Peter Weibel war ein streitbarer Grenzgänger. Zwischen seiner Beteiligung am bahnbrechenden Destruction in Art Symposium im London des Jahres 1966 und zwei Jahre später bei der legendären Aktion »Kunst und Revolution« (1968) in den Tagen des Wiener Aktionismus wurde er groß und nahm später in seinen kunsttheoretischen Betrachtungen seismografisch die Entwicklungen im Kunstgeschehen vorweg. Bis zuletzt sorgte er für das Karlsruher Zentrum für Kunst und Medien (ZKM), als dessen langjähriger Museumsdirektor er fungierte, für Furore. Nun ist der Vater der Medienkunst nach kurzer schwerer Krankheit verstorben. Der Nachruf eines Freundes.
»Schiach aber schee«, so brachte er den Platz vieler gemeinsamer Treffen am Franziskanerplatz 3 in Wien auf den Punkt. Und so mochte er es am Liebsten. Im Kleinen Café unter einem Tonnengewölbe wurden es unzählige Gespräche mit Peter Weibel. Wendig kontrovers, immer mit diesem osteuropäischen Dialekt mit rollendem R eines aus Odessa stammenden und in Österreich groß gewordenen Jungen, der sich auch im hohen Erwachsenenalter noch seiner Kindlichkeit bewahrt hatte und dessen Begleitmusik seiner Sätze ein immer aufbrausend bis verschmitztes Lachen war.
Nur selten bin ich jemandem begegnet, der alle Rollen, die er in seinem Leben spielte, durchweg so gut ausfüllte. Aber Weibel war ein Tausendsassa und immer zu 100 Prozent mit Leidenschaft dabei, wie auch schon im Februar 1968, als er sich von Valie Export an einer Hundeleine zunächst zu einer Vernissage in die Galerie nächst St. Stephan und eine Woche später dann über Wiens Kärntnerstrasse führen liess. Der Mann am Gängelband der Frau – der bürgerliche Protest war gewaltig. Und kalkuliert. Denn Grenzgänger Weibel thematisierte bereits früh das Matriachat als Gegenentwurf einer Gesellschaft, die von patriachalen Strukturen geprägt war und übte, wie auch die Wiener Aktionisten, einen immer größer werdenden gesellschaftlichen Reformdruck auf die Politik dieser Tage aus.
Weibel ein Aktivist? Bis zum letzten Atemzug, hätte dieser gesagt. Aber vor allem für die Kunst. Gleichwohl galt dies für den Aktions–, Performance–, Video–, Sound– und Fotokünstler, dem minimalistischen Maler und Installationskünstler Weibel, aber auch dem Kunsttheoretiker, Publizist und Wissenschaftler Weibel und nicht zuletzt dem Kultur–Funktionär, der er auch war. Dabei war Weibel in seinen oft brillanten Denkansätzen dem Heute seherisch voraus. Mit einem schnellen Blickwechsel und nicht nur aus dem Blickwinkel des digitalen Zeitalters, sondern auch als Transmitter und mit Perspektive des analogen Zeitalters.
Er war einer der Ersten, der für die Kunstwelt einordnete, wie etwa »treffen sich Leute, die früher separierte Gemeinschaften bildeten, in der großen Gemeinschaft der sozialen Medien, so sind dies die neuen Kirchen, das sind die neuen Parlamente, wo das Neue verhandelt wird«. Er besaß die Fähigkeit, seismografisch zu denken und nahm in seinen messerscharfen Analysen bereits das Massenphänomen Instagram und dessen Bedeutung für den Kunstbetrieb vorweg, als noch niemand daran dachte. Ebenso seine Beschäftigung mit dem Thema NFT–Kunst und wegweisende Ankäufe für das ZKM, wie auch die der spanischen Computer–Kunst Pionierin Elena Asins.
Weibel wurde vielfach ausgezeichnet. So auch unter anderem mit dem angesehenen »Käthe Kollwitz Preis« (2004) und dem »Oskar Kokoschka–Preis« (2014). Er leitete von 1989 bis 1994 das von ihm gegründete Institut für Neue Medien an der Städelschule Frankfurt/Main und war von 1993 bis 1999 Österreichs Kommissar für die Venedig–Biennale sowie künstlerischer Leiter der Neuen Galerie am Landesmuseum Joanneum in Graz. Nach einem arbeitsreichen Leben als Gastprofessor von Buffalo (1984–1989) über das kanadischen Halifax (1998) bis nach Helsinki (2007), lehrte er zuletzt im Wintersemester 2018/2019 an der Kunstakademie in Düsseldorf.
Die Galerie nächst St. Stephan richtete ihm noch als Lektor für »Theorie der Form« an der Hochschule für angewandte Kunst (1976–1983) in Wien mit Kosmologie des Paradoxen (1975) und Die unendliche 1–Wort–Ausstellung & Skulpturen (1977) zwei seiner frühesten und bedeutenden Einzelausstellungen aus. Rund 50 Solo–Ausstellungen sollten es international in seinem Künstlerleben werden.
Noch vor einer Woche erhielt das ZKM zehn bedeutende Kunstwerke, die zwischen 1968 und 1993 entstanden sind, sowie große Teile des Archivs des Medienkünstlers und scheidenden ZKM–Chefs Peter Weibel. Dieser schloss vergangen Mittwoch, kurz vor seinem 79. Geburtstag, für immer seine Augen. Die Kunstwelt wird ihn und seine seherischen Fähigkeiten vermissen.
(Der Autor ist internationaler Kurator und Kunstkritiker und war langjähriger Weggefährte und Freund des Künstlers Peter Weibel.)