Buchrezensionen

Anna Grosskopf: Die Arbeit des Künstlers in der Karikatur. Eine Diskursgeschichte künstlerischer Techniken in der Moderne, transcript Verlag 2016

Karikaturen können vieles: Politik verständlich machen, gesellschaftliche Probleme kritisieren, aktuelle Diskussionen bereichern – und Künstler auf's Korn nehmen! Genauer gesagt, deren künstlerische Techniken. In diesen Karikaturen aber lassen sich zahlreiche Hinweise auf die Arbeitsweise der Karikierten finden. Anna Grosskopf hat diesen Blick auf künstlerische Techniken untersucht. In ihrem Buch hat Spunk Seipel zahlreiche spannende Diskurse entdeckt.

Ein Fechtkämpfer steht dynamisch vor einer wandfüllenden Leinwand und fertigt mit wenigen Hieben ein abstraktes Gemälde. Diese 1955 im New Yorker erschienene Karikatur von Anatol Kovarsky ist symptomatisch für die Darstellung des Künstlers in der Karikatur: Ein sich als Genie selbstinszenierender Mann, der mit großer Geste und wenig Mühe etwas schafft, was nicht unbedingt als Kunst erkannt werden kann. Der Karikaturist indes macht sich mit wenigen Strichen über den schnellmalenden Künstler und seine Arbeit lustig.

Die Kritik an dieser Praxis beruht auf einer jahrhundertealten Tradition und auch der Vergleich von Maler und Fechter ist nicht neu, wie Anna Grosskopf beweist: »Bereits in der Frühen Neuzeit wurde die Metapher des Fechtens gebraucht, um die schnelle, virtuose Malpraxis, die bravura, Tintorettos zu beschreiben.« (S.240) In der Karikatur wird der Typus des Künstlers, dem zugleich auch eine gewisse Faulheit, eine handwerkliche Nachlässigkeit und ein überzogenes Selbstbild unterstellt wird, immer wieder zur Witzfigur. Die Skepsis gegen jede Neuerung in der Kunst wird so zum Ausdruck gebracht.

Arbeit der Künstler. Trotz einiger Verweise auf die Renaissance untersucht sie in ihrer Dissertation vor allem Karikaturen seit der Mitte des 19. Jahrhunderts bis in die 1960er Jahre hinein. Der geographische Schwerpunkt liegt auf Frankreich, England, Deutschland und nach 1945 auch der USA. Es ist der Zeitraum, in dem das klassizistische Kunstideal von Romantik und Realismus abgelöst wurde, was schließlich bis zu Action Painting, Tachismus und monochrome Malerei führte. Bei vielen Menschen riefen diese Techniken ein ebenso unverständiges Kopfschütteln hervor wie die Impressionisten und viele andere Neuerer in der Kunst.

Besonders der Impressionismus und abstrakte Tendenzen hatten es den Karikaturisten angetan, wie Grosskopf beweisen kann, während andere Kunstströmungen, wie zum Beispiel der Dadaismus, kaum Anlass für Karikaturen boten. Hier war der Arbeitsstil des schnell malenden Künstlers im Freien häufiger Ausgangspunkt des Spottes. Es ist zwar bekannt, wie schockierend die Pleinairmalerei für Zeitgenossen gewesen sein muss, doch die zeitgenössischen Karikaturen lassen diesen »Schrecken« besonders deutlich und verständlich werden. Ob das in Zusammenhang mit der allgemeinen Rezeption der Kunststile steht, diese Frage beantwortet die Autorin nicht, wenngleich sie aber eine Untersuchung wert gewesen wäre und die ansonsten gründliche Forschungsarbeit der Autorin bereichern würden.

Mit ihrem geographischen und historischen Schwerpunkt folgt Grosskopf der noch immer dominanten Kunstgeschichtsschreibung von Kunstzentren und klar unterscheidbaren Kunststilen. Das mag auch praktische Gründe haben, denn mit einer großen Menge an Primär- und Sekundärliteratur ist die Arbeitsgrundlage hier besonders groß. Kunsthistoriker haben sich immer wieder mit der Karikatur über Kunst als Hilfsmittel für ein besseres Verständnis der kunsthistorischen Entwicklungen beschäftigt. Lediglich auf die Karikaturen der Nationalsozialisten und reaktionären Rechten sowie der radikalen Linken hat die Autorin in ihrer Untersuchung verzichtet nachvollziehbar ist, da dies ein sehr spezielles Thema ist. Tatsächlich gelingt es Grosskopf Kämpfe zwischen Generationen von Künstlern und Kritikern, zwischen unterschiedlichen Auffassungen von Kunst auf äußerst vortreffliche Weise mittels der Karikatur darzustellen und zuweilen viel verständlicher zu machen, als es der Kunstgeschichte sonst gelingt.

Da zahlreiche Karikaturen heute nicht mehr witzig wirken, müssen sie durch eine detaillierte Einordnung der Autorin erklärt werden. So entwickelt sich ein Verständnis für die Geschichte der Kunst und vor allem die Reaktion auf künstlerische Innovationen. Ein Nachteil ist, dass manche der Karikaturen dabei zu klein oder zu schlecht wiedergegeben werden und zuweilen entscheidende Bilddetails nur schwer erkennbar sind. Das schmälert das Lesevergnügen merklich und für Kollegen bedeutet dies unter Umständen zusätzliche Recherchearbeit nach besseren Reproduktionen.

Grosskopf gliedert ihr Buch, anders als die meisten Autoren, nicht nach Epochen oder Stilen, sondern nach den künstlerischen Techniken. So entstehen zwar auch Wiederholungen im Text, wenn sie Probleme, wie zum Beispiel das »Schnelle Malen« in Kapiteln wie »Termindruck und Zeitnot« und ebenso, wenn auch unter anderem Blickwinkel, in Kapiteln wie »Die Faulheit des Landschaftsmalers« oder »Farbwürfe, Atelierunfälle, Automatismen« behandeln muss. Doch der Vorteil liegt auf der Hand: Es entsteht das interessante Bild, dass sich die Karikaturisten, und mit ihnen wahrscheinlich die breite Bevölkerung, immer wieder über dieselben Erscheinungen in der Kunst lustig machten. Unabhängig vom Stil, die Reaktion bleibt gleich. Mit jedem neuen Stil wirkt der vergangene verständlicher, das Neue wird in der Karikatur angegriffen. Wobei die Karikatur nicht ausschließlich die Innovationen angriff, sondern durchaus auch die konservativen Salonmaler oder Großkünstler wie Reinhold Begas, einem Liebling von Kaiser Wilhelm II, der für seine Massenproduktion berüchtigt war.

Obwohl, oder gerade weil die Autorin so viele Beispiele vorgelegt hat, lassen sich Stereotypen über Ländergrenzen und Zeiten hinweg entdecken – viele dieser Karikaturen, wiederholen sich. Oft genug kopieren sich die Karikaturisten gegenseitig. Es hat etwas entlarvendes, wenn Karikaturisten den Künstlern das Kopieren von Ideen vorwerfen, ihre Bildideen aber selbst Kopien sind. So haben Bertall, Nadar oder Valere Morland eine Bildidee von Honoré Daumier kopiert, der zeigt, wie Künstler auf dem Weg zur Abgabe ihres Werkes im Salon aufgrund des hohen Termindrucks noch die letzten Pinselstriche setzen. (S.43ff.)

Apropos Daumier: Viele Karikaturisten waren selbst als Künstler tätig. Allen voran Honoré Daumier. Oft bezieht sich der Karikaturist zudem nicht nur auf Klischees, sondern kommentiert tatsächliche Vorkommnisse. Die eingangs beschriebene Karikatur etwa war ein Kommentar zu einem Dokumentarfilm über Georges Mathieu. Darin steht der französische Künstler wie ein Fechter vor einer wandfüllenden Leinwand und malt mit Pinselhieben wie Degenstöße ein Bild, dass nicht jeder gleich als große Kunst erkennen muss, obwohl der Künstler sich alle Mühe gibt, die erwartete Attitüde des Künstlers beim Arbeiten zu erfüllen.

In der Wahrnehmung der Künstler entdeckt man durchaus Widersprüche. Mal wird gegen ihre Faulheit, dann wieder gegen ihre geradezu industrielle Produktion gewettert. Dass auf diese Weise auch heute noch gängige Vorurteile gegen die Künstler und ihre Arbeit aufgedeckt werden, ist einer der Pluspunkte dieses Buches. Eine eingehende Analyse einzelner Karikaturen und in der Gesamtschau ihrer Funktion im gesellschaftlichen und künstlerischen Kontext unterlässt die Autorin jedoch.

Anna Grosskopf hat einen hervorragend recherchierten Band vorgelegt. Sie rückt längst vergessene Künstler, etwa die Salonmaler Charles Chaplin und Horace Vernet, wieder ins Licht der Rezeption, oder zeigt das komische Potential und die Wucht der Kritik, wenn Karikaturisten Tiere Kunst produzieren lassen. Das kann mein Hund auch, denkt sich mancher, wenn er oder sie Kunst sieht. Noch näher liegt es, sich mittels Affen über die Kunstwelt lustig zu machen. Künstler wie Jean Siméon Chardin oder Gabriel von Max werden mit ihren Gemälden so zu Karikaturisten. Letzterer macht sich mit seinem berühmten Gemälde »Affen als Kunstrichter« nicht über die Künstler, sondern die Kunstrichter lustig. 1957 wurden im Institute of Contemporary Art in London Malereien von Affen gezeigt. Zu den Käufern zählten Kunstkritiker wie Herbert Read aber auch Pablo Picasso. Die Skepsis gegen jede moderne Kunst wurde dadurch bestätigt: Ein gefundenes Fressen für die Karikaturisten.

Kunstskandale, Experimente und auch abwegigere Anekdoten aus der Kunstwelt werden in diesem Buch der Vergessenheit entrissen und machen es so auch für jene wichtig, die sich nur am Rand für Karikaturen interessieren.

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