Call for Papers

Call for Papers: Vor dem Urteil. Zur Bild- und Stilkritik von Gut und Böse, vom 29. bis 31. Mai 2017 in Florenz

Das Forschungsprojekt »Nomos der Bilder. Manifestation und Ikonologie des Rechts« am Kunsthistorischen Institut in Florenz will sich in seiner Tagung dem ultimativen Thema widmen: Wie beeinflussen »Gut« und »Böse« in ästhetischen Darstellungsformen unsere Vorstellungen von Norm und Abweichung in Gesellschaft und Recht? Einsendeschluss für Abstracts: 15. Dezember 2016.

Jedem juridischen Ver-urteilen geht ein Vor-urteilen voraus, dessen stille Annahmen die Rekonstruktion eines Verbrechens, Tatbestand, Täterprofil und Tatschwere erst ermöglichen. Das Urteilen ist von Bildern und Formen ähnlich wie von Sprache geprägt. Normen können dabei als Erzeugnisse sozialer und kultureller Praktiken verstanden werden, die nicht nur Handlungen regulieren, sondern die Identität der durch sie agierenden Subjekte und Gemeinschaften mitbestimmen. Um die Konstruktion von »Realität«, »Tatsache« oder »Wert« im Rechtssinne zu verstehen, muss das Urteilen, das sich auf Rechtsnormen bezieht, als »totales soziales Phänomen« (Mauss) begriffen werden, in dem politische, ökonomische, religiöse, moralische und ästhetische Aspekte zusammenlaufen.

Obwohl die positive Kodifizierung des Rechts durch Normen und Gesetze die moralische Dualität von »Gut« und »Böse«, deren Zuschreibungen der Willkür offen stehen, zu bannen sucht, bleiben Imaginationen und Fiktionen wirksam. Diese gewinnen insbesondere unter Bedingungen eines Rechtsdefizits Relevanz, etwa dann, wenn verschiedene Rechtssphären aufeinander treffen, wie Staat und Kirche oder nationale Rechtsräume, wenn neue Tatbestände auftauchen oder das Recht im Widerspruch zur Lebenswirklichkeit steht. Ist das »Böse« im Strafrecht heute nur noch als Schuldmerkmal (Gesinnung) relevant, das die Schuldfähigkeit des Täters unterstreicht, erweist es sich gegenüber Rationalisierungen nach wie vor resistent. Gleichwohl hängen Bewertungen, die Handlungen und Tatsachen als »böse«, illegal und kriminell deklarieren und per Gesetz verurteilen oder im Gegenteil als rechtmäßig und »gut« kennzeichnen, von kulturellen Prägungen ab, in denen Bilder und Formen eine herausgehobene Rolle spielen. Sie bedürfen daher im Besonderen ästhetischer, stilistischer und bildkritischer Erklärungen.

Ohne die Konstruktion des »Bösen« kann kein Urteil gefällt werden; ohne das »Böse« kann Recht nicht existieren. So definiert Hegel das »Böse« nicht als mögliche Tendenz des Gewissens, sondern versteht es dialektisch als Negativ, das für ein Rechtssystem und die Herausbildung eines allgemeingültigen Gesetzes konstitutiv ist. Die Aufgabe des Staates liege in der peinlichen Rechtspflege, die das »Böse« einzuhegen trachte. Erst durch die sanktionierende Strafe und die Erprobung richterlicher Gewalt würde sich das Gemeinwesen konstituieren. Auf diese Weise – durch Strafe und Begnadigung – könne das Gesetz beweisen, dass es über »das Böse Meister« sei. Die Rechtspraxis ist notwendige Bedingung dafür, dass sich ein situativ erlassenes Urteil zur Norm verselbständigt, wobei dieses sich nicht allein auf die Anwendung von Regeln reduzieren lässt. Juridisches Urteilen umfasst kognitive wie auch normative Leistungen, die dem ästhetischen Urteilen verwandt sind. So haben Bilder und Ästhetiken, die in die Rechtspflege hineinreichen, Anteil am Prozess der Normstiftung.

