Die Staatlichen Kunstsammlungen Dresden widmen sich in ihrer Sonderausstellung »Dahl und Friedrich – Romantische Landschaften« einem Vergleich der kanonisch gewordenen Werke dieser beiden Künstler und spüren dabei ihrer außergewöhnlichen Freundschaft nach. Julia Siebrecht ist dieser Spurensuche gefolgt.
Die Ausstellung macht sich die biografische Verbundenheit, die in Genre und Motiven gründende Verwandtschaft der Arbeiten Caspar David Friedrichs und Johan Christian Dahls zum Thema, und nutzt diese als strukturierendes Moment der Werkpräsentation und der Ausstellungskonzeption. Sie stellt beider Art der künstlerischen Aneignung von Natur einander gegenüber – Dahl porträtiert bezeichnenderweise die Birke, Friedrich ist mit einer Eichenzeichnung vertreten, deren Gestalt im gleichfalls ausgestellten Gemälde »Eiche im Schnee« (1827/28) wiederkehrt – und ermöglicht einen direkten Vergleich der Werke Dahls und Friedrichs anhand von See-, Wald- und Gebirgslandschaften. Mit dieser Strategie liefert sie gleichzeitig einen Einblick in das Wesen romantischer Landschaftsmalerei.
Den Auftakt zur Ausstellung bildet eine historische Fotografie des Wohnhauses, das der 1818 nach Dresden gezogene Norweger zusammen mit dem schon zwei Jahrzehnte in der Stadt ansässigen Caspar David Friedrich ab 1823 gemeinsam bewohnte. Die Fotografie der gemeinsamen Wohn- und Arbeitsstätte, die auch die Ateliers seiner berühmten Bewohner beherbergte, steht als Metapher für das hohe Maß an Sympathie, das beide dem Norden entstammenden Künstler füreinander empfunden haben müssen. Sie präsentiert die Stadt gleichermaßen als Wirkungsort und Pilgerstätte der romantischen Landschaftsmalerei, die eine Konkurrenz zur örtlichen Kunstakademie darstellte und vielen progressiven Künstlern attraktiver erschien. Diese damals innovative Anschauung der Natur, die sich in den Gemälden der Romantiker manifestierte und von den Vertretern der klassizistischen Akademiekunst skeptisch beäugt bis abgelehnt wurde, wirkte vor dem reproduzierenden Schematismus der Akademielehre frisch, kreativ, lebendig.
Eine Episode, die in der Gegenüberstellung der Werke »Zwei Männer in Betrachtung des Mondes« (1819/1820, Friedrich) und »Fluss am Plauenschen Grund« (1820, Dahl gleich nach Eintritt in die Ausstellung aufgegriffen wird, erzählt das erste Kapitel dieser Freundschaft.
Johan Christian Dahl hatte es aufgrund fehlender Sprachkenntnisse nicht leicht, in den örtlichen Kreis der Kunst- und Kulturschaffenden aufgenommen und von diesem akzeptiert zu werden. Friedrich unterstützte den Neuankömmling von Beginn an, heißt es. Er lobte die Szene aus dem »Plauenschen Grund«, an der Dahl kurz nach seiner Ankunft in Dresden zu arbeiten begonnen hatte, überschwänglich. Als so herausragend, wie Friedrich das Gemälde rühmt, erscheint es dem heutigen Betrachter – wie auch schon einigen Zeitgenossen – nicht mehr. Womöglich sollte sein Lob für das Werk eher eine vertrauensbildende Maßnahme sein, weil das Dresdner Publikum dem sich in der Öffentlichkeit rarmachenden zugereisten Norweger anscheinend latentes Misstrauen entgegenbrachte. Friedrichs fast schon ikonisch gewordene Mondscheinlandschaft ist ein Präsent für Dahl, das er ihm kurz vor dessen Abreise nach Italien machte. Mit Wissen um die soziale Funktion des Bildes liegt es nahe, die einander innig zugewandten Bildfiguren als Dahl und Friedrich zu identifizieren. Dahls Gegengabe »Fluss am Plauenschen Grund«, in dem er sich von den Werken Ruisdaels aus der Kurfürstlichen Gemäldegalerie inspiriert zeigte, ist Ausdruck der die beiden einenden Naturverbundenheit.
Der Ausstellung ist daran gelegen, den regionalen Bezug herzustellen, der den Besuchern einen direkten Zugang zur Veduten- und Landschaftsmalerei der Romantik ermöglicht. Dresden kann Ende des 18., Anfang des 19. Jahrhunderts zweifelsohne als ein bedeutender Anziehungspunkt erstrangigen Geisteslebens angesehen werden. Die Strahlkraft der Gemäldegalerie, die in den Besitz großer Werke der italienischen Hoch- und Spätrenaissance gekommen war, wirkte auf auswärtige Intellektuelle wie die Gebrüder Schlegel, Caroline Schlegel-Schelling, Goethe oder Heinrich von Kleist. Literarische und kunsttheoretische Zeugnisse gingen aus diesen Aufenthalten hervor, die vornehmlich Kunstwerken huldigten, die zuvor auf kurfürstliches Geheiß hin nach Dresden importiert worden waren. Zwar ist kein unmittelbarer Kontakt Dahls oder Friedrichs zu jenen Literaten dokumentiert, ihr Kunstverständnis indes ist nicht so weit entfernt von einer betont individuellen, emotionalisierten und auf eine weihevolle Beseelung des Dargestellten zielenden Kunstbetrachtung, die in der Anschauung der Sixtinischen Madonna von den Dichtern vorgeführt wird und in der Landschaftsmalerei Caspar David Friedrichs wiederkehrt. Zudem bot die Stadt mit der Königlichen Bibliothek einen ausgezeichneten Literaturbestand, auf welchen neben Friedrich Schlegel etwa auch Novalis zurückgriff.
