Buchrezensionen

Christoph Dautermann: Alpenbegeisterung im Spiegel der Malerei des 19. Jahrhunderts. Abbild oder Projektion?, Imhof Verlag 2016

Neben anderen wilden Landschaften erfreuten sich die Alpen in der romantischen Malerei des 19. Jahrhunderts besonders großer Beliebtheit. Das Renommee dieser Alpenbilder jedoch weniger positiv: als kitschig werden diese Alpenbilder oft angesehen, bestenfalls als Ausdruck einer Begeisterung des Volkes gesehen. Christoph Dautermann schaut in seinem Buch über diese Vorurteile hinweg und beleuchtet die Alpenmalerei ganz intensiv. Verdienstvoll, findet Andreas Maurer.

Den Meilensteinen der Landschaftsdarstellungen des 19. Jahrhunderts wurden bereits unzählige Publikationen gewidmet. Ihnen gegenüber steht jedoch ein zeitgleich entstandenes Meer an künstlerischer Massenware, welches bis heute die Auktionskataloge und Flohmärkte flutet – eine Gattung, die lange Zeit zu Unrecht als »kitschig« und »pathosbeladen« ein Stiefmütterchendasein fristen musste, und nun von Christoph Dautermann, dem stellvertretenden Leiter des Museums Burg Linn in Krefeld, mit einer Publikation in den ihr gebührenden Kontext gerückt werden soll.

Bis ins 18. Jahrhundert betrachtete man die imposanten Kuppen der Alpen mit Ehrfurcht und Respekt, doch innerhalb weniger Jahre wandelten sich diese Gipfel von einer Naturgewalt zur Traumlandschaft und letztendlich zum Gemeingut. Menschen wagten sich nun erstmals in die bis dahin gefürchtete und ängstlich gemiedene Hochgebirgswelt, und schließlich traten auch Maler und Literaten in die Fußspuren der kühnen Wegbereiter.

Obwohl am Beginn dieses Wandels im Naturgefühl der Gesellschaft von den reisenden Malern noch vermehrt topografische Ziele verfolgt wurden, entstand im Zuge dessen doch eine wahre Bilderflut, die in dieser Form vor dem 19. Jahrhundert nicht existiert hat, und deren Ausläufer sich bis in die Wohnzimmer des Bürgertums erstreckten. Als erste künstlerische Vorboten, welche sich mit der romantischen Schönheit der Gebirgswelt befassten, gelten etwa Albrecht von Hallers Epos »Die Alpen« (1729) und »La Nouvelle Heliose« (1760) von Jean-Jacques Rousseau, wobei letzterer vor allem jene Gebirgsketten rund um den Genfer See ins Licht rückte. Von dieser Glut angefeuert kam es infolgedessen zu einer regelrechten neuen Selbstdefinition der Schweiz, die so weit ging, dass das Land auch sein Nationalepos von außen beziehen konnte.

Auch Christoph Dautermann beginnt in seinem Buch den Aufstieg zur Quelle der romantischen Sturzflut an Bildwerken in diesem »klassischen Land der Alpen“, welches nicht nur eine wahre »Schweizbegeisterung« auslöste, sondern lange Zeit zudem als Schablone für alpine Sehnsüchte herangezogen wurde.

Als Grundlage dieser scheinbar unzählbaren Menge von Fließbandware, bestehend aus Gemälden, Stichen und allerlei touristischen Mitbringseln, diente dem Autor die Sammlung der Stiftung »Kleines Bürgerhaus«, welche den Katalog auch herausgegeben hat. Die über 650 Gemälde in diesem Bestand sind ausführlich verzeichnet, ihre Künstler und Motive wurden ermittelt und zudem fotografisch anspruchsvoll dokumentiert, und können so sicher als gutes Panorama über diese Epoche herangezogen werden.

Dautermann orientierte sich bei seiner Arbeit aber weniger am künstlerischen Wert der Gemälde nach heutigen Maßstäben, sondern widmete seine Aufmerksamkeit vielmehr jener Menge an Bildern, die immer noch existieren, jedoch seit Langem in dem Ruf stehen »Kitsch« zu sein. Im Vordergrund stand dabei die kulturhistorische Frage: Was trieb die Menschen des 19. Jahrhunderts dazu, sich in ihren Wohnungen mit diesen, ihnen eigentlich fremden Landschaften zu befassen und sich insbesondere mit Alpenbildern zu umgeben?

Im Zuge der Beschäftigungen mit dieser Materie fand der Autor unter anderem heraus, dass dabei wohl auch politische Dimensionen eine Rolle spielten, wollte man doch, vielleicht auch unbewusst, in der wilden Landschaft ursprünglicher Natur, gerechtere Welten und erstrebenswerte gesellschaftliche Strukturen sehen. Das in den Darstellungen völlige Fehlen von Industrie, Technik aber auch Armut, erschuf so eine körperlich und geistig gesunde (Gegen-)Welt – die Leserin/der Leser mag darin sicher eine erstaunliche Parallele zu gegenwärtigen gesellschaftlichen Entwicklungen erkennen.