Die Tagung stellt sich die Aufgabe, die Bedeutung der Bildmedien in der Verhältnisbestimmung von Norm und Abweichung zu analysieren: Wie wird das »Böse« bildlich sichtbar gemacht? Wie wird es normativ erfasst? Worin erscheint im Gegenzug das »Gute«? Auf welche Weise beziehen sich diese Bilder unmittelbar und mittelbar auf Norm- und Rechtsvorstellungen? Wie bringen unterschiedliche Rechts- und Normsysteme, Gewohnheitsrecht, öffentliches Recht, Straf- und Privatrecht, Staats- und Verfassungsrecht, bis hin zum Völkerrecht, jeweils spezifische Konstruktionen des »Bösen« hervor und wie verhalten sich diese zum Visuellen? Nicht nur Sujet und Gebrauch der Bilder stehen im Vordergrund, sondern auch ästhetische und stilistische Kriterien eines negativ konnotierten Formvokabulars. Das »Böse« soll hierbei als apolitisches Erklärungsmuster verstanden werden, dessen Konjunktur in Krisenzeiten kritisch zu reflektieren ist. Von dämonisch beseelten Bildern, Figurationen des »Bösen« (Teufel, Dämonen, Monster, Tyrann) und den Techniken seiner Bannung (Apotropäik) bis hin zu physiognomischen Strategien der Kriminalisierung, von der forensischen Angemessenheit der Darstellung, Proportion und Maß bis hin zur Undarstellbarkeit und Banalität, Verzerrungen und Antinomien, von ästhetischen Antagonismen zur Transparenz, soll die Frage nach dem »Bösen« als Leitmotiv dienen, um das Verhältnis von Gesellschaft, Rechtspraxis und visueller Kultur neu in den Blick zu nehmen.

Die Vorträge sollten sich an den folgenden Themenbereichen orientieren:

1. Böse Bilder
Apotropäische oder magisch aktivierte Bilder können selbst als Träger eines »bösen« Willens auftreten. Wie werden schadhafte Wirkungsintentionen visualisiert? Inwiefern resultieren diese aus einem rituellen Umgang, inwiefern aus der ästhetischen Gestaltung der Objekte? Wann wird Delinquenz unmittelbar mit Bilderzeugnissen in Verbindung gebracht?

2. Sichtbarmachung und Stigma
Das »Böse« sichtbar zu machen, kann gleichermaßen im Dienst der sozialen Ordnung stehen als auch deren Infragestellung befördern. Die Zurschaustellung des Verurteilten (Pranger, Hinrichtung) und die Stigmatisierung abweichenden Verhaltens (Krankheit, Verbrechen) signalisieren dabei die Ausgrenzung aus der Gemeinschaft. Wie wird Abweichung bildlich gefasst? Lassen sich visuelle Strategien der Sichtbarmachung bestimmten normativen Setzungen zuordnen?

3. Binäre Oppositionen
Das »Böse« steht in einer konstitutiven Spannung zu seinem Gegenteil. Anhand formaler und ästhetischer Gegensatzkonfigurationen (hell/dunkel, schön/hässlich), die bestimmten Affektzuständen (Zorn/Geduld, Pathos/Disziplin) zugeordnet sind, soll die bildliche Modellierung von »Gut« und »Böse« zurückverfolgt werden.

4. Maß und Angemessenheit
Gesetzgebung ist auf Gebote und Entscheidungsprozesse angewiesen, die aus dem Ermessen, der Verhältnismäßigkeit und der Abwägung hervorgehen. Wie wird die Proportionalität von Tat und Strafmaß bildlich hergestellt? Inwiefern spiegelt sich die Gerechtigkeit des Strafmaßes im ästhetischen Prinzip der Angemessenheit? Welche Bedeutung haben Extremfiguren des »Bösen« im Prozess der Urteilsfindung?

5. Exzessive Formen
Extreme Gewalt und Grausamkeit scheint vom ikonographischen und stilistischen Bildvokabular nicht erfasst werden zu können. Welche visuellen Formeln sind geeignet, Verbrechen einzufangen, die das Vorstellbare übersteigen? Wann werden exzessive Bilder gesucht und wann vermieden? In welchen Fällen verstoßen Bilder gegen das Gebot der Angemessenheit?

6. Undarstellbarkeit
Repräsentationen von Genozid, Kriegs- und staatlich verübten Verbrechen werden gesetzlich verboten, moralisch tabuisiert oder psychologisch verdrängt (Trauma). Welche Argumente lassen sich für und gegen ihre Darstellung anführen? Inwiefern sind hierbei ästhetische, soziale und juridische Normsetzungen wirksam?

Themenvorschläge im Umfang von bis zu 300 Wörtern (deutsch, englisch, italienisch, französisch) können zusammen mit einem kurzen Lebenslauf bis zum 15. Dezember 2016 an carolin.behrmann@khi.fi.it und felix.jaeger@khi.fi.it gerichtet werden.

Tagung des Minerva Forschungsprojektes »Nomos der Bilder. Manifestation und Ikonologie des Rechts« am Kunsthistorischen Institut in Florenz – Max-Planck-Institut.

Das Minerva Forschungsprojekt übernimmt die Übernachtungs- und Reisekosten (economy class) gemäß den Richtlinien des Bundesreisekostengesetzes. Die Dauer der Vorträge beschränkt sich auf 25 Minuten. Eine Publikation der Beiträge nach Peer-Review-Verfahren ist geplant.

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