Die Kritischen Berichte verstehen sich die kritischen berichte vor allem als Plattform einer immer komplexer werdenden Methodendiskussion, sowie als Forum transdisziplinärer Beiträge zu Themen wie Ethnozentrismus, Interkulturalität oder Gender Studies. Die dritte Ausgabe des Jahres 2018 wird sich dem Leerstand, der Vakanz widmen. Eingabeschluss: 8. Dezember 2017.
Im Leerstand verfehlt Architektur ihre Bestimmung. Dennoch wurde der Leerstand einer im weitesten Sinne architektonisch gestalteten Umwelt im Laufe der Geschichte immer wieder bildlich in Szene gesetzt: Das motivische Spektrum reicht vom leeren Grab Christi bis zu den fotografischen Trophäenjagden der Urban Exploration-Community, von intakten oder ruinierten, privaten oder öffentlichen Herrschafts- und Nutzarchitekturen über Fabrik- und Ausstellungshallen bis hin zu leeren Plätzen, Straßen oder zur exponierten Leere einzelner Fenster, Türen oder Möbel.
Heft 3/2018 der kritischen berichte möchte das Bildsujet der architektonisch gefassten Leere in seinen Ursachen, Funktionen und Ästhetiken diskutieren und über den Begriff der Vakanz insbesondere den Umstand fokussieren, dass entsprechenden Bildern gemeinhin ein transitorischer Charakter und eine doppelte Appellstruktur innewohnt: Leere Architekturen verpflichten ihre Betrachter auf die Rekonstruktion einer ihrem gegenwärtigen Zustand vorangegangenen Bestimmung und Geschichte einerseits und auf die Imagination einer dem Ort gemäßen Zukunft andererseits. Selbst kalendarisch oder topografisch kaum zu fixierender architektonischer Leerstand verlangt als Folge eines Ereignisses, eines Prozesses, eines Verbrechens oder einer Stunde null, als verlassener Tatort oder historischer Schauplatz nach detektivischer, archäologischer oder historischer Rekonstruktion, die stets mit dem Versuch der Konkretisierung seiner raumzeitlichen Koordinaten zu beginnen hat. Leerstand kann als memento mori, Mahnung oder Anklage fungieren, zuerst aber ist er Rätsel und Vermisstenanzeige. So öffnet er einen Imaginationsraum, der sich längst nicht nur mit Fragen der Denkmalpflege, Umnutzung oder Vermarktung füllen lässt. Immer aber bedingen die retrospektiven und prospektiven Blicke in die Leere einander: Als Chance oder Bürde determiniert die Vergangenheit vakanter Architekturen auch deren Zukunft, indem sie in Entsprechung des sprichwörtlichen Fußstapfens juristische, pragmatische, soziale, ethische, funktionale oder ästhetische Bedingungen an ihre potenziellen Erben stellt.
Über diese zeitlichen Dimensionen hinaus haben Bilder des Leerstands stets auch ihr »Off« in Gestalt eines zeitgleichen Anderswo fest im Blick. Weist die Leere eine Architektur als verlassen, vergessen oder marginalisiert aus, so zeigt sie damit zwingend an, dass die Musik derzeit woanders spielt und erweist sich mithin auch topografisch als relationale Größe. Im Ausweis einer akuten Perspektivlosigkeit des Ortes verschafft etwa gerade die sichtbare Absenz von Material, Werkzeug oder Know-How, von Mitteln oder Investoren, von Glaube, Wille oder Hoffnung all diesen eine gewisse Präsenz im Bilde.
Abseits der Scheinwerfer gewährt der Leerstand indes zunächst dem Verschämten, Verdrängten und Verbotenen Obdach, entwirft Seelenlandschaften des Unpässlichen, Tabuisierten und Abgründigen. Seine scheinbar verborgenen Bühnen inszenieren den Zauber des Entdeckens wie den Schrecken des Entlarvens, lassen den ersten Kuss und den Meuchelmord geleichermaßen erahnen. So generieren sie ihre Aura nicht allein aus dem Schauer der Zeitlichkeit, sondern auch aus Motiven des voyeuristischen Hausfriedensbruchs, insofern schon die die Geste seiner Abbildung gemeinhin das Ende eines Leerstands einläutet und seine Einsamkeit befleckt.
Unter umgekehrten Vorzeichen bestätigen auch die Bilder entlegener Sehnsuchtsorte das Prinzip, nach dem der, der noch nicht resp. nicht mehr hier ist, folglich woanders sein muss - oder sollte. Auch wenn sich Highways, Hotels, Restaurants, Pools und Strände insbesondere dank jener visuellen Lockrufe füllen, die ihren Leerstand als Ausdruck maximaler Exklusivität, Wahl- und Handlungsfreiheit behaupten, steht die Leere im Konjunktiv.
Mit der Frage, welche Bilder sich eine Gesellschaft vom leeren Ort als einer Vakanz und einem Abseits, von seinen Ursachen, Konsequenzen und Potenzialen macht, rücken insbesondere folgende Problemfelder in den Fokus:
Textvorschläge können in Form eines Exposés (max. 2500 Zeichen auf Deutsch oder Englisch) mitsamt einer Kurzbiografie bis zum 8. Dezember 2017 (Julian.Blunk@fu-berlin.de) eingereicht werden. Ausgewählte BewerberInnen werden bis zum 5. Januar 2018 informiert. Abgabefrist für die vollständigen Beiträge (max. 25.000 Zeichen) ist der 15. Juni 2018. Willkommen sind neben Beiträgen aus benachbarten Disziplinen insbesondere auch solche zur vormodernen Kunst.
Informationen zur Zeitschrift gibt es auf der Website des Verlages und auf www.ulmer-verein.de.