Ausstellungsbesprechungen

Aus der Eröffnungsrede: Eckart Hahn – Schere Stein Papier, Galerie Schlichtenmaier Stuttgart, bis 14. Januar 2017

Ein wenig an Dalí gemahnen die fantastischen Bilder Eckart Hahns, die in diesen diesen Tagen die Galerie Schlichtenmaier verschönern. Aber Hahns Werk ist mehr als nur surreal, es ist wohl durchdacht, manchmal geradezu fotografisch und letztendlich doch fantastisch. Surrealismus 4.0? Günter Baumann zeigt sich in seiner Eröffnungsrede tief beeindruckt von den wunderbaren Bildern.

(…) Eckart Hahns Arbeiten geben Rätsel auf, die nur eine Gewissheit vermitteln: die, dass nichts gewiss ist. Er erzählt Geschichten, deren Pointe wir zu kennen glauben, die der Künstler uns aber im Grunde nie verrät. Oder er legt Fährten zur Deutung aus, die den Betrachter auf Abwege führen, die kein Richtig oder Falsch kennen. Wie im echten Leben geht es auch in der Kunst vielschichtig und nicht unbedingt monokausal zu. So viel sei verraten: Eckart Hahns Werke sind kalkuliert, gehen von einer klaren Vorstellung aus – das lateinische Wort calculus verweist auf ein mathematisch-logisches und zugleich auf ein spielerisches Moment des Denkens, das unsere Wahrnehmung bestimmt: Wir neigen dazu, Konstanten, Vorgewusstes, Gewünschtes in dem zu suchen, was wir sehen. Aber wie steht es um die Wirklichkeit? Sind wir ihrer sicher? Wie steht es um die Wahrheit? Wollen wir die Wahrheit wirklich wissen? Spätestens nun, da »postfaktisch« zum Wort des Jahres gekürt worden ist, müssen wir erkennen, dass wir der Wirklichkeit mit rationalen Mitteln nicht mehr beikommen. Damit rechnet Eckart Hahn. Genau genommen rechnet er auch noch den Zufall mit ein, das heißt, die Unkalkulierbarkeit unserer Wahrnehmung, aber auch das paradoxerweise mit Bedacht. Er verwendet Bausteine, die aus dem Alltag, zuweilen auch aus den symbolischen Welten der Kunst, Religion, Mythologie vertraut sind, und fügt sie in irrationalen Kontexten zusammen. Dass er damit einen Nerv unserer Zeit trifft, dürfte unbestritten sein – den großen Zuspruch, auf den Eckart Hahn stößt, spürten wir bereits im Vorfeld dieser Eröffnung, als so manches Bild schon reserviert oder verkauft war, bevor die Einladung zur Ausstellung in die Post ging. Der Künstler erfasst diesen Nerv der Zeit seismografisch. Es liegt ihm fern, mahnend oder belehrend zu sein. Aber es gelingt ihm durch seinen überwältigenden Scheinrealismus, dass wir es für normal erachten, dass das Leben irrational oder paradox daherkommt. Eckart Hahn führt unsere Wahrnehmung ad absurdum, agiert aber dennoch sinnstiftend. Er zeigt uns keinen Nonsens. Er gibt – frei nach Paul Klee – nicht das Sichtbare wieder, sondern macht sichtbar, und zwar die bodenlosen Wirklichkeiten im postfaktischen Zeitalter – ich sage bewusst Wirklichkeiten, um ihre Mehrdimensionalität zu betonen.

