Ausstellungsbesprechungen

Anselm Kiefer – Ausgewählte Arbeiten aus der Sammlung Grothe, Museum Frieder Burda, Baden-Baden, bis 5. Februar 2012

Anselm Kiefer ist eine wichtige Größe in der Kunstszene der Nachkriegszeit. Seine Werke haben nicht nur nationalen Ruhm erlangt, sondern können sich auch auf internationaler Ebene beweisen, wie seine Auftritte auf zahlreichen Kunstausstellungen wie die documenta oder die Biennale zeigen. Das Museum Frieder Burda in Baden-Baden präsentiert nun einige Prachtstücke Kiefers. Gönnen Sie sich zu Jahresbeginn diesen Diamanten der deutschen Ausstellungslandschaft! Günter Baumann hat sich für Sie umgesehen.

Der Titel der Ausstellung im Museum Frieder Burda ist nüchtern gewählt und zielt genau auf das, was in Baden-Baden zu sehen ist, doch pflegt er eine Form der Bescheidenheit, die nach einer subjektiven Kontradiktion verlangt: »Ausgewählte Arbeiten aus der Sammlung Grothe« verspricht einen Einblick in ein Segment einer Privatsammlung – in den ehrwürdigen Hallen eines anderen Sammlers. Kurzum, es wird durchaus sympathisch heruntergespielt, dass es hier um eine der bedeutendsten privaten Sammlungen eines Malers geht, der den Ruf eines der wichtigsten Gegenwartskünstlers genießt.

Die personalen Hintergründe geben der großartigen Schau ein noch größeres Gewicht. Der Unternehmer Hans Grothe (geb. 1930) zog sich nach der Jahrtausendwende aus seinen Geschäften zurück und veräußerte seine Kunstsammlung, um sie als nahezu Ganzes zu erhalten, bevor die sogenannte Nachwelt die Arbeiten in alle Winde zerstreuen würde. Nur die rund 30 großformatigen Werke Anselm Kiefers, die sich allen heimischen vier Wänden schon wegen ihrer Maße und ihrer schwerwiegenden, privat- und gesellschaftsmythologischen Sujets verweigern, behielt Grothe. »Ich wusste, ich würde Heimweh nach meiner Sammlung kriegen«, bekannte der Sammler, »und Heimweh kann ich am besten ertragen, wenn man noch ein Stück von dem hat, wonach man sich eigentlich sehnt«. Tiefste Wehmut, die man aus den Arbeiten Kiefers herausliest, stößt hier auf Heimweh. Im Museum zeigt eine Privatperson faktisch eine Auswahl seiner Sammlung, es ist aber auch ein Teilaspekt seines Denkens und Fühlens, seiner privaten Sehnsüchte und dem Bewusstsein überpersönlicher Verwurzelung – denn die ist das Grundanliegen des künstlerischen Schaffens von Anselm Kiefer, des tiefgründigsten und möglicherweise auch sinnlichsten Malers bzw., wenn man so will, Objektkünstlers oder auch Bilderzählers der Gegenwart.

Die Auswahl schöpft aus einem Werk, das sich nicht mit mehr oder weniger zufälligen Einzelstücken dieses Schaffens begnügen muss: Die Ausstellung glänzt durch atemberaubende Beispiele aus der christlich-jüdischen und antik-mythischen Tradition, die das Kiefersche Thema deutscher Vergangenheitsbewältigung in den Hintergrund treten lässt, sieht man von dem monumentalen Holzschnittwerk »Wege der Weltweisheit: Die Hermannsschlacht« oder dem melancholisch-poetischen Bild »Böhmen liegt am Meer« ab – das letztgenannte Werk ist eines der Herzstücke in der Sammlung Burda, welches die Kiefer-Schau noch bereichert.

Nicht unerwähnt darf bleiben, dass die Baden-Badener Ausstellung die größte Werkschau des Künstlers in seiner (weiteren) Heimatregion seit seinem Umzug nach Frankreich 1993 ist – der 1945 in Donaueschingen geborene Anselm Kiefer wuchs in Ottersbach und Rastatt auf und studierte in Freiburg und Karlsruhe. Das unterstreicht noch die faszinierende Fülle der Positionen, gerade bei diesem Künstler, der in der Museumslandschaft allgegenwärtig zu sein scheint. Der Grund für die Omnipräsenz ist zum einen die internationale Würdigung; jüngst richtete die Fondazione Emilio e Annabianca Vedova zur Zeit der Biennale in Venedig eine große Ausstellung ein, und das Rijksmuseum zeigte seine – durchaus eigenwillige – Auseinandersetzung mit Rembrandt. Zum anderen ist Kiefers Stil so einmalig, dass man seine Arbeiten leicht verinnerlicht; so finden sich im Erinnerungsspeicher zahlreiche in pastos auf die Leinwand gehäufte Gemälde, die nicht nur mit Stroh, Draht, Erde, Beton und anderen Materialien kombiniert, sondern auch noch den elementaren Kräften Wind, Wetter und Feuer ausgesetzt worden sind. Die farb- und materialreichen Arbeiten machen nicht nur den Gehalt des Werks schwergewichtig – die Großformate bringen mehrere hundert Kilos auf die Waage.

Kunst und Natur sind oftmals eins, wobei es Kiefer weniger um ein allzu gefälliges Eins-Sein mit der Natur geht als um die drastische Unmittelbarkeit im tiefenpsychologischen, postromantischen Sinne. Die Megaschau in Baden-Baden lässt drei Jahrzehnte Revue passieren, hat aber auch Unbekanntes oder weniger Bekanntes zu entdecken. Premiere in Deutschland hat etwa das fast 5 auf 8 Meter messende Gemälde »Der fruchtbare Halbmond«, das die Tradition des babylonischen Turmmotivs aufgreift. In der monumentalen Bildserie »The Secret of Plants for Robert Fludd« evoziert die Alchemie des englischen Arztes, die sich mit dem Makro- und Mikrokosmos auseinandersetzt, eine unbegrenzt fortführbare Karte des Universums; Kiefer überträgt diese Lehre auf unser globales und kosmisch fortgeschrittenes Zeitalter. Wie die Geheimwissenschaftler von einst hat auch die Kunst Anselm Kiefers ihr Mysterium. »Wenngleich die meisten Bilder menschenleer sind«, so der Kunsthistoriker Dieter Ronte, »kreisen sie doch alle geheimnisvoll um die Entwicklung der Menschheit.« Kiefer legt schonungslos und grenzüberschreitend Schichten im kollektiven Bewusstsein frei. »Das Sichtbarmachen ist sein Thema«, meint Peter Iden, und man könnte hinzufügen: Anselm Kiefer erzählt Geschichte (ohne »n«). Dass dies bei aller Sinnlichkeit keine Sinnstiftung zur Folge hat, ist die melancholisch-düstere Kehrseite der nahezu archäologischen Grabungslust.

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