Ausstellungsbesprechungen

Einfühlung und Abstraktion. Die Moderne der Frauen in Deutschland, Kunsthalle Bielefeld, bis 28. Februar 2016

»Frauen malen nicht so gut. Das ist ein Fakt. Es gibt natürlich Ausnahmen. Agnes Martin oder aus der Geschichte Paula Modersohn-Becker. [...] Aber auch sie ist kein Picasso, kein Modigliani, auch kein Gauguin.« So Georg Baselitz 2013 im Nachrichtenmagazin »Der Spiegel«. Dass die Annahme, Frauen könnten nicht so gut malen (in Klammern: wie Männer), schon im 17. Jahrhundert etwa von Artemisia Gentileschi oder im 18. von Angelika Kauffmann eindrucksvoll widerlegt wurde, sei nur am Rande vermerkt. Wie abwegig dieses weithin verbreitete Vorurteil auch und gerade im Hinblick auf das späte 19. und das 20. Jahrhundert ist, zeigt jetzt eine bemerkenswerte Ausstellung in der Kunsthalle Bielefeld, die unter dem Titel »Einfühlung und Abstraktion« die Leistungen malender Frauen ins rechte Licht rückt. Rainer K. Wick hat sie gesehen.

In ihrem einführenden Beitrag zum Begleitbuch der Ausstellung »Empfindung und Abstraktion. Die Moderne der Frauen« skizziert Jutta Hülsewig-Johnen, stellvertretende Direktorin der Bielefelder Kunsthalle, angenehm frei von feministischer Polemik das sozialgeschichtliche Bedingungsfeld, innerhalb dessen Frauen um 1900 zur Kunst als Beruf und Berufung fanden. In einer Zeit, in der ihnen von der Gesellschaft intellektuelle Fähigkeiten ebenso abgesprochen wurden wie die Befähigung zur Schaffung »hoher Kunst«, hatten sie erhebliche Hindernisse zu überwinden, um sich professionell als Künstlerinnen zu betätigen und zu behaupten. So wurde ihnen in Deutschland bis zum Ende des Kaiserreichs, also bis 1918, das Studium an staatlichen Kunstakademien verweigert und damit institutionell der Zugang zum Künstlerberuf versperrt. Zu den fadenscheinigen Begründungen gehörte unter anderem, dass das Aktstudium als unverzichtbarer Bestandteil der akademischen Ausbildung für junge Damen sittlich nicht zu verantworten sei, und der zur damaligen Zeit prominente Kunstkritiker Karl Scheffler verstieg sich in seinem 1908 publizierten Buch »Die Frau und die Kunst« sogar zu der Behauptung, Frauen hätten den Entschluss, künstlerisch tätig zu sein, mit »Verkümmerung, Krankhaftigkeit oder Hypertrophie des Geschlechtsgefühls, mit Perversion oder Impotenz [zu] bezahlen.«

Um sich trotz institutioneller Barrieren und geschlechtsontologisch verbrämter Diskriminierungen als Künstlerinnen positionieren zu können, gab es nur die Möglichkeit, die durch Selbsthilfe gegründeten sogenannten Damenakademien in Berlin oder München zu besuchen, also nichtstaatliche Zeichen- und Malschulen für Frauen. Hinzu kam noch die zum Teil öffentlich finanzierte Malerinnenschule in Karlsruhe. Alternativ konnten die jungen Frauen auch nach Paris gehen, um dort an einer der renommierten privaten Kunstschulen wie z. B. der berühmten Académie Julien zu studieren. Hier herrschte im Unterschied zum deutschen Kaiserreich ein liberales Klima, und die Teilnahme an den Aktkursen war problemlos möglich. Paris mit seinen progressiven künstlerischen Strömungen war damals das Tor zur Moderne, und die dort lebenden jungen deutschen Künstlerinnen profitierten sowohl davon, dass an den privaten Kunstschulen eine von akademischem Ballast eher unbeschwerte Lehre stattfand, als auch von den ästhetischen Innovationen, die in den Ateliers und Galerien der Avantgarde allenthalben sichtbar waren. Sowohl Künstlerinnen, deren Namen sofort abrufbereit sind, wie Paula Modersohn-Becker, Käthe Kollwitz oder Gabriele Münter haben sich um 1900 in Paris aufgehalten, als auch nicht so bekannte Malerinnen wie Maria Slavona, Dora Hitz, Helene Funke, Ida Gerhardi und andere, in deren Werkschaffen die Ausstellung in Bielefeld zum Teil überraschende Einblicke bietet.

Während der kunstgeschichtliche Rang von Künstlerinnen wie Kollwitz, Modersohn-Becker und Münter, von Jeanne Mammen, Hannah Höch und Meret Oppenheim schon seit langem als unbestritten gilt, gibt es zahlreiche andere Malerinnen, die kaum in einer Kunstgeschichte des 20. Jahrhunderts auftauchen, da sie gleichsam durch die Maschen einer männlich dominierten Rezeptionsmaschinerie hindurch gefallen sind. In Bielefeld kommen sie nun zu späten Ehren: Ella Bergmann-Michel, Maria Caspar-Filser, Dodo (Dörte Clara Wolff), Lilly Hildebrandt, Dora Hitz, Ida Kerkovius, Frieda Kretschmann-Winckelmann, Elfriede Lohse-Wächtler, Dorothea Maetzel-Johannsen, Anita Rée, Clara Siewert, Marie von Malachowski-Nauen und Julie Wolfthorn. Dass ihre Arbeiten jenen der Männer qualitativ nicht nachstehen, ja »sie oft genug übertreffen« (Hülsewig-Johnen), gehört zu den zentralen Einsichten, die der Besucher der Bielefelder Ausstellung mit nach Hause nimmt. Das Spektrum künstlerischer Ausdrucksweisen reicht vom Realismus und Impressionismus über den Expressionismus und die Neue Sachlichkeit bis hin zu Spielarten konstruktiven Gestaltens.

Besonders eindrucksvoll sind die Pariser Bilder von Ida Gerhardi, die das Milieu der Kneipen und Tanzlokale der französischen Metropole thematisieren und stilistisch zwischen Impressionismus und Fauvismus changieren, entstanden zu einer Zeit, als letzterer gerade im Begriff war, sich in Paris zu formieren. Typisch für die zweite Phase des Expressionismus, die direkt nach dem Ersten Weltkrieg einsetzte, sind Dorothea Maetzel-Johannsens »Weibliche Akte« von 1919, doch schon bald macht bei dieser Künstlerin, wie bei anderen auch, das expressionistische Pathos einer beruhigten, neusachlich-klassizistischen Formensprache Platz (»Am Wasser«, 1927). Jeanne Mammen und Dodo (Dörte Clara Wolff) nehmen sich mehr oder minder kritisch der mondänen Halbwelt der Zwischenkriegszeit an, und Elfriede Lohse-Wächtler schildert schonungslos die Schattenseiten der damaligen Gesellschaft und deren negative Folgen für die – eigene – physische und psychische Existenz (»Selbstporträt in fantastischer Gesellschaft«, »Absinth-Trinkerin«, beide 1931). Otto Dix, George Grosz und Josef Hegenbarth scheinen um die Ecke zu schauen, und doch sind diese Arbeiten wie jene der anderen in Bielefeld präsentierten Künstlerinnen Zeugnisse eigenständiger, selbstbewusster Persönlichkeiten. Bei Ella Bergmann-Michel, die u.a. mit Kurt Schwitters, El Lissitzky, Mart Stam und Hannah Höch Kontakt hatte, läutert sich die Bildsprache in den späten 1920er und frühen 1930er Jahren in Richtung konstruktiver Kompositionen, und auch die als Schöpferin der legendären surrealistischen »Pelztasse« bekannte Meret Oppenheim hat, wie die Bielefelder Ausstellung nachdrücklich in Erinnerung ruft, in den 1960er Jahren Möglichkeiten der geometrischen Abstraktion durchgespielt.

Henrike Mund, Co-Kuratorin der Schau in Bielefeld, stellt im zweiten Teil der Ausstellung mit Maria Lassnig (1919-2014), Christa Näher (*1947), Leiko Ikemura (*1957), Karin Kneffel (*1957) und Sophie von Hellermann (*1975) Positionen von Malerinnen vor, die ihre meist großformatigen Arbeit unter ganz anderen, erheblich günstigeren sozial-kulturellen Rahmenbedingungen entfalten konnten bzw. können als die zwischen 1895 und 1935 aktiven Künstlerinnen, die ihr Werkschaffen, wie eingangs erwähnt, gegen zum Teil tief gestaffelte gesellschaftliche Widerstände durchsetzen mussten.

So griffig der Titel der Ausstellung »Einfühlung und Abstraktion« erscheinen mag, so problematisch ist er doch. Nicht nur, dass es sich um die etwas leichtsinnige Umkehrung des Titels einer der folgenreichsten Dissertationen der Kunstgeschichte, Wilhelm Worringers »Abstraktion und Einfühlung« von 1907 (Erstveröffentlichung 1908) handelt, in der es um einen – durchaus eigenwilligen – »Beitrag zur Stilpsychologie« geht und nicht um eine genderspezifische Codierung der Leitbegriffe »Abstraktion« und »Einfühlung«, wie sie unterschwellig in Bielefeld betrieben wird. Indem im Ausstellungstitel die »Einfühlung«, ein um 1900 besonders von Theodor Lipps ausgearbeitetes Konzept, an erster Stelle rangiert, könnte der Vorstellung Nahrung gegeben oder ungewollt sogar das alte Vorurteil bekräftigt werden, als würde den »Malweibern« (so einst die abfällige Bezeichnung malender Frauen) primär die Fähigkeit zur Selbstwahrnehmung, zur Intuition und zum einfühlenden sich Hineinversetzen in Fremdseelisches zugeschrieben und als habe die eher männlich attribuierte Fähigkeit zum abstrakten Denken und Gestalten bei ihnen lediglich eine untergeordnete, zweitrangige Rolle gespielt – ein mögliches Missverständnis, das allerdings niemanden vom Besuch dieser sehenswerten Schau und der Lektüre des materialreichen Katalogbuches abhalten sollte.

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