Eckart Hahn hat sich für die Ausstellung den Titel »Schere Stein Papier« gewählt, der zunächst als Arbeitstitel fungierte, dann aber jenen roten Faden ergab, von dem ich eingangs sprach. Ausgangspunkt waren die beiden Großformate »State« und »Portrait of a Bird«, die bereits im Jahr 2015 entstanden. Der thematische Bogen spannt sich bis zum titelführenden Bild »Schere Stein Papier« mit dem Untertitel »Struwwelpeter«, das erst kurz vor der Ausstellung fertig wurde. Sie kennen das Spiel, das meist so nebenher betrieben wird, als purer Zeitvertreib oder um nebensächliche Handlungsszenarien festzulegen, auf dem Niveau: Wer geht in den Keller, wer spült Geschirr usw. So trivial der Anlass, so simpel sind die Regeln: Schere sticht Papier (sprich: schneidet es), Stein sticht Schere (sprich: widersetzt sich ihrer Klinge), Papier sticht Stein (sprich: umwickelt ihn) usw. Auf was es Eckart Hahn dabei ankommt, ist die relative Materialität und ihre Stichhaltigkeit. Wie unterscheiden sich Schere, Stein, Papier oder irgendein anderer Stoff auf einem gemalten Bild? Entzieht man hier die Eindeutigkeit, gerät der Spieleverlauf ins Schwanken. Unterstellt man noch, dass sich hinter dem Gedanken an ein Spiel kaum etwas anderes als das Leben selbst verbirgt, bekommen die Szenarien existenzialistische Züge. Das Banale entpuppt sich als komplexer Sachverhalt. Ist das Struwwelpeter-Gesicht aus Stein oder aus Papier – erstere Deutung ergäbe einen kristallinen, prismatisch geschliffenen Körper, zweitere Deutung wäre das Resultat eines kunstvoll gefalteten Papiers. Ähnlich verhält es sich bei den Händen, deren Proportion zu klein geraten scheint, was aber nur ein Zeichen dafür ist, dass es um Malerei auf Leinwand geht und es eine völlig absurde Idee ist, darüber nachzudenken, ob hier ein Stein oder Papier dargestellt ist. Malerisch gesehen handelt es sich um das Fragment eines menschlichen Gesichts in Form eines Steins oder einer Papierarbeit, die auf einem Tisch oder auf dem Boden drapiert ist. Dazu kommt die Schere, durch ihren Balanceakt im Bild besonders hervorgehoben, wie sie sich mit dem Stein respektive dem Papier misst. Beim Untertitel kommt freilich noch ganz anderes in den Sinn, nämlich die traumatisch im kollektiven Gedächtnis verankerte Szene aus dem »Struwwelpeter«, in der dem Tunichtgut ein Finger mit der Schere abgeschnitten wird – hier kommt vielleicht die Schere im Kopf in Erinnerung. Das wäre aber eine ganz andere Ebene, in der wir uns hier befänden. Wie auch immer: Die stilllebenhafte Statik in der Komposition weicht einem hochkomplexen Sinngefüge, in dem sich Plastizität und ebene Fläche schichtweise durchdringen. »Schere Stein Papier« zielt genau auf diese Diskrepanz von flächigem Papier (die Schere ist latent durch die offenkundigen Beschnitte präsent) und körperhaftem Stein. Das ist allerdings keine Frage des Entweder-Oder, sondern eines Sowohl-als-auch. Mit seinem großformatigen Gemälde »State« von 2015 stellt Eckart Hahn unser Wahrnehmungsempfinden auf die Probe. Zu sehen ist der Torso einer klassisch-antiken Marmorskulptur, davor das auf Karton gemalte Bild eines sitzenden Collies sowie ein scheinbar echter Rabe. Dass alles gemalt ist, wird als erstes bewusst, der Aussage ist aber kaum zu trauen, zumal wenn man dem Gemalten das Etikett »wie in echt« anheftet. Die Statue ist an sich eine Kunstfigur, mutmaßlich einen Gott wie Apoll darstellend, in perfektem Kontrapost; der Hund verliert den Anschein der Echtheit durch die an seiner Rückenkontur entlang beschnittenen Karton, der jegliche Illusion aufhebt. Allein der Rabe täuscht eine Realität vor, die aber angesichts der gesamten Staffage schon nicht mehr glaubhaft wirkt, dass man sich ihn eher als ausgestopft denkt. Eckart Hahn gibt, so sagt er selbst, »den Körpern eine Haptik, eine Fähigkeit, befühlt und abgeschätzt werden zu können« - Stein, Karton (oder doch ein Fell?), Federkleid sind die sensuell nachspürbaren Materialzustände der Motive. Das könnte den Titel erklären, den man mit »Beschaffenheit« oder »Zustand« übersetzen könnte, der aber auch einen »Status« meint: etwa den nach der Hierarchie der materiellen Bedeutung, je nachdem, ob man sie an ihrer vermeintlichen Beschaffenheit oder an ihrer symbolischen Wertigkeit bemisst - denn sowohl die Götterstatue, der wachsame Hund als auch der schwarze Vogel sind unterschiedlich konnotiert, sei es durch mythische, literarische oder auch mediale Vorbilder. Werfe ich einen Seitenblick zur Schrankinstallation von Eckart Hahn mit den rabenschwarzen Vogelfedern – der Titel »Haunt« bedeutet als Verb so viel wie ›verfolgen‹, ›herumgeistern‹, als Nomen ›Lebensraum‹, ›Schlupfwinkel‹, ›Treffpunkt‹ –, finde ich mich prompt in der Schwarzen Romantik eines Edgar Allen Poe wieder, die im Raben ihren schauderbaren Ausdruck hat.

