Ausstellungsbesprechungen

Farbe in Aufruhr – Galerie Schlichtenmaier, Schloss Dätzingen; bis 2. November

»Heftig« wollte eine ganze Generation von Künstlern sein, als sie in den 1980ern antrat, die Malerei neu zu erfinden – und das ausgerechnet mit den jahrhundertealten Genres der Zunft: Menschenbild, Landschaft, Stillleben. Die Galerie Schlichtenmaier hat diesen malwütigen Stürmern im Schloss Dätzingen eine Bühne gegeben. Dr. Günther Baumann hat die Ausstellung eröffnet und einen Beitrag für PortalKunstgeschichte verfasst.

In aufgewühlten Zeiten darf, ja muss die Malerei durchaus über die Stränge schlagen. In der aktuellen Ausstellung in Schloss Dätzingen (Grafenau) bei Stuttgart stehen sechs Positionen unter der Parole »Farbe in Aufruhr« an, einen über den Daumen gepeilt 40jährigen Siegeszug im Farbrausch zu feiern. Zu sehen sind Arbeiten von Rudolf Schoofs, Lambert Maria Wintersberger, Bernd Zimmer, Friedemann Hahn, Ralph Fleck sowie Cordula Güdemann. Es geht um leidenschaftlich vorgetragene Malerei, die Farbe nicht nur als Medium, sondern als Akteurin, als Komplizin, als Täterin einsetzt. Malerei über Malerei. Die Leidenschaft zu ihr geht so weit, dass Farbe als sinnliche, wenn nicht gar als erotische Qualität behandelt wird. Die Lust zu Malen ist kein Makel mehr. Wir haben es nun aber nicht mit einem Trend zu tun, wohl aber mit einem Phänomen, das nun schon etliche Jahrzehnte andauert, was immerhin aufmerken lässt. »Farbe in Aufruhr« heißt für die Ausstellungsmacher nicht, ein Strohfeuer zu entzünden, sondern einem fortgesetzten Hunger nach Bildern zu folgen: so, genau so titelte eine Publikation im Jahr 1982, in der eher verwundert als reflektiert dieses Bekenntnis zur Farbe und überhaupt zur Malerei festgestellt wurde.

Lambert Maria Wintersberger - Fels mit Pilz 1973 © Galerie Schlichtenmaier
Lambert Maria Wintersberger - Fels mit Pilz 1973 © Galerie Schlichtenmaier

Die Dätzinger Ausstellung will diese Zeit nicht wiederaufleben lassen, in der eine Generation, der um 1950 geborenen Künstler einen regelrechten Aufstand der Farbmalerei in Westdeutschland vom Zaun brachen, um sich Gehör – oder besser: Sehkraft – zu verschaffen.
Die sechs Positionen machen deutlich, welche malerischen Kräfte diese Generation seit den 1970ern entfaltete. Der Fokus liegt dabei nicht allein auf den damals sogenannten Jungen Wilden, die sich großteils immer noch einem ungebrochenen Ungestüm hingeben, obwohl sie heute potenziell im Pensionsalter sind. Mit Rudolf Schoofs und Lambert Maria Wintersberger ist die ältere Generation vertreten. Mit Cordula Güdemann kommt eine Künstlerin hinzu, die schon zu den Nachgeborenen zählt. Die Message: der Hunger nach Bildern ist noch nicht gestillt.

Bernd Zimmer - Abziehendes Gewitter 1991/92 © Galerie Schlichtenmaier
Bernd Zimmer - Abziehendes Gewitter 1991/92 © Galerie Schlichtenmaier

