Rezensionen

Das Flüchtlingskind bei Beuys. Zum Tod von Inge Mahn. Der Kunstkritiker Sebastian C. Strenger erinnert sich.

Inge Mahn, am 20. November 1943 in Teschen in Schlesien geboren, studierte an der Kunstakademie Düsseldorf zunächst bei Karl Bobek und wechselte auf der Suche nach Innovation in die Klasse von Joseph Beuys. Bis zuletzt wirkte die Lehre Ihres Meisters auch in ihrer Tätigkeit als ehemalige Professorin für Bildhauerei an verschiedenen Akademien (1987 – 2009) nach. Mit 79 Jahren ist die Künstlerin am vergangenen Wochenende verstorben. Kunstkritiker Sebastian C. Strenger besuchte sie zuletzt im brandenburgischen Groß Fredenwalde, wo sie das vergangene Vierteljahrhundert lebte und arbeitete. Ein Gespräch über Patriachat, Joseph Beuys und dem eigenen Ich als Flüchtlingskind.

© Holger Niehaus
© Holger Niehaus

Ich war zwar da, aber ich bin keine typische Beuys-Schülerin und habe auch nicht Beuys studiert, sondern ich habe Bildhauerei studiert. 1964 an der Akademie begonnen, bin ich drei
Jahre später zu Beuys gewechselt, denn Bobek war auch der Ansicht, dass Frauen keine Künstler sein können. Und ich dachte so bei mir, okay, dann bin ich eben keine Künstlerin, aber
ich mach was! Als ich dann wechselte, war die Klasse noch sehr klein. Aber Blinky Palermo, Imi Knoebel und Katharina Sieverding waren schon da.
Bereits auf dem Land, dort wo ich aufgewachsen bin, kannte ich schon das Bild mit dem Mann, wie er in der Galerie saß mit dem toten Hasen in Gold und das hat mich damals gar nicht
sonderlich erstaunt oder provoziert. Sondern ich fand das ganz in Ordnung. Ich lernte damals Reiner Ruthenbeck kennen, mit dem ich nur wenig sprach und der sich dann veranlasst sah, mir zu sagen: „Ich soll mich mal öffnen und wenn Du nichts sagen willst, dann musst Du zu Beuys kommen. Da musst Du nicht reden“. Und das fand ich auch gut! Er hat Dich auch wirklich in Ruhe gelassen und Dinge zugelassen. Man denkt, dass man da beeinflusst wird, aber ich dachte immer, dass ich da zuhause bin!

Die Ringgespräche wurden damals von einer Studentin vorgeschlagen und Beuys sagte kurzerhand: „Ist gut. Das machen wir“! Es wurde dort eigentlich nicht über Kunst gesprochen, sondern im Beuys-Verständnis sollten man einfach „nur“ sprechen oder zuhören. Das war für mich ganz gut. Einmal ging es um „Angst“ und Beuys fragte: „Ja, wer hat denn Angst; wo vor soll man denn Angst haben? Eigentlich muss man doch gar keine Angst haben!“ In der damaligen Zeit war das sehr wichtig! Alles lebte davon, Dinge zuzulassen, damit auch etwas passieren konnte. Sein Verdienst dabei war, dass er nicht aus-schließlich gearbeitet hat – also nur Ich, Ich, Ich - sondern dass er ein-schließlich gearbeitet hat, indem er Arbeiten von Student:innen mit aufgenommen hat. Und dass er gerade in dieser Zeit Mut gemacht hat!

Man überlege mal, er kam aus dem Krieg und es war eine damals völlig verstörte und zerstörte Generation. Viele davon gingen damals in die sogenannte „Irrenanstalt“ und ich meine, dass Beuys auch diese Zeit aufgearbeitet hat und war auf keinen Fall, wie jemand behauptet, ein Nazi! Auf keinen Fall. Eher ging es zur Überwindung dieses Traumas anarchisch zu. Aber ich wollte keine Kopie von Beuys sein, sondern mein Eigenes machen und keiner seiner „Jünger“ werden. Ironischerweise habe ich damals immer gefragt: Warum sind hier so viele Flüchtlingskinder; ich kam ja aus Schlesien. Liegt es daran, dass keiner mit uns spielen
wollte? Vielleicht, also mussten wir uns etwas anderes überlegen. Und sein Ausspruch, „Mensch, Ich hab schon gute Frauen hier“, hat dann aber auch seine Wertschätzung ausgedrückt.

Übrigens kam ich einmal nach den Ferien braungebrannt zurück an die Akademie. Ich traf ihn auf dem Flur und er sagte: „Wo wars´te denn“? Und da sagte ich: Bei Brück (Drogerie Brück). Ich hab´ Farbe geholt“! Und genau so war die Zusammenarbeit. (Gemeinsames Lachen)

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