Das bringt mich zu den Einordnungsversuchen des Hahnschen Werks. Schnell ist man mit dem Surrealismus als Vorlage bei der Hand. Verständlich, aber Vergleiche gehen ins Leere. Der surrealistische Autor André Breton, so wird kolportiert, hatte an seiner Schlafzimmertür ein Schild hängen, auf dem stand: Nicht stören, der Dichter arbeitet. Das nahm natürlich Bezug auf die Bedeutung des Traums und des Unterbewussten als Primärquellen der Surrealisten. Das trifft auf Eckart Hahn schon deshalb nicht zu, weil er ein außerordentlich disziplinierter Künstler ist, der konzentriert seiner Arbeit nachgeht – er beginnt in der Früh zu arbeiten, die Muße stundenlanger Spaziergänge oder das Vertrauen auf nächtliche Inspirationen sind eher nicht sein Ding. Wohl speist sich seine Imagination auch aus Erkenntnissen der Psychoanalyse, die aber Sigmund Freud längst hinter sich gelassen hat, doch auch aus der Philosophie, weshalb es schon mal vorkommen kann, dass Hahn sich auf den kritischen Rationalisten Spinoza beruft.

Wie steht es nun um den Surrealismus? Wenn es um die brillante Technik bei ihm geht, fällt manchen Betrachtern Salvador Dalí ein. Vergessen Sie Dalí! Dessen »handgemalte Traum-Fotografie«, wie er seinen Stil selbst beschrieb, sollte nicht nur die Realität und Komplexität des Traums, sondern auch dessen Unwirklichkeit veranschaulichen. Es gibt von Dalí ein Gemälde mit einem gedoppelten Tiger, der regelrecht auf den Betrachter zuspringt – es heißt, ganz im Sinne seiner paranoisch-kritischen Methode und typisch für Dalí, »Traum, verursacht durch den Flug einer Biene um einen Granatapfel, eine Sekunde vor dem Aufwachen«. Grandios gemalt, aber hier endet auch schon jeglicher Vergleich etwa mit dem »Papiertiger« von Eckart Hahn. Hier geht es um die Unwirklichkeit der Realität, um die Relativität der Wahrnehmung. Sein Tiger, den wir sofort als realitätsnahes Tier auffassen, entpuppt sich als in sich verschränkter Doppelkarton mit zwei Darstellungen eines Tigers, von denen der eine kopflos ist, und der so auffallend angerissen ist, dass man genötigt ist, das absolut echt wirkende Fell als Augentäuschung hinzunehmen. Zudem macht der Künstler keinen Hehl daraus, dass hier die Fantasie ein ironisches Spiel mit uns betreibt – gemalt ist nichts anderes als ein Papiertiger, wörtlich genommen. Erst als solcher ist er dann auch tatsächlich realistisch wiedergegeben. Näher kommt das Werk Eckart Hahns schon dem von René Magritte. Dessen intellektueller Surrealismus gibt Darstellungen vor, die zugleich in Frage gestellt werden. Sie kennen das Bild der Pfeife mit dem Titelvermerk: »C’est ne pas une Pipe«, das ist keine Pfeife. Doch auch da hat Eckart Hahn andere Bilder vor Augen. Er dreht auch hier den Fall anders herum: Er malt natürlich einen Papiertiger, muss ihn deshalb gar nicht in Frage stellen – die intellektuelle Verarbeitung liegt auf der Seite des Betrachters, der aus den fragmentierten Darstellungen bemalter Pappen wirklich einen echten Tiger sehen mag. Auch das »Portrait of a Bird« verspricht nichts Falsches. Dass der prächtige Papagei sich als hyperreal gemalter Papiervogel vor den Kopf einer nicht minder real gemalten Marmorfigur schiebt, bringt die Wahrnehmung des Betrachters zum Straucheln, weil dieser die plastische und plakative Materialität nicht mehr auseinanderhalten kann, zumal sich die Statue im unteren Teil auch als Pappkamerad outet. Verwandt dazu ist das Maskenmotiv in »Parrot«, auf dem sich ein Vogelmensch seinen Papageienkopf vom Hals zieht, dahinter erscheint…: ein Papageienkopf. So einfach ist es nicht mit der Wirklichkeit. Sie ist und bleibt vielleicht eine Maskierung. »Eine Maske verrät mehr als ein Gesicht«, schreibt Oscar Wilde. Wenn es Bezüge zum Surrealismus bei Eckart Hahn gibt, müsste man seinem Stil den Update-Vermerk ›Surrealismus 4.0‹ verpassen, um zu vergegenwärtigen, dass sich die Wirklichkeiten und Unwirklichkeiten, um die es hier geht, vor dem Hintergrund einer digitalen, medial vielschichtigen Realität entfalten und dass sie mit Traumdeutung wenig zu tun haben. Eine solche Bezeichnung wäre jedoch wenig hilfreich, wobei ich wieder beim paradoxen Realismus angelangt bin.

