Ausstellungsbesprechungen

Cindy Sherman – Untitled Horrors, Kunsthaus Zürich, bis 14. September 2014

Eigentlich ist schon alles über Cindy Sherman geschrieben worden. Seit mehr als 30 Jahren gehören ihre fotografischen Selbstinszenierungen, in denen sie stereotype Rollen hinterfragt, zum festen Bestandteil der zeitgenössischen Kunstszene. Da schockt nichts mehr. Oder doch? Rowena Fuß musste sich in Zürich eines Besseren belehren lassen.

Es ist ein Gefühl des Unbehagens, das mich ergreift, als ich in die mit orangen Wimpern umrandeten weit aufgerissen Augen einer Puppe blicke. Wohin führt ihr Blick? Was hat sie erschreckt? Vielleicht ist es der Tatort eines weiteren Bildes, der in der Sichtachse hängt. Aus dem mit  Zweigen und Blättern bedeckten Boden stehen eine Hand, eine Nase und ein künstliches Gebiss hervor. Obenauf liegt eine Puderdose mit Spiegel. Aus diesem starren Shermans Augen auf diese verdrehte Welt.

Ihre Arbeiten zeigen nur selten Everybody’s Darling, meist sind es menschliche Ungeheuer oder verstümmelte Puppen. Hier steht eine Madonnendarstellung neben dem Porträt einer grell geschminkten, rothaarigen Prostituierten, dort blickt eine Kinderpuppe auf eine schokobraune Monsterfratze. Schrecken über Schrecken. Dennoch ist dieser auch in Shermans weiteren Arbeiten nie wirklich zu fassen. Ganz wie der Ausstellungstitel verspricht. »Untitled« steht auch als Bezeichnung unter ihren Werken. Dies hängt mit der Intention der Künstlerin zusammen, die Lesart der Bilder offenzulassen. Der Betrachter soll die in den Fotografien angelegten Geschichten selbst entwickeln.

Eins ist klar, diese Frau möchte nicht nur schockieren, sondern den Betrachter dazu anregen, über scheinbar festgefügte Strukturen nachzudenken. Es geht um die Dekonstruktion gesellschaftlicher Codes und Verhaltensregeln. Das kann ein traditionelles Weiblichkeitsbild sein oder ein ästhetischer Kanon, dem sie in ihren Inszenierungen widerspricht. Bezwingend ist, dass die Figuren keineswegs gespielt wirken. Geschaffen aus dem subtilen Zusammenspiel von Gesichtsausdruck, Kleidern, Hintergrund, Licht und der Atmosphäre, die jedem Bild eigen ist, ist Cindy Sherman die verkörperte Hausfrau, Tussi oder der Clown.

Geradezu widerlich ist die aus sechs Teilen bestehende Nahaufnahme eines zerschmetterten Tellers. Dieser ist über und über mit verschimmelten Soße-, Brei- und Klopsresten bedeckt. Als ich mich dem Bild nähere, bemerkt gerade eine Ausstellungsführerin, dass sie schon eine Gruppe hatte, die sich des Bildes verweigerte und überallhin schaute, nur nicht darauf. Ich kann das nachfühlen. Immerhin bieten die breiten Gänge zwischen den Ausstellungswänden genug Möglichkeiten, sich ein wenig vom Gesehenen zu distanzieren.

Frühe »Untitled Film Stills« (1977-1980) stehen den späteren »Society Portraits« (2008) gegenüber, Bilder der »Fashion«-Serie (1983-1984) denen aus der Reihe »Clowns« (2003-2004). Diese Gegenüberstellungen lassen mir regelmäßig einen Schauer über den Rücken laufen. Es ist wie im Horrorfilm, in dem sich Momente der Anspannung und Entspannung abwechseln. Nichts ist so, wie es scheint. Selbst die stark geschminkte Society-Lady mit blauem Seidengewand und rosa 1-Dollar-Plüschpuschen hat etwas Heuchlerisches. Daneben hängt eine Aufnahme von Sherman im Staub. Sie ist über und über mit dem giftig grünen Zeug bedeckt und zieht sich über den schuttbedeckten Boden – oder verschwindet in ihm.

Den hier quasi vorweggenommenen Untergang der Künstlerin muss man aber nicht befürchten. Während die New Yorker Galerie Metro Pictures, von der Sherman vertreten wird, 1981 noch rund 1.000 Dollar für eine Fotografie verlangte, waren es 2008 schon rund 200.000 Dollar. 2011 brachte eine Fotografie bei Christie’s sogar rund vier Millionen Dollar ein.

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