Trier beeindruckt durch seine römischen Baudenkmäler und die in der Stadt überall präsente Antike. Genau die ist Thema der aktuellen Ausstellung im Rheinischen Landesmuseum: Stadttopographie, Grundrisse und Alltagsleben am Limes bringt sie dem Besucher näher. Doch nicht nur das: Sie präsentiert obendrein Skulpturen, Mosaiken und andere Kunstwerke und lässt so die römischen Städte lebendig werden. Rainer K. Wick hat sich die Ausstellung angesehen.
Keine Stadt nördlich der Alpen ist so reich an zum Teil gut bis sehr gut erhaltenen Monumentalbauten aus römischer Zeit wie Trier. Man denke nur an die Porta Nigra, an die Palastaula (Basilika), den größten stützenlosen Saalbau der Antike, an die noch als Ruinen eindrucksvollen spätantiken Kaiserthermen, an das in die römische Stadtbefestigung integrierte Amphitheater oder an die alte Moselbrücke. Das unter Kaiser Augustus gegründete Augusta Treverorum gilt nicht nur als die älteste Stadt Deutschlands, sondern gehörte mit zeitweise bis zu 80.000 Einwohnern zu den Großstädten des Imperium Romanum. Das Rheinische Landesmuseum der Moselstadt beherbergt eine hervorragende Sammlung römischer Artefakte, und insofern ist dieses Haus geradezu prädestiniert, Einblicke in das »Stadtleben im römischen Deutschland« – so der Untertitel der Sonderschau – zu bieten.
In farblich auf eine intensives Rot gestimmten Sälen wird deutlich, nach welchen Kriterien die Römer ihre Städte anlegten, wie in ihnen Öffentlichkeit organisiert war und wie sich dort das private Leben abspielte. Dabei richten die Kuratoren ihr Augenmerk nicht allein auf städtische Siedlungen in den Provinzen Gallia Belgica sowie Ober- und Untergermanien, sondern beziehen Oberitalien, Spanien und Nordafrika in die Betrachtung ein. Obwohl auch Fundstücke aus der rechtsrheinischen Limesregion gezeigt werden, ist aber Trier der maßgebliche Referenzpunkt der Ausstellung – in den ersten Jahrhunderten nach Christus eine florierende Metropole (urbs opulentissima) und im späten 3. und frühen 4. Jahrhundert Residenz mehrerer weströmischer Kaiser, unter anderem Konstantins, der später Konstantinopel als »Nova Roma«, als neues Rom, gründete.
Ein großes Modell des römischen Kolosseums stimmt den Besucher der Ausstellung, die auch mit einer fabelhaften, circa zehnminütigen 240-Grad-Animation aufwartet, auf das Thema ein. Denn Rom galt für alle Stadtgründungen des Reichs als Vorbild, zumindest im Hinblick auf die grundsätzlichen Vorstellungen von kultivierter Urbanität, funktionierender Verwaltung, prosperierender Wirtschaft, öffentlichen Vergnügungen, gediegenem Wohnen und privatem Luxus. Kein Vorbild war allerdings der urbane Wildwuchs der Kapitale, Resultat der Tatsache, dass in Rom nicht ein rationaler „Masterplan“ bestimmend war, sondern auf dem unregelmäßigen Gelände der sieben Hügel über Jahrhunderte gebaut, umgebaut und neu gebaut wurde. Sofern die topographischen Verhältnisse es zuließen, zeigen im Unterschied dazu die städtischen Neugründungen im gesamten Imperium Romanum ein überaus regelmäßiges Erscheinungsbild, wurden die Städte doch mit rechtwinklig sich schneidenden und nach den Himmelsrichtungen orientierten Hauptstraßen geplant, dem nord-südlich ausgerichteten Cardo und dem west-östlich verlaufenden Decumanus, ein Schema, aus dem ein streng orthogonales Raster mit rechteckigen Häuserblocks (insulae) resultierte (sogenanntes Hippodamisches Schema). So war auch das römische Trier eine auf dem Reißbrett konzipierte Stadt, und wie die anderen Städte des Reichs besaß die Moselmetropole alle charakteristischen Merkmale einer römischen Stadt: ein Forum mit Marktbasilika, Tempel und Heiligtümer, Aquädukte und Thermen, Amtsgebäude, ein Amphitheater und eine Zirkusarena sowie vor den Toren der Stadt eine Nekropole.
Was im römischen Reich ein Gemeinwesen zur Stadt machte, hing nicht entscheidend von seiner Größe ab, sondern von der jeweiligen Rechtsform. Neben Bezeichnungen wie „urbs“ und „oppidum“ ist hier vor allem zwischen den Begriffen „colonia“, „municipium“ und „civitas“ zu unterscheiden, die auf den rechtlichen Status hindeuten und damit zusammenhängen, ob die Einwohner das römische Bürgerrecht besaßen oder nicht. Nähere Ausführungen dazu finden sich in dem interessanten und unbedingt lesenswerten Katalogbuch zur Ausstellung.