Als die Farbenthusiasten um 1980 antraten, standen gleich die Vorwürfe des Dilettantismus und der Rückwärtsgewandtheit im Raum. Die »Jungen Wilden« nahmen dies als Gütesiegel, manche gerierten sich genialisch oder verweigerten sich sogar einer akademischen Ausbildung. Z.B. Bernd Zimmer der aus der Verlagsbranche kam, auf Reisen zur Malerei fand, aber doch ein philosophisches Studium absolvierte, um dann zur Gründungsfigur der jungen Wilden zu werden. Oder auch Friedemann Hahn, der eigentlich Balletttänzer werden wollte, dann Filmchoreograf, bevor er ein Studium bei Peter Dreher und später bei Karl Otto Götz durchzog. Ihre Namen schon lassen erkennen, dass Hahn aus Trotz eine ganz andere Malerei entwickelte, als diese lehrten. Ralph Fleck wiederum verzichtete ganz auf jeglichen intellektuellen Überbau, wollte nur malen. Dass er und Hahn später selbst zu Professoren ernannt wurden beweist, dass ihre Bildsprachen so dilettantisch nicht sein konnten. Nebenbei sei angemerkt, dass in der Ausstellung mehrheitlich akademische Lehrer präsent sind: Cordula Güdemann noch aktiv als Professorin. Wenn man jedoch bedenkt, dass Fleck seine Nürnberger Professur vorzeitig abgab wegen einigen Unmuts über die Situation an der Akademie, und da zu befürchten ist, dass die Malklasse von Güdemann von anderen Sparten abgelöst wird, versteht sich diese Ausstellung in Schloss Dätzingen auch als Bekenntnis zur Malerei, die noch höchst lebendig und durchaus aufmüpfig sein darf.
Denn: Totgesagte leben länger.

Rudolf Schoofs - Mit Landschaftsbezug I 1981 © Galerie Schlichtenmaier
Rudolf Schoofs - Mit Landschaftsbezug I 1981 © Galerie Schlichtenmaier

Ein kurzes Szenario sei hier entworfen, als die Malerei vor rund vierzig Jahren nach wiederholten Todesankündigungen reanimiert wurde. Minimal Art, Konzeptkunst und Pop Art schienen der letzte Schrei zu sein, als die jungen Künstler mit einer ungezügelten Wucht, nur kontrolliert durch einen gegenständlichen Bezug, mit einer »malerischen Intelligenz« (Max Hollein) und mit einer erstaunlichen Frische Neuland betraten. Von wegen rückwärtsgewandt! Das waren mit Bedacht vielleicht die italienischen Kollegen der »Transavanguardia«, die 1979 in Stuttgart ausgestellt wurden.
Um ihnen eine westdeutsche Antwort gegenüber zu stellen, präsentierte der Württembergische Kunstverein zeitgleich eine Ausstellung mit Arbeiten der Berliner (u.a. Zimmer, Fetting). Nicht immer nur schmeichelhaft war es gemeint, wenn diese Kunst als wild, frech, heftig, aggressiv, hässlich, punkig, spontan bezeichnet wurde. Wie sie sich selbst sah, ist bis heute nicht wirklich geklärt, ist vielleicht mittlerweile auch egal. Jedenfalls traf eine neue Malwut auf die Gesellschaft, die erstmal mit den Schlagworten »neue« oder »junge wilde« oder »heftige« oder »obsessive Malerei« oder auch »Neo–Expressionismus« erklärt wurde. Gruppen bildeten sich als meist nur temporäre Zweckgemeinschaften. Ansonsten fanden hier ganz unterschiedliche Charaktere zueinander. Die Lebensläufe all dieser jungen Künstler zeugen von hoher individueller Ausprägung, aber auch von einem widersprüchlichen Nebeneinander. Und doch fällt auf, dass sich die Protagonisten mehr oder weniger kannten – wie es kaum bei einer Künstlergeneration danach der Fall ist. Die Positionen in der Dätzinger Ausstellung sind grundverschieden. Allein die Betonung der Farbe hält die je eigenen Bildsprachen zusammen.

Cordula Güdemann - Blauer See 2018 © Galerie Schlichtenmaier
Cordula Güdemann - Blauer See 2018 © Galerie Schlichtenmaier