Der reich illustrierte Katalog zeigt Bilder, die aus heutiger Sicht kaum noch zu lesen sind, zumal sie in einer künstlerischen Sprache verfasst wurden, die auch von heutigen KunsthistorikerInnen selten verstanden wird, und welche deshalb lediglich nur interpretiert werden kann. Spannend ist das ganze trotzdem, gerade weil es sich nämlich bei den Kunstwerken in den meisten Fällen nicht um Unikate, sondern um immer gleiche oder ähnliche Motive, in hoher Auflage handelt. Möglicherweise sind die Gemälde aber gerade durch diese immer wieder nahezu idente theatralische oder bühnenbildhafte Inszenierung der Alpen zu einem bloßen Klischee geworden.

Dautermann folgt dem Ruf der Berge und zerlegt – wahrscheinlich als einer der ersten – die vordergründig einseitigen Bildthemen in ihre Bestandteile – die Alpendarstellungen werden dabei nicht nur als Gesamtphänomen untersucht, sondern auch innerhalb des Gezeigten (wie etwa religiöse Einkehr, Licht, Alpenglühen, Wetterstimmungen, Nacht, Jahreszeiten, Wasser, Hochgebirge, Pässe u.v.m.) verglichen. So darf es auch nicht verwundern, wenn qualitativ hochwertige Werke, z.B. aus dem Œuvre eines Caspar David Friedrich, neben dilettantisch gemalten Bildern angeführt werden.

Doch nicht nur die Art der Darstellungen an sich ist Gegenstand des Interesses in dieser Publikation, sondern darüber hinaus auch dessen Beziehung zum Wohnraum, etwa in Interieurs und Tapeten. Denn: Bilder, die früher zu den Einrichtungsgegenständen gehört haben, galten lange Zeit als Statussymbole und sollten als Beweis dienen, dass man sich so eine Reise leisten konnte. Überhaupt – und das ist äußerst lobenswert – bleibt das Buch Dautermanns mit seinem Blick nicht nur an den Gemälden hängen, sondern widmet sich des Weiteren den wechselseitigen Beeinflussungen verschiedener Techniken – bemalte Holzdosen, Lithografien, übermalte Fotografien, geschnitzte Souvenirs, kolorierte Glöckchen, Keramikteller, Wanduhren u.v.m. tragen dazu bei, die Alpendarstellungen des 19. Jahrhunderts nicht nur als Kitsch, sondern als wirkliches kunsthistorisches Phänomen zu begreifen.

Die Forschung steht bei diesem Thema noch ganz am Anfang und nicht umsonst eröffnet Dautermann sein Buch anstellte eines Forschungsüberblicks mit einem Aufsatz darüber, »was wir bis heute wissen und was wir nicht wissen«. Gesichert ist aber, dass es sich bei der vorliegenden Publikation um einen spannenden Band handelt, der dazu anregt, sich auch in Zukunft mit den daraus entstehenden Fragen zu beschäftigen. Der Autor wählte für dieses komplexe kulturhistorische Gebilde zudem eine flüssige Sprache, die es nicht nur einfach macht, den Gedankengängen des Kulturhistorikers zu folgen, sondern welche sogar die zum Teil dilettantischen Gemälde reizvoll erscheinen lässt. Behandelt werden etwa zweihundert europäische Bergregionen schildernde Landschaftsdarstellungen, allesamt mit ausführlichen Angaben unterschrieben, wodurch diesbezüglich keine weiteren Wünsche aufkommen.

Auch eine »Kritik der Alpenmalerei« findet in dem Buch Platz, ebenso ein Katalog, der zweiundfünfzig ausgewählte und repräsentative Künstler und deren Schaffen vorgestellt und zwischen dessen Seiten es auf alle Fälle den einen oder anderen Namen (neu) zu entdecken gibt – etwa Theodor Nocken (1830–1905). Abgerundet wird das Ganze von einem weiterführenden Literaturverzeichnis sowie einem Register der auf den Bildern dargestellten Landschaften und Orte. Darüber hinaus zeigen die hochaufgelösten Abbildungen die Objekte und Gemälde nicht nur in beindruckender Qualität, sondern letztere sogar mit ihren, in vielen Fällen nicht weniger interessanten, Rahmen, was heutzutage in kunsthistorischen Publikationen eher eine Seltenheit ist.

Liebevoller hat man sich den Alpendarstellungen des 19. Jahrhunderts wahrscheinlich noch nie gewidmet!

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