Obwohl die Metropole am Tiber als Leitbild prägend war, gab es in den römischen Städten der germanischen Provinzen auch Besonderheiten. Dies lässt sich unter anderem erfahren, wenn man die reichen Skulpturenfunde in Augenschein nimmt. Die aufwendige Ausstattung des Stadtraumes und öffentlicher Gebäude mit Ehrenstatuen, die Aufstellung von Götterbildnissen, die Ausschmückung der Privathäuser reicher und privilegierter Bürger mit Figuren aus Stein und Bronze und die skulpturale Gestaltung repräsentativer Grabmäler gehörten im gesamten römischen Reich zum Standard. Maßgeblich für die römischen Bildhauer waren aus der etruskischen Tradition, der griechischen Klassik und dem Hellenismus gespeiste Formvorstellungen, und die Trierer Schau zeigt zahlreiche Beispiele, die dies belegen: realistische Porträtköpfe von Amtsträgern und Angehörigen der städtischen Elite, von Männern, Frauen und Kindern, ferner das Fragment einer Venusstatuette aus einem Privathaus sowie den Torso eines jugendlichen Athleten und das Fragment einer Amazone aus den Barbarathermen, im 2. Jahrhundert n. Chr. die zweitgrößte Thermenanlage nach den Thermen des Trajan in Rom; ferner den schönen Kopf eines Bacchusknaben aus den Kaiserthermen, die im Zuge der Erhebung Triers zur Kaiserresidenz und des daraus resultierenden Baubooms im frühen 4. Jahrhundert errichtet wurden.
Vielfach handelte es sich bei diesen formal und handwerklich exquisiten Marmorskulpturen um Importe aus mediterranen Bildhauerwerkstätten, doch es gab auch gröber gearbeitete Stücke aus Sand- oder Kalkstein, die vor Ort von heimischen Künstlern geschaffen wurden und eine eigentümliche Verschmelzung des klassischen Kanons mit germanischen Einflüssen erkennen lassen, die den spezifischen Reiz der provinzialrömischen Kunst ausmachen. Diesen etwas rustikalen Charakter bezeugt etwa der im Eingangsbereich der Ausstellung platzierte, eine Mauerkrone tragende sogenannte »Genius von Bad Wimpfen« aus dem Landesmuseum Württemberg in Stuttgart, eine Kontrapostfigur aus Sandstein mit kleinem Kopf und mächtigem Körper, die einst als Schutzgeist einer städtischen Ansiedlung im römischen Obergermanien figurierte, und dies gilt auch für manches Grabmonument, das sich an den Gräberstraßen und in den Nekropolen erhob.
Über den fast als global zu bezeichnenden Handel informiert eine rekonstruierte Ladenstraße, die von Importen aus Italien, Spanien, Frankreich, Griechenland, Nordafrika, Kleinasien und Britannien erzählt und davon, dass in Trier produzierte Güter wie Tuch, Glas und bemalte Töpferwaren in andere Provinzen des Reiches ausgeführt wurden. Und ökonomisch bedeutsam war offenbar auch der Weinhandel, wie das berühmte Neumagener Weinschiff zeigt, das von einem römischen Grabmal stammt und den Transport von Weinfässern auf der Mosel darstellt. Hier wird deutlich, dass die Römer neben dem im ganzen Imperium Romanum gut ausgebauten Straßennetz selbstverständlich auch die Flüsse als natürliche Transportwege nutzten, woran unter anderem ein in der Mosel gefundener, edel gestalteter Bronzebeschlag mit klassischem Genienkopf und Inschrift erinnert, der vom Bug eines als Weihegabe gestifteten Miniaturschiffs stammt.
Der Reichtum, der durch Güterproduktion und Warenhandel erwirtschaftet wurde, schlug sich nicht nur in repräsentativen öffentlichen Gebäuden nieder, sondern auch in luxuriös gestalteten und ausgestatteten Wohnhäusern. Dekoriert wurden sie mit prunkvollen Wandmalereien und Bodenmosaiken, die häufig Themen aus der Mythologie behandeln, doch findet sich auch die Darstellung eines siegreichen Wagenlenkers namens Polydus oder das Rundbild des Naturphilosophen Anaximander – Mosaike von beachtlicher formaler Qualität und erstaunlich gutem Erhaltungszustand.
Der letzte Raum der Ausstellung steht unter dem Motto »Aus der Traum« und thematisiert den Niedergang der römischen Stadtkultur in den nördlichen Reichsgebieten unter den Vorzeichen der Völkerwanderung und des Zusammenbruchs des Imperium Romanum. Ein großer, kegelförmiger Schuttberg, aus dem einzelne Marmorfragmente herausragen, erinnert an die Verheerungen, die die römischen Städte im Übergang von der Spätantike zum Frühmittelalter erlitten und daran, dass die Archäologie die Artefakte aus römischer Zeit in mühevoller Kleinarbeit aus dem meterhohen Kulturschutt der Jahrhunderte birgt. Dass das Ende des römischen Reiches für die Moselmetropole und andere Städte nördlich der Alpen nicht das definitive Ende bedeutete, sondern dass sie sich trotz zum Teil schwerer Rückschläge – im Fall von Trier etwa infolge der katastrophalen Zerstörungen durch die Normannen im Jahr 882 – seit dem Mittelalter neu formieren und positionieren konnten, wäre ein lohnendes Thema für ein neues Ausstellungsprojekt.
Die Ausstellung wird ab Oktober 2014 auch im Landesmuseum Stuttgart gezeigt.