Die anderen Realismen, die im Zusammenhang mit dem Werk Eckart Hahns genannt werden, kann man schnell abtun. Die fotografische Genauigkeit führt manchen Betrachter in Versuchung, angesichts seiner Arbeiten von Hyperrealismus zu sprechen. Der zeichnet sich allerdings durch die akribische Imitation eines fotografierten Ausschnitts der Außenwelt aus, während Eckart Hahn zum einen in der Tradition des klassischen Bildaufbaus steht und auch die Farbpalette als Maler und nicht als malender Fotograf verwendet. Ein Gemälde wie »Birdism« beispielsweise erteilt dem fotografischen Realismus geradezu eine Abfuhr: Die Vögel, die allesamt ihre Körperlichkeit nur vorgeben, sind ein fein nuanciertes, sinfonisches Farbenspiel, wohldurchdacht, aber als Vogelschar auf einer Hand platziert schlichtweg unmöglich. Dazu kommt der Farbwechsel im oberen Feld, der aus dem Hintergrund einen Vordergrund macht und die ornithologische Szenerie in der radikalen Beschneidung deutlich von einem kamerafokussierten Ausschnitt trennt. Bleiben noch der Fantastische und der Magische Realismus, von denen sich die Arbeiten von Eckart Hahn noch deutlicher abgrenzen. Seine unbändige Fantasie ist um Welten entfernt von der Fantasy geheimnisvoller Inhalte, auch das Numinose der magischen Realisten ist nicht zu verwechseln mit der Dingmagie der stilllebenhaften Arrangements, die Eckart Hahn immer wieder anklingen lässt: ich denke an die Säule, »Column«, oder die »Seilerei«. Selbst beim Bild »Weird«, das der Künstler schon vom Titel her selbst als ›seltsam‹, wenn nicht ›versponnen‹ oder gar ›gruselig‹ einstuft, darf man vermuten, dass die Komposition genau kalkuliert ist, sogar der wie von Kinderhand gezeichnete, eierige Kreis, der aus der Szenerie verschiedener tierischer Gesichtsfragmente ein Gesicht macht, ist kaum zufällig gezogen. Diese Arbeit nimmt – wie auch das »State«-Bild – die Tradition des Bild-im-Bild-Themas auf, nur basiert es auf einer Art dreidimensionalem Puzzle, das Eckart Hahn hier durch die blaue Linie in der Raumwirkung noch verstärkt. In anderer, perspektivisch exakter Form kommt sie auch in »Column« vor, wo er ein antikisierendes Säulenmotiv durch eine weitere Säule aus einem nach oben gedrehten Seil verfremdet und ad absurdum führt.

Eckart Hahn nimmt in seinem Realismus eine singuläre Position ein. Seine fast schon unglaublich intuitive Fantasie vermag er nicht nur in ausgefeilten Kompositionen festzuhalten. Seine Ästhetik macht aber auch an der schönen Gestaltung nicht Halt. Wer ihn kennt, spürt sein feinnerviges Sensorium für die gegenwärtigen gesellschaftlichen Stimmungen, der Puls unsrer Zeit pocht offenkundig durch sein Werk. Was seine Kunst darüber hinaus zu einem faszinierenden Erlebnis macht, ist die Offenheit in der Auslegung, die nie in Beliebigkeit abdriftet. Wir können staunend vor diesem Werk stehen und schwelgend dem Spiel der Oberflächen folgen. Wir können aber auch die Motive als gemalte Installationen ansehen und sie als Bildkosmos verinnerlichen, uns ins Bild ziehen lassen, den narrativen Elementen folgend, auch wenn wir uns darin verlieren. Das geeignetste Beispiel hierfür ist der Lichtkasten mit dem Titel »One World«, den Sie beim Kommen nicht übersehen konnten. Die »Wandlungsfähigkeit des Feuers«, so meint Eckart Hahn, übe von jeher eine Faszination auf die Menschen aus. In der Arbeit aus dem Jahr 2016 zeigt sich dieses Element als Weltbrand und Feuerwerk in einem. Die Aufnahmen der Feuerschwaden entstanden durch Brandverpuffung von Blütenpollen – und wurden im Anschluss daran digital bearbeitet, um die erkennbare Form der Kontinente zu kreieren. Die Welt in Flammen zu sehen, lässt angesichts der globalen gegenwärtigen Krisen und Kriege unheilvolle Assoziationen zu, doch sieht Hahn eher die phönixhafte Symbolik des Feuers – zum einen gebiert seine Darstellung erst die Form der ›einen‹, wenn auch verrückt fragmentierten Welt, zum anderen reizt ihn die großartige ästhetische Oberflächenwahrnehmung. Die vorsokratischen Philosophen Griechenlands, wie Heraklit, sahen im Feuer ein Urprinzip des Universums. Es ist unsere Welt. Wir können darüber so oder so urteilen, über die Weltläufte verzweifeln oder Hoffnung schöpfen, wobei Eckart Hahn eine lebensbejahende Haltung einnimmt. Denn eins ist gewiss: es ist die einzige Welt, die wir haben.

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