Einig waren sich die Künstler sicher in der Opposition zu den Nachkriegs–Avantgardisten jeglicher Couleur. Deren Rationalismus begegneten die Maler mit betont widersprüchlichen Realitätsebenen und haltlosen Bildräumen. Rational waren die Gemälde kaum erklärbar, punkteten aber mit anarchischem Geist, irritierender Mehrdeutigkeit, hoher Emotionalität und zuweilen mit Ironie als Bollwerk gegen die Vernunft, geprägt durch eine radikale Subjektivität. Die erlaubte aber doch auch Berührungen mit der Avantgarde. Die neo–expressiven Tendenzen konnten mit der Pop Art zu einem Pop–Expressionismus verschmelzen, wie etwa im Werk Friedemann Hahns, die gesellschaftskritischen Farbsinfonien Cordula Güdemanns können wiederum als Transformationen der konzeptionellen Kunst mit malerischen Mitteln gelesen werden.
Wichtig ist aus heutiger Sicht das Bewusstsein, wie sich das Ich zum Bild verhält, welche Spannungen und Selbstbezüglichkeiten sich im spontanen Prozess der Bildfindung auftun. Bernd Zimmer formulierte es so: »Ein Punk–Song musste in ein, zwei Minuten fertig sein – … Geschwindigkeit war die Form! … kurz, schnell, hart. So spontan sollte auch ein Bild, Malerei entstehen… Wir fühlten uns wie Rock’n’Roller innerhalb der Malerei! Es wurde so mit dem Pinsel gefuchtelt, als stünde man auf der Bühne und spielte Gitarre… Wir entschieden uns, mit direkt einsetzbaren Mitteln und einfachem Material unsere Sicht auf die Welt darzustellen – das war der Grundgedanke.«
Und der hat Kunstgeschichte geschrieben und wirkt noch immer vital nach.

Ralph Fleck - Bretagne 9/V 1996 © Galerie Schlichtenmaier
Ralph Fleck - Bretagne 9/V 1996 © Galerie Schlichtenmaier

Dass mit dem 1932 geborenen Zeichner Rudolf Schoofs ein Künstler mit in der Ausstellung ist, der einer ganz anderen Zeit angehört, ist dem Umstand geschuldet, dass er um 1980 sein tiefes Misstrauen gegenüber der traditionellen Malerei überwand und die Farbe für sich entdeckte, welche ihr Temperament eher unterschwellig zeigte. Ähnlich wie bei Lambert Maria Wintersberger, der etwa zur selben Zeit von einer nüchtern–sterilen Bildwelt der Daumenschrauben und Verletzungen her zu einem choralen Auftritt der Farbe fand, muss man konstatieren, dass die neue Malerei der 1980er Jahre selbst auf ältere Künstler, mitunter auf die Lehrer der jungen Wilden, wirkten.

Bernd Zimmer wird in einigen seiner jüngeren Wald–, Natur– und kosmischen Motiven präsentiert, die den Mitbegründer der neuen Malerei als All–over–Metaphysiker zu ganz gegenwärtigen Aussagen führt. In der Bildserie »Das geheime Leben der Sterne« zeigt Bernd Zimmer die Grenzen unserer Erkenntnis auf, nicht ohne die Faszination des bleibenden Geheimnisses der Natur zu schmälern.
Für Friedemann Hahn ist selbst die Natur literarisch motiviert. Dichtung und noch mehr der Film haben ihn so in den Bann geschlagen, dass er nicht nur selber schreibt, sondern Western, Film Noir, Beat–Literatur und Pop Art in einem pop–expressiven Furor vereinte.
Wie seinen Malerkollegen ist Ralph Fleck das Motiv nicht inhaltlich wichtig – er braucht den Reiz der Anschauung, um nicht ins beliebig Abstrakte zu geraten, den Rest übernimmt die sinnliche Hinwendung zur Farbe. So entstehen seine Städte–, Alpen–, Bücher– und Seestücke.
Die Ausstellung zeigt bevorzugt Arbeiten, die Flecks früher geäußerte Meinung, er erschaffe ein geordnetes Informel – kühn in der Geste, aber immer kontrolliert im Ausdruck.
Cordula Güdemann, einst Schülerin bei Schoofs und Krieg, geht ungestüm ans Werk und fordert nicht nur das Motiv, sondern auch die Gesellschaft heraus. Überzeugt, dass wir die Welt nicht mehr konkret erfassen können, zwingt sie die Figuration in eine abstrakte Orgiastik oder in eine Persiflage.
»Farbe in Aufruhr« ist ein Fanal der Malerei, die weder Selbstzweck noch ein Aufstand im Elfenbeinturm sein will. Farbe, das ist was bleibt, wenn die Malerei sich anschickt, zum Tat–Ort zu werden.

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