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Der Meister von Flémalle und Rogier van der Weyden - Frankfurt, Städelmuseum, verlängert bis 1. März 2009

Schöner kann man sich eine unfreiwillige Werbetrommel kaum vorstellen: ihre Töne klangen zwar letztlich falsch, fügten sich jedoch zu einem so harmlosen Liedchen, dass man sich in Zeiten der schrillen Reizüberflutung beruhigt zurücklehnen konnte. Was war geschehen? Ein Denkmalpfleger aus Halle glaubte im »Porträt einer Frau«, einem Gemälde, das möglicherweise Robert Campin um 1430 gemalt hatte, ein Selbstporträt des Künstlers auf dem Funkelsteinchen eines Fingerrings entdeckt zu haben. Das wäre eine Sensation gewesen, denn die Künstlerpersönlichkeit ist heute nicht mehr greifbar – man bringt Campin allenfalls mit dem Notnamen Meister von Flémalle in Verbindung.

Abwegig war die euphorisch in die Tagespresse gestellte Nachricht nicht: Heerscharen von Kunsthistorikern haben beispielsweise über die Morelli-Methode Zuschreibungen erarbeitet, indem sie gerade das Nebensächlichste auf den Bildern anonymer Maler deuteten. Allein der Ring dieser porträtierten Dame zeigte bei genauer Betrachtung nichts als farbiges Allerlei. Die kurze Aufregung war schnell vorbei, die Aufmerksamkeit blieb: für den Künstler, der im Frankfurter Städel in einer fulminanten Schau gezeigt wird, eben jenen Meister von Flémalle oder auch Robert Campin. Die Nachfrage war immerhin so beachtlich, dass die Ausstellung nun bis zum März verlängert wurde.

Um den altniederländischen Maler einzuordnen, muss man ihn neben die berühmten Meister Rogier van der Weyden und Jan van Eyck (der hier nur vergleichsweise genannt sei) stellen, die aus der Geschichte der Gattung nicht wegzudenken sind und der neuzeitlichen Tafelmalerei, insbesondere der Ölmalerei, vielleicht mehr Impulse gaben als die italienischen Kollegen. Der Flémalle-Meister wird allerdings erst in dieser, bislang noch nie gezeigten Übersicht ins rechte Licht gestellt – das Frankfurter Städel holte nahezu alle Arbeiten ins Haus, die transportfähig waren – und gemeinsam mit seinem Schüler oder besser zeitweiligen Ateliergenossen Rogier präsentiert. Rund 50 Werke, die sicher nie mehr auf so kleinem Raum vereint sein werden (auch wenn Frankfurt und Berlin einiges zu bieten haben), sind zu sehen und lassen den Besucher den Atem anhalten: Nie zuvor und im 15. Jahrhundert nirgendwo sonst wurde die Wirklichkeit so detailversessen und etwa Alterserscheinungen so drastisch dargestellt wie in jenen Werkstätten von Campin, van Eyck & Co. – wofür man den schönen Namen »Ars nova« gefunden hat. Ob Stoff oder Metall, das Öl und die Verwendung von Blattgold ließen keine Wünsche offen. Und das Ei hatte als Farbmittel seine Position eingebüßt.
 
Was für Homer und Shakespeare gilt, ist für den Meister von Flémalle auch durchaus werbewirksam: das Mysterium über die Person, das bis hin zur Frage geht: Hat es sie überhaupt gegeben? Es ist noch gar nicht ausgemacht, dass Robert Campin unter verschiedenen Kandidaten der richtige Name hinter dem Schöpfer so wunderbarer Bilder ist wie dem Londoner »Seilern-Triptychon« und dem »Mérode-Altar« in New York. Doch deutet der Seitenblick auf Rogier van der Weyden darauf hin, ohne Gewähr (Max J. Friedländer sah sogar Rogier und Flémalle/Campin noch als einen Künstler an). In Frankfurt begegnet man auch dem weniger bekannten Schüler Rogiers, Jacques Daret, der bei der detektivischen Spurensuche ein Bindeglied darstellt. Die Kuratoren der Frankfurter Ausstellung, Stephan Kemperdick und Jochen Sander, trauen dem Meister von Flémalle vieles zu, aber bevor sie sich endgültig auf die Seite Flémalles schlagen, setzen sie vorerst auf die Überzeugungskraft eines erstaunlichen Werkes, das möglicherweise mehrere Väter hat.
 
Der Katalog beschäftigt sich mit sämtlichen Facetten des »Unternehmens« Flémalle & Rogier: Werkgruppen und Werkstätten werden genauso vorgestellt wie die Arbeit der Restaurierungsfachleute beschrieben werden.

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