Buchrezensionen, Rezensionen

Felix Flesche/ Christian Burchard, Waterhouse, Prestel 2005

Immer schon haben Träume vom harmonischen Zusammenleben mit dem unberechenbaren Element Wasser die Phantasie der Menschen beflügelt, sei es Atlantis, platonische Urmutter aller Utopien, sei es der biblische Mythos von der Arche Noah, seien es die Abenteuer von Kapitän Nemo, dem ersten U-Boot Kommandanten der Literaturgeschichte. Trotz ökologischer Katastrophen symbolisiert Wasser, wie Felix Flesche und Christian Burchard in der Einleitung ihres Bildbandes schreiben, „den Traum vom Leben in symbiotischer Beziehung mit der Natur, viel enger, als es jemals auf trockenem Boden möglich sein könnte“. Die beiden Autoren sind bekennende Wasser-Fans, die nach eigenen Angaben viele Jahre an Gewässerrändern gelebt haben, und die Faszination für den Gegenstand teilt sich auch auf allen Seiten des vorliegenden Buches mit – mehr noch, sie steckt an.

Mit der Wahl ihres Themas treffen sie wohl einen Nerv der Zeit: auch die jüngste Architektur-Biennale in Rotterdam stand unter dem Motto des Lebens am Wasser. Hinter diesem neuen Trend verbergen sich natürlich ganz plausible Motive, denn ungeachtet des gegenläufigen Phänomens der shrinking cities bleibt der Hunger der Städte nach weiterem Raum unermesslich, während das Platzangebot immer knapper wird. Metropolen wie Tokio und Shanghai haben deshalb bereits beschlossen, ins offene Meer hinaus zu expandieren.

Doch viel mehr als rationale Beweggründe wirkt hier die Macht der Utopie. Der Ozean, das ist aus Sicht der Architekten noch jungfräuliches Land, die Tabula rasa, auf der sich von Grund auf Neues erschaffen lässt. Am Meeresgrund, auf den künstlichen Inseln und Schwimmplattformen erscheint fast alles möglich – hier ließen sich noch großzügige städtebauliche Gesten verwirklichen oder auch Alternativen zum herkömmlichen Siedlungsbau aufzeigen. Einiges davon wurde auch bereits realisiert, vieles befindet sich im Planungsstadium. Und so gestaltet sich „Waterhouse“ als eine aufregende Reise durch eine Welt von kühnen Architekturvisionen. Bunt und spektakulär geht es dabei zu, denn es handelt sich um die spannendsten, innovativsten Projekte der Gegenwart, mit gelegentlichen Rückblenden in die 50-er bis 80-er Jahre des 20. Jahrhunderts.

In der Einleitung verweisen die Autoren auf die gegenwärtige Brisanz einerseits, auf die tiefen historischen Wurzeln des Gegenstandes andererseits. Tatsächlich befinden sich viele, wenn nicht die meisten der dargestellten Projekte in einer Kontinuität mit den großen Utopien des Abendlandes; im Hintergrund wirkt immer der Mythos der Freiheit durch ein selbstorganisiertes Leben in einem autarken Miniaturstaat, der sich in idealster Form in Gestalt einer Insel verkörpert.

Das Projekt der Hafenstadt Luchao/ Shanghai von Meinhard von Gerkan steht sogar formal in direkter Nachfolge der klassischen Idealstadtkonzepte. Sein Plan folgt Platons Beschreibung von Atlantis und gliedert die Anlage in drei konzentrische Ringe, untereinander verbunden durch Brücken und Wasserkanäle. Gruppiert um einen zentralen See und ein mondänes kulturelles Zentrum soll hier in mehreren Ausbaustufen bis 2020 eine Stadt für 300.000 Einwohner entstehen, denen es bezüglich der Infrastruktur an nichts mangelt.

Ebenfalls für Shanghai (ursprünglich für Hongkong) konzipiert ist das unglaubliche Projekt „Bionic Tower“ des spanischen Teams Maria Rosa Cervera, Javier Piaz und Eloy Celaya. Mit einer völlig neuartigen, den Strukturen aus der Natur nachempfundenen Bauweise streben die Architekten einen zigarrenförmigen Wolkenkratzer in der noch nie da gewesenen Höhe von 1,2 Kilometern an. Auf 300 Stockwerken ist eine hermetisch organisierte Stadt geplant für 100.000 Einwohner, die in diesem Gebäude leben und arbeiten, Grünanlagen, Einkaufs- und Freizeitmöglichkeiten vorfinden und ihren Turm eigentlich nur mehr für den Urlaub verlassen müssten.

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Abseits von spektakulären Superlativen, auf einer Sandbank im Indischen Ozean, ist das Versuchsmodul des „Arche Saya“-Projektes von Wolfgang Hilbertz gelegen. Auf einer aus Stahlgittern gefertigten Pyramide züchtet der deutsche Architekt und Umweltdesigner seit 1997 ein künstliches Korallenriff, dessen Wachstum durch Solarstrom beschleunigt wird, der in die Stahlroste geleitet wird. Das durch Ablagerung gewonnene Gestein soll später einmal als Baumaterial für eine darüber liegende Stadt dienen, die sich ökologisch selbst versorgt, während die künstlichen Riffe zur Belebung und Erholung der submarinen Fauna dienen und eine Basis zur Versorgung der Riffbewohner bilden.

Ein interessantes Independent-Projekt kommt von der jungen dänischen Architektengruppe N55. „Spaceframe“ ist eine zweischalige Konstruktion auf einer Schwimmplattform, die sich kostengünstig mit minimalem Materialaufwand, schnell und einfach, in Selbstbauweise realisieren lässt und zu Wohn- oder Arbeitszwecken verwendet werden kann. Seit 1999 ist der Prototyp auf See. Die Anleitungen zum Nachbau der Projekte von N55 sind auf ihrer Homepage nachzulesen, im Gegenzug verlangen die Architekten nur, dass die nach ihren Plänen fertiggestellten Objekte öffentlich zugänglich bleiben.

Die größte Faszination, die von der Erschaffung von Architektur im Wasser ausgeht, liegt wohl in der weitgehenden Flexibilität in der Anordnung der Baukörper. Viele der Projekte basieren auf dem Gedanken einer Modulbauweise, von Grundwohneinheiten, an die angedockt und erweitert werden kann, im Prinzip in jeder beliebigen Größe vom Ein- zum Mehrfamilienhaus bis zur kompletten Siedlung, die es aber auch ermöglicht, sofern das Objekt nicht mit festem Fundament im Boden verankert ist, weiterzuziehen und anderswo seine Bleibe aufzuschlagen. Mit der Verlagerung der Siedlungen von den Küstenrändern auf die offenen Gewässer hinaus verbindet sich mancherorts die Hoffnung, der Zerstückelung und Verhüttelung der Strände Einhalt zu gebieten.

Darüber hinaus aber locken unter der Wasseroberfläche die Weiten der Meeresgründe, was wