Buchrezensionen

Dino Heicker: Manet, ein Streit und die Geburt der modernen Malerei. Ein Lesebuch zum Pariser Salon von 1865, Parthas 2015

Er ist längst schon aktenkundig: der Skandal rund um die Olympia von Edouard Manet im Salon von 1865. Es handelte sich zugleich um einen frühen Medienhype der Geschichte, denn die Empörung über das Gemälde verbreitete und multiplizierte sich aufgrund der zahlreichen Kunstkritiken, die sich über Wochen hinweg an Manet abarbeiteten. Wer aber waren sie, diese Lästermäuler, die sich weigerten, eine der großen Inkunabeln der modernen Malerei als solche zu erkennen? Ulrike Schuster hat sich in Dino Heickers Buch über den Hype vertieft.

Dino Heicker, er ist Übersetzer und Lektor des Berliner Parthas Verlags, bringt sie noch einmal vor den Vorhang. Er präsentiert eine Auswahl an Originaltexten und erläutert vor allem auch die genaueren Umstände der Zeit, wodurch sich so manches durchaus in einem anderen Licht darstellt.

Die Kritiken zu den Ausstellungen des Salons blickten in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bereits auf eine lange Tradition zurück, die in die Tage Diderots zurückreichte. Das Paris der Belle Epoque besaß zudem eine überaus reiche Medienlandschaft. Laufend wurden neue Zeitungen und Zeitschriften gegründet, vielen von ihnen war nur ein kurzfristiges Dasein beschieden, andere wiederum konnten sich bis in die Gegenwart behaupten. Äußerst populär waren auch damals schon die Satireblätter mit ihren griffigen Karikaturen! Unabhängig vom Medium jedoch zählten Witz und geistreiche Pointen, geschliffene Bonmots und satirische Spitzen zum Tagesgeschäft. Bei aller Spottlust waren politische Themen allerdings strikt tabu. Umso mehr konzentrierte man sich auf Personen des öffentlichen Lebens. Die Kunstausstellungen kamen da gerade recht, und wer da meint, die »angepassten Künstler« wären in der Kritik gnädiger weggekommen, der irrt gewaltig: ihnen wurde ihr Mittelmaß vorgeworfen.

In diesem Umfeld also brach der Skandal um Olympia sich Bahn. Manet war im Jahr 1865 kein Unbekannter mehr, denn bereits zwei Jahre zuvor hatte sein Gemälde »Le Dejeuner sur l’herbe« für erheblichen Wirbel gesorgt. Es bestand jedoch ein gewaltiger Unterschied: der Manet von 1863 befand sich im sogenannten Salon de Refusés, wo ein Teil der von der offiziellen Salonjury nicht angenommenen Werke zu sehen war. Für den Salon von 1865 jedoch war die Trennung in offizielle und abgelehnte Künstler aufgehoben. Eine unglaubliche Menge von 3559 Gemälden, Zeichnungen, Radierungen und Skulpturen wurde der Öffentlichkeit präsentiert. Manet war mit zwei eingereichten Werken vertreten. Das zweite, weitaus weniger bekannte Werk zeigte ein religiöses Sujet, »Jésus, insulté par les soldats«. Es stand ebenfalls hart in der Kritik, da man sich am ungeschönten Realismus der Soldatenfiguren stieß. Olympia aber stahl allen anderen die Schau, stellte sogar den bisherigen »Skandallieferaten« Gustave Courbet in den Schatten.

Der Sturm der Entrüstung brauchte zuerst ein wenig Anlaufzeit, anfangs dominierten eher mokierte Kommentare: »Es ist unmöglich, Ihnen zu beschreiben, wie komisch die Formen dieser kleinen weißen Frau sind. Die Modellierung des Oberkörpers und die Anordnung der Linien der Figur insgesamt bergen wahre Schätze an Heiterkeit...« (Louis Leroy). Die Dargestellte freilich wurde von den Zeitgenossen zweifelsfrei als Kurtisane dechiffriert und auch sonst widersprach allzu vieles den gängigen Konventionen. Vor allem irritierte die Neuartigkeit der Malweise Manets. Er setzte auf starke Gegensätze von hell und dunkel und tauchte seinen Akt in ein ungewöhnlich grelles Licht, ein Beleuchtungsszenario, wie man es bis dato nur von den öffentlichen Sezierungen in der Anatomie kannte. Prompt fehlte es nicht an entsprechenden anschaulichen Vergleichen: »Ihr Leib weist die fahle Färbung eines im Leichenschauhaus aufgebahrten Leichnams auf.« (EGO) »Diese Olympia aus der Rue Mouffetard, am gelben Fieber gestorben und bereits in einen Zustand fortgeschrittener Verwesung übergegangen.« (Geronte).

In einem denkbar scharfen Kontrast dazu standen die breiten schwarzen Körperkonturen, was sich in wohlmeinenden Worten noch so ausnahm: »Es genügt nicht, an gewissen Stellen Schwarz zu verwenden, um Wirkung zu erzielen, diese Schwarztöne müssen auch gerechtfertigt sein.« (Félix Jahyer) Andere nannten es einfach nur eine »Dreckkruste« (Louis de Laincel) oder sprachen von einem »schwarz umrandete(n) Skelett in einer Zwangsjacke aus Gips« (A.-J. Lorentz). Der Karikaturist Bertall spottete: »Alle bewundern diese schöne Kohlenhändlerin, deren keusche Konturen noch nie mit Wasser, dieser banalen Flüssigkeit, in Berührung kamen.«

Das Publikum stieß sich ebenso an der schwarzen Dienerin und dem »in Papier gewickelte(n) Blumenstrauß«. Der letztere wurde als zweideutiges Detail aufgefasst und forderte den Vergleich zu einem zeitgenössischen Spottlied heraus, dessen Refrain lautete: »Wie das einem Blumenstrauß gleicht!« Mehr als alles andere jedoch – und dies mag aus heutiger Sicht durchaus verblüffen – erregten sich die Gemüter über die Darstellung der schwarzen Katze am rechten Bildrand, die »einen Buckel macht und mit ihren Pfoten dem Laken die unmissverständlichen Spuren jenes Ortes aufgedrückt hat, von dem sie gerade kommt.« (Vincent de Jankovitz) Die Katze, in jenen Tagen ohnehin kein bildwürdiges Thema, verwies auf dunkle Vorstellungen von Hexensabbat und schwarze Romantik, so Heicker. In Union mit der dunkelhäutigen Zofe und dem anzüglichen Blumenstrauß stand das Tier für zügellose Sexualität.

Abgesehen von der Neuartigkeit des Sujets formierte sich eine breite Front der Ablehnung gegen den sogenannten Realismus, dem Manet in der zeitgenössischen Kritik zugerechnet wurde. Ganz allgemein wurde viel vom Niedergang der Künste gesprochen, man verurteilte die Effekthascherei und die Exzentrik der jungen Künstlergeneration – und fand dennoch keine Zufriedenheit im Konventionellen. Man liest zwischen den Zeilen zuweilen fast so etwas wie eine verzweifelte Sinnsuche heraus, als hätte die Zeit ihr Kunstideal verloren. An dieser Stelle sei bemerkt, dass es unter den Kritikern viele gab, die selbst als Intellektuelle, Künstler und Schriftsteller tätig und keineswegs borniert waren. Persönlichkeiten wie Théophile Gautier senior, hatten selbst einst auf der Seite der Avantgarde gestanden und die Kunst der jungen Romantiker gegen die Anwürfe der Akademiker verteidigt.

Gautier und viele andere ahnten durchaus die Kraft der im Erwachen begriffenen Moderne, auch wenn die Zeichen irritierten: »Diese Rothaarige ist von einer vollendeten Hässlichkeit. Ihr Gesicht ist dumm, ihre Haut leichenfahl. Sie hat keine menschliche Gestalt...Das Weiß, das Schwarz, das Rot, das Grün veranstalten einen Heidenlärm auf diesem Gemälde. Die Frau, die Schwarze, der Blumenstrauß, die Katze, dieses ganze Tohuwabohu disparater Farben und unmöglicher Formen nimmt ihren Blick gefangen und verblüfft Sie.« (Félix Deriège) »Wie viele akademische Machwerke, jämmerliche Schinken, dumme oder törichte Zusammenstellungen kommen doch auf eine, in all ihrer lächerlichen Beschaffenheit unschuldige Olympia von Monsieur Manet.« (Jean Ravenel)

Und schließlich gab es, zwischen Tadel, Spott und Anwürfen auch verhaltenes Lob: »In seiner Olympia kommen trotz einer absichtlichen Trivialität und beinahe wider seinem Willen seine angeborenen Qualitäten als Maler zum Vorschein.« (Mathurin de Lescure). Einen ersten vehementen Verteidiger fand Manet in Person eines damals 22-jährigen Kunstkritikers namens Louis de Gonzague-Privat, der sein Essay übertitelte mit dem markigen Slogan: »Platz da für die Jungen!« Zwei Jahre später schließlich wagte Emile Zola das Unerhörte und sprach das große Wort gelassen aus: ein Meisterwerk! Der letzte Abschnitt in Heickers Buch behandelt die Rezeption des Bildes zwischen 1866 – 1912, jener Zeit, als Manets Olympia sich langsam aber sicher ihren Platz in der Kunstgeschichte eroberte.

Fazit: Es ist tatsächlich ein informatives und vergnügliches Lesebuch, das Heicker vorlegt. Seine Textauswahl vermittelt tiefe Einblicke in das Kunstempfinden des 19. Jahrhunderts und lässt die Rezensentin auch ein wenig nachdenklich zurück: denn leidenschaftliche Kunstdiskussionen, wie in der vorliegenden Form, finden heute kaum noch statt. Zu groß ist einerseits die Sorge, sich durch unqualifizierte Äußerungen unsterblich zu blamieren (was den Kritikern von 1865 ja auch tatsächlich wiederfahren ist). Zu eng andererseits die freiwillige Selbstabschottung im heutigen Kulturbetrieb, wo sich der Diskurs zumeist auf einen kleinen handverlesenen Kreis von Insidern beschränkt. Zeitgenössische Kunst von heute wird hauptsächlich im geschützten Raum von Museen und Galerien rezipiert – unbehelligt, aber auch weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit. Ob es nicht doch eine Option wäre, sich ein wenig wieder der Außenwelt zu öffnen? Auch im Sinne der Kunst.

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