Im Übrigen schätzte man auch das pittoreske Flair des Zusammenspiels von barocker Architektur und idyllischer Flusslandschaft, das Bernardo Bellotto malerisch in Szene setzte, und in seiner Nachfolge auch die beiden Protagonisten der Ausstellung. Der direkte Vergleich, den zu ziehen man durch die Hängung der Werke zwischen denen Friedrichs und Dahls angeregt wird, fördert solcherlei Feinheiten zutage. Während Dahl einen Bellottos Vedute sehr nahekommenden Bildausschnitt wählt, die barocke Silhouette allerdings in ein nächtliches Dunkel versetzt, und den Flusslauf durch die Spiegelung des gleißenden Mondlichtes hervorhebt, grenzt sich Friedrich in seinen Stadtansichten Dresdens vom konventionellen Darstellungstypus ab. Er verweigert sich diesem geradezu, indem er die markanten Turm- und Kuppelspitzen von einer recht weit entfernten Anhöhe verschwindend klein und schmal ganz ohne monumentalisierende Untersicht eher erscheinungshaft andeutet als bildnerisch ausformuliert. An architektonischen Details hält er sich nicht auf, vielmehr scheint ihn in »Hügel mit Bruchacker bei Dresden« die Verästelung, die gegenseitige Verschränkung und Verschlingung der Baumzweige weit mehr anzugehen als die gestalterische Ausdifferenzierung der charakteristischen Baukörper.
Im Gegensatz zu Johan Christian Dahls Nachtstück lässt sich Caspar David Friedrichs Lichtdramaturgie tageszeitlich einem Sonnenaufgang zuordnen, wenngleich die Illumination ausdrücklich nicht die bloße Wiedergabe eines meteorologischen Phänomens zum Ziel hat. Das gleichmäßig in goldenes Licht getauchte Firmament wird vielmehr als Versinnbildlichung reiner Geistigkeit interpretiert, als visueller Ausdruck des Transzendenten, das mit dem romantischen Motiv der Unendlichkeit, des Unfassbaren verknüpft ist. In der sinnlichen Anschauung der Natur offenbart sich das Selbstbewusstsein des Menschen, das elementar ist für die Konstituierung des menschlichen Ichs. In seinen Landschaften manifestiert sich die Erkenntnis der Transzendenz des Objekts, die aus dem sich versenkenden Subjekt heraus vollzogen wird. Dieser Konnex zum deutschen Idealismus ist wohl ein Bestandteil dessen, worin das Geistige in den Landschaften Friedrichs gesehen wird und was ihn unterscheidet von seinem Freund und Kollegen Johan Christian Dahl, dessen Malerei das Atmosphärische, Realistische, die Wiedergabe des Topografischen kennzeichnet. Besonders deutlich manifestiert sich dies noch einmal in der sehr unterschiedlich ausfallenden künstlerischen Behandlung desselben Darstellungsgegenstands, für das exemplarisch die Stadtansicht Dresdens herangezogen wurde. Wie bei den Veduten steht der Regenbogen, der bei Friedrich schon stark stilisiert erscheint, der naturalistischen Einbettung des Motivs in eine vitale Berglandschaft bei Dahl entgegen.
Hervorzuheben ist die außerordentlich hochwertige und gelungene Zusammenführung der Werke beider Künstler, die in dieser Form für die nächste Zeit wohl einmalig bleiben wird. Ein Großteil der ausgestellten Werke Dahls sind Leihgaben des Osloer Nationalmuseums sowie des Bergener Kunstmuseums. Auch die zahlreichen Leihgaben von Friedrich-Bildern aus vorrangig deutschen Museen wie »Ruine im Riesengebirge«, die »Frau in der Morgensonne«, »Kreidefelsen auf Rügen«, »Felsenriff am Meeresstrand« oder die »Frau am Fenster« verbinden sich in Dresden mit den Gemälden des dortigen Bestands (»Hünengrab im Schnee«, »Das Kreuz im Gebirge«)auf einzigartige Weise. Dass man keine reine Caspar-David-Friedrich-Ausstellung aus den zur Verfügung stehenden Werken gemacht hat, ist erfrischend, da es einen ins Hintertreffen geratenen Aspekt der Rezeption der Werke des neben William Turner wohl berühmtesten Romantikers der Malerei vertieft. Die Kuratoren der Ausstellung scheinen neben der überzeugenden Darstellung der gegenseitigen künstlerischen Beeinflussung darum bemüht gewesen zu sein, die Gemälde Friedrichs und Dahls in gleichwertigen Dialog miteinander treten zu lassen. Es stellt sich hier allerdings die Frage, ob dabei die Gemälde des Letzteren von der Hochwertigkeit, die den Bildern Caspar David Friedrichs auch auf intellektueller Ebene zukommt, profitieren, oder aber hinter ihnen zurückfallen.