Gleich zwei Ausstellungen widmen sich derzeit den Frauen in der Kunst des 20. Jahrhunderts. In der Städtischen Galerie Bietigheim-Bissingen stellt man sich die Frage, wie denn die »neue Frau« aussah und bis zum 12. Juli 2015 sind hier Künstlerinnen der Neuen Sachlichkeit zu sehen. Die Städtische Galerie Böblingen dagegen spürt noch bis zum 5. Juli der Emanzipation der Frauen in der Moderne nach. Marco Hompes war im Südwesten unterwegs.
Seit einigen Jahren beschäftigen sich bundesweit Ausstellungshäuser mit der feministisch motivierten Aufarbeitung der Kunstgeschichte und ihrer eigenen Sammlungen. Thematisch sind hierbei immer wieder die klassischen Avantgarden sowie die Kunstentwicklungen um 1900 ein Thema. Die wissenschaftliche Aufarbeitung weiblicher Kunstproduktion dieser Jahrzehnte dient häufig dazu, auch weibliche Perspektiven in die Kunstgeschichte aufzunehmen, um so zu verdeutlichen, dass es multiple Modernen gibt. Das linear gedachte Geschichtsmodell, das größtenteils männlich geprägt ist, wird so ganz grundsätzlich in Frage gestellt. Diese Entwicklung im Ausstellungswesen, gerade auch bei kleineren Häusern, ist überaus wertvoll. Leider sind die Qualitätsunterschiede derartiger Ausstellungen eklatant. Der Vergleich zwischen zwei baden-württembergischen Werkschauen macht dies deutlich: Die Städtische Galerie Böblingen zeigt »Die Klasse der Damen – Künstlerinnen erobern sich die Moderne«, während sich die Städtische Galerie Bietigheim-Bissingen dem Thema »Die neue Frau? Malerinnern und Grafikerinnen der Neuen Sachlichkeit« widmet.
Vergleicht man die beiden Ausstellungstitel, so wird bereits ein wesentlicher Unterschied deutlich: Während der erste als Aussage formuliert ist, ist in Bietigheim-Bissingen bereits das Fragezeichen inkludiert. Damit beweisen die Verantwortlichen der Schau im Örtchen an der Enz, dass die Aufarbeitung femininer Inhalte nicht als Absolutum verstanden werden darf. Zwar zeichnen sie ein Bild der Frau der 1920er Jahre, bei dem »kesser Bubikopf und eng anliegender Hut, knabenhafte Gestalt mit Hose und Zylinder, kurzer Rock und rotgeschminkte Lippen mit Zigarette im Mundwinkel« dominieren. Gleichzeitig sind sie sich darüber im Klaren, dass der Begriff der »Neuen Frau« nur ein Behelfskonstrukt ist, um dem erstarkten weiblichen Selbstbewusstsein dieses Jahrzehnts einen Ausdruck zu verleihen. Hierbei sind es vor allem Schauspielerinnen, Tänzerinnen, Schriftstellerinnen und Malerinnen, die den Begriff prägten. Aus diesem Grund ist es nachvollziehbar, dass der Rundgang mit einer Reihe von Selbstbildnissen beginnt. Dieser Einstieg ermöglicht es den Besucherinnen und Besuchern, die stilistische Vielfalt dieser Zeit zu erkennen, die individuellen, autonomen Bildsprachen der Malerinnen zu untersuchen und die stilistischen Codes der sogenannten »Neuen Frau» genauer unter die Lupe zu nehmen.
Die erwachte Selbstgewissheit zeigt sich in Posen und Attributen auf den Selbstporträts: Hanna Nagel malte sich im weißen Malerkittel mit hochgekrempelten Ärmel und kecker Kurzhaarfrisur, gleichzeitig posierendes Modell und aktive, burschikose Malerin. Elfriede Lohse-Wächtler und Gerta Overbeck porträtierten sich mit Zigarette in der Hand und Kate Diehn-Bitt zeigt sich in schwarzer Unterwäsche anziehend und gleichzeitig abstoßend. Stilistisch changieren die Arbeiten zwischen (magischem) Realismus, Verismus, Werbegrafik und Expressionismus, sind dabei häufig jedoch von einer grandiosen künstlerischen Eigenständigkeit, welche den Vergleich zu den männlichen Zeitgenossen nicht zu scheuen braucht. Hier lässt sich erkennen: Weibliche Protagonistinnen fehlen in der Kunstgeschichtsschreibung weder aus qualitativen, noch aus quantitativen Gründen. Die Ursachen hierfür sind die fehlende Sichtbarkeit und Aufarbeitung in der heutigen Zeit. Die Verantwortlichen in der Städtischen Galerie haben gegen diesen Missstand wunderbare Arbeit geleistet. Nach den Selbstbildnissen folgt der größte Ausstellungsbereich, in dem das künstlerische Schaffen von neun Künstlerinnen in monografischen Bereichen vorgestellt wird (in der Reihenfolge: Dodo, Jeanne Mammen, Grethe Jürgens, Gerta Overbeck, Hanna Nagel, Elfriede Lohse-Wächtler, Lea Grundig, Kate Diehn-Britt, Hilde Rakebrand). Der dritte und letzte Bereich fokussiert dominierende Themen der unterschiedlichen Künstlerinnen, etwa Cafébilder, Porträts, Arbeiter oder Kinderbilder. Den Ausstellungsmacher ist durch diese Aufteilung ein schwieriger Spagat zwischen der Darstellung von Künstlerindividuen und der Illustration eines Zeitgeists geglückt.
