR wurde Glasbläser ein sicherer und gut bezahlter Beruf, während auf der anderen Seite der innerdeutschen Grenze die Konkurrenz durch maschinengeblasene Kugeln bereits spürbar wurde. Mit der Wiedervereinigung standen die Glasbläser vor neuen Herausforderungen; einige Glasbläser eröffneten eigene Werkstätten, aber ein Teil des ehemaligen VEB wurde auch privat weitergeführt. Heute gibt es etwa 20 Hersteller, Handwerksbetriebe und Handwerker im Thüringer Wald, die mit zwei bis zu 100 Mitarbeitern Christbaumschmuck produzieren. Sie sehen ihre Zukunft vor allem in der Sparte des Kunsthandwerks, setzen auf alte wie auch auf kreative junge Formen, die sie an Liebhaber verkaufen, die den Wert der in kleinen Stückzahlen traditionell hergestellten Preziosen zu schätzen wissen.

Ihre Formenvielfalt ist beachtlich und die klassische Kugel ist noch die am wenigsten aufwendige. Sie sind sehr wahrscheinlich die ältesten Baumdekorationen. Ihre Steigerung erfährt sie in den sogenannten Reflexen; dabei wird zumeist mit einem Stempel die ausgeblasene Kugel noch einmal eingedrückt und so ein faszinierender Lichteffekt erzielt. Aber auch blasen kann man diese Formen. Oft werden diese Reflexe dann noch einmal farbig abgesetzt. Den einfach ausgeblasenen Kugeln folgten wohl Früchte als Formen, als man dazu überging, echte Äpfel, Nüsse und Zapfen durch dekorative Kopien zu ersetzen. Vielen gelten sie als die ursprünglichsten Formen; wer zuerst solch figürlichen Schmuck entwickelte, ist aber unbekannt. Eines ist aber gewiss: Lauschaer Hersteller waren die ersten, die solche Formen anboten.

Daneben gibt es zahlreiche andere Formen: Christbaumspitzen und ihre Verwandten, die ebenfalls an den Baum gehängt werden können. Die sogenannten Ornamente bestechen durch ihre Vielfalt: Es gibt Himmelskörper wie Monde und Sterne, Früchte und Zapfen, Tiere, Weihnachtsmänner und Nikoläuse, Engel, alte Spielzeugfiguren und natürlich auch trendabhängige Figürchen. Letztere können Gimmicks sein wie Fußballkugeln und Fesselballons, Kuckucksuhren oder Nussknacker. Fraglich ist ihre Interpretation als ikonografische Reminiszenz an den christlichen Ursprung des Weihnachtsfestes. Ganz im Gegensatz dazu stehen Engel, bei denen sich zuweilen auch Anlehnungen an Votivbilder erkennen lassen. Tiere dagegen erinnern an menschliche Eigenschaften; Vögel im speziellen dagegen gehören einfach in einen Baum – ihre Schwanzfedern können aus Glasfäden sein, aber auch aus echten Vogelfedern, die Spechte, Meisen oder auch Pfauen können naturgetreu nachgebildet, aber auch fantasievoll ausgestaltet sein. Nicht vergessen werden dürfen natürlich Weihnachtsmänner, Nikoläuse und ihr düsterer Vetter Knecht Ruprecht. Insbesondere der amerikanische Santa Claus, der ungefähr so alt ist wie der Lauschaer Christbaumschmuck, ist eine fröhlich-bunte Figur mit roten Kleidern, buntem Spielzeug, die auch für den modernen europäischen Weihnachtsmann Pate stand.

Die meisten dieser bunten Kugeln und Figürchen sind regelrecht kitschig; bunt und glitzernd bevölkern sie die Weihnachtsbäume der Welt und stehen wie kaum eine andere Dekorationsform für biedermeierliches Brauchtum, für veraltete Schönheitsvorstellungen und gefühlsduselige Glitzerwelten. Die Diskussion um Kunsthandwerk und Massenprodukt ist dabei nicht neu; schon in der Zeit um 1900 gab es Entwürfe für einen »Stilbaum« mit zurückhaltenden Farben und fantasievollen Formen aus industrieller Herstellung. Andere Glasbläser setzten dagegen bewusst auf kleine Serien mit unverspiegeltem Schmuck aus klarem, aber auch farbigem Glas, den man schwerlich als volkstümlich bezeichnen kann. Auch Wilhelm Wagenfeld versuchte sein Glück, mit neuen Entwürfen nach der Weltwirtschaftskrise die wirtschaftliche Lage der Glasbläser zu verbessern.

Dies sind nur zwei Beispiele dafür, wie sehr Christbaumschmuck auch den Zeitgeist widerzuspiegeln vermag. Gleichzeitig ist der Christbaumschmuck immer aktuellen Trends unterworfen; neue Farben finden ihren Weg an die Bäume, aber auch aktuelle Themen spiegeln den Zeitgeist wider: Zeppeline, Panzer und Büsten Kaiser Wilhelms oder Bismarcks fanden sich schon an Bäumen wieder, Fußbälle gibt es da, Teddybären und Schneemänner und auch die amerikanische Nachfrage nach der mystischen Weihnachtsgurke wird bedient. Ja, auch Liebhaber alter Formen suchen gezielt nostalgischen Christbaumschmuck und historisch bezeugte Kreisel, Tropfen, Reflexe und ähnliches. Nach wie vor erfreut sich der mundgeblasene Christbaumschmuck großer Beliebtheit und kann vor allem dank dem Interesse an regional hergestellten, handwerklichen Produkten wieder auf eine wachsende Fangemeinde setzen. Dass er dabei seinen Ruf als kitschige Dekorationsform verliert, ist zu bezweifeln. Aber mit ihrem Buch beweist Angelika Steinmetz-Oppelland, dass Christbaumkugeln nicht nur glitzernder Nippes sind, sondern hinter ihnen eine traditionsreiche Produktionsform ebenso wie eine regelrechte Kulturgeschichte steht. Vielleicht vermag dieses Buch also, den Blick auf diese besondere Kunstform als originäre Technik zu lenken.

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