Ausstellungsbesprechungen

Emil Nolde – Maler-Grafik, Galerie Stihl Waiblingen, bis 6. Januar 2013

Der Expressionist Emil Nolde ist bekannt für seinen meisterhaften Umgang mit Farbe. Kein Wunder also, dass seine grafischen Werke bisher weniger Beachtung fanden. Dieser Unkenntnis setzt die Ausstellung »Emil Nolde - Maler-Grafiker« in Waiblingen jetzt ein Ende. Günter Baumann war dort und hat sich von den Arbeiten des malenden Grafikers verzaubern lassen.

Zwei Jahrzehnte lang währte Emil Noldes (1867–1956) Begeisterung für die Druckgrafik, die den knapp 50-jährigen erfasste – in rascher Folge eroberte er sich die Radierung (ab 1905), den Holzschnitt (ab 1906) und die Lithografie (ab 1907), als ginge es um eine systematische Standortbestimmung im eigenen Werk. Von den insgesamt rund 500 Arbeiten, die im wesentlichen von der Stiftung Seebüll Ada und Emil Nolde verwaltet werden, hat sich die Galerie Stihl in Waiblingen an die 100 Blätter ausgesucht, die einen Querschnitt durch das grafische Schaffen des ausgemachten Malers bietet – so steht denn nicht so sehr der Farbmagier im Mittelpunkt, sondern der Schöpfer eines farblich zurückhaltenden, aber nicht minder expressiven Werks. Auf diese Weise lernt der Betrachter auch einen ganz anderen Nolde kennen – es sind nun nicht die wunderbaren Blumen-Aquarelle und nicht die stürmisch-düsteren Seelandschaften, für die er zurecht berühmt ist, vielmehr konzentriert sich das Werk fast notgedrungen auf den Menschen. Und es wird schnell deutlich, dass sich der Grafiker hinter dem Maler keineswegs verstecken muss: Allein der »Prophet« von 1912 muss zum beeindruckendsten gerechnet werden, wozu die ›Schwarze Kunst‹ fähig ist. Es ist keine Frage, dass der Brücke-Künstler dabei alle Register zieht – zum einen brilliert er in allen damals gängigen Techniken, dem Holzschnitt, der Radierung und der Lithografie, zum anderen reizt er dann doch – insbesondere in den Lithos – sein geniales Farbgefühl aus.

So sehr die Malerei im Fokus der Rezeption stand und steht, so bedeutend ist der Blick auf die Grafik, widmete Nolde sich ihr doch »mit gleicher Liebe und Hingabe«. Nicht zuletzt im Vorfeld der Ausstellung wurde man über die Mauern der Stiftung Seebüll hinweg aufmerksam auf die singuläre Arbeitsweise. Die Künstlerkollegen Noldes gingen die Druckstöcke und Kupferplatten als Grafiker an, während Emil Nolde sich ihnen als Maler näherte. Selbstverständlich kam ihm da die Lithografie, die im Expressionismus eine dem Hochdruck untergeordnete Rolle spielte, entgegen kam. In der Radierung äußerte sich dies in übereinander gelagerten Ätzvorgängen, die Holzgründe belegt er teilweise direkt mit Tusche und Pinsel, wozu er mit der Zeit auch beim Lithostein überging. Auch in den unterschiedlichen Zustandsdrucken erkennt man den Maler, der in Unikaten denkt – die Vielfalt einzelner Blätter wäre eine Abhandlung wert.

Thematisch dominieren die figurativen Motive, die sich im Typenbildnis wie in Rollenbildern zeigen: Tanzszenen, die man auch in Noldes Malerei findet, sowie groteske Phantasieszenarien, die er in der Grafik auf die künstlerische Spitze treibt. Von seinen klassischen Themen aus der Malerei übernimmt Nolde das Landschafts- und hier v.a. das Seemotiv: Die Bandbreite ist gewaltig, betrachtet man etwa die sparsam skizzierten Linien in »Segler« neben einem schwerblütigen Gewitterbild wie »Dampfer«, das auch noch den Titelzusatz »groß, dunkel« enthält. Von atemberaubender Schönheit sind auch die Darstellungen von Mühlen, sowohl im Hoch- wie im Querformat. Liegen hier die Kompositionen im Erwartbaren – was nur dafür spricht, das auch die Brücke-Expressionisten traditionsbewusst arbeiten konnten – , entdeckt man in etlichen Blättern eine geniale Beherrschung der Technik, die scheinbar mit leichter Hand überraschende Lösungen herbeizaubert: »Der Tierfreund« steht beispielsweise im Vordergrund, die ganze Bildhöhe füllend, zwei aufeinander zuspringende Pferde im Mittelgrund wären demgegenüber völlig deplatziert, wenn Nolde nicht zum einen ein Gatter angedeutet hätte und zum andern eine Untergrundätzung geschaffen hätte, die beide den Naturraum markieren, den es faktisch gar nicht gibt. Nebenbei bemerkt erweist sich Nolde in Blättern wie diesem als großer Nachfahre der Romantik, wie die Haltung, die angedeutete Kleidung und der lässig auf der Hand gehaltene Vogel zeigen. Das grafische Werk von Emil Nolde wirkt wie ein geschlossener Block, dem nichts fehlt – selbst als Bewunderer seiner gemalten und aquarellierten Blumenstillleben, die in der Grafik ausgeklammert sind, vermisst man nichts. Rückblickend stellte Nolde in glänzender Selbstanalyse fest: »Mit Begabung gesegnet, von innerem Rausch und Leidenschaften durchglüht und gehetzt, bin ich tastend, stolpernd, vorwärts schreitend meinen Weg gegangen«.

Die ambivalente Rolle, die Emil Nolde während des Dritten Reichs spielte – oder besser: anfangs gerne gespielt hätte –, kommt im grafischen Werk nicht mehr zum Tragen, weil es in den 1920er Jahren weitgehend abgeschlossen war. Allerdings spart die Ausstellung diese Phase nicht aus – der exzellente Katalog, der zur Anschaffung sehr zu empfehlen ist, informiert am Rande auch hierüber. Wer nur die Malerei Emil Noldes kennt, wird fortan nicht am Grafiker vorbeikommen, um auch den Maler noch besser einschätzen zu können.

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