Ein einziger Kritikpunkt wäre die fehlende Vermittlung darüber, dass das Phänomen »Neue Frau« nur einen winzigen Prozentsatz der Bevölkerung betraf. Sehr bezeichnend hierfür ist eine Grafik Jeanne Mammens in der Zeitschrift Simplicissimus: Zu sehen ist darauf eine Frau in schwarzer Hose und Bluse mit einem Zylinder auf dem Kopf und einer Zigarette im Mundwinkel, die gerade im bunten Trubel einer Feier zu sehen ist. Darunter liest man: »Vati is Staatsanwalt, und Mutterchen sitzt im Landtag, – ich bin die Einzige in der janzen Familie mit Privatleben«. Glücklicherweise wird im Ausstellungskatalog hierauf genauer eingegangen.
Im Vergleich zu der hochkarätig bestückten und klar gegliederten Ausstellung in Bietigheim-Bissingen präsentiert sich die Ausstellung in Böblingen als buntes Sammelsurium voller Klischees. Bereits der Titel »Die Klasse der Damen – Künstlerinnen erobern sich die Moderne« irritiert. Ist die Moderne etwas, das Männer geschaffen haben und das Frauen sich erst (militärisch) erobern müssen? Etwas orientierungslos müssen sich die Besucher den Ausstellungsparcours selbst erarbeiten, da es keinerlei Wegweisungen oder gut erkennbare Ordnungen gibt.
Das Konzept der Schau besteht offenbar darin, aktuelle Werke mit solchen vom Anfang des 20. Jahrhunderts zu kombinieren, um so zu zeigen, dass Frauen nach wie vor benachteiligt sind. So treffen ein scheinbar bogenschießender Torso aus rosa Eisen, Hasendraht und Topfkratzern (»Playing Gender» von Birgit Wilde) und eine Arbeit aus collagierten Abbildungen von Frauenhaaren von Gökçe Baturay auf einen kubistischen Kopf von Lily Hildebrandt (1914-16). Begleitet wird dies durch eine Wand mit Zitaten, die aus der Mottenkiste des frühen Feminismus zu stammen scheint. Altbekannte Phrasen männlicher Chauvinisten (Georg Baselitz: »Frauen malen nicht so gut. Das ist ein Fakt.«) oder Bruno Pauls Karikatur von 1901 (»Sehen Sie, Fräulein, es gibt zwei Arten von Malerinnen: die einen möchten heiraten und die anderen haben auch kein Talent«) nähren die üblichen Klischees der benachteiligten Frau. So passt es denn auch ins Bild, dass in einem Ausstellungsabschnitt über jüdische Künstlerinnen (Käthe Loewenthal, Alice Haarburger, Klara Neuburger) von Doppeltragik die Rede ist. Eine Frau zu sein ist tragisch und jüdisch zu sein gleich doppelt tragisch. Hier werden auch inhaltliche Fehler begangen. Wenn es heißt, dass jüdische Künstlerinnen im Vergleich zu den männlichen Kollegen mehrheitlich nicht emigrierten, dann ist dies schlichtweg eine falsche Behauptung.
Offenkundig bestand im Böblinger Haus der Wunsch danach, die eigene Sammlung nach femininen Positionen hin aufzuarbeiten. Das ist, gerade für ein Haus mit geringen finanziellen Mitteln, eine richtige Bestrebung. Ein derartiges Unterfangen darf jedoch nicht darin bestehen, sämtliche Frauen in ein Ausstellungskonzept zu packen und die verschiedenen Jahrzehnte wild durcheinanderzuwerfen. In der Städtischen Galerie Böblingen werden klassische Landschaftsgemälde um 1900 von Sally Wiest, Anna Maria Bonz oder Anna Peters ebenso zur »Eroberung der Moderne« gezählt wie eine aktuell für die Ausstellung gehäkelte Fassadenbegrünung von Yutta Saftien oder ein abstrakter Wandteppich von Hilde Fuchs-Hermann aus dem Jahr 1957. So gehen die wirklichen Highlights in der Übermenge an dicht gehängten Werken leider einfach unter. In diesem Fall hätte man sich gewünscht, die wunderbaren Gemälde und textilen Arbeiten von Ida Kerkovius, die Landschaften Maria Caspar-Filser und die humorvollen Strichzeichnungen Margarete Oehm-Baumeisters hätten mehr Raum bekommen und wären intensiver und gründlicher aufgearbeitet worden. Manchmal ist weniger eben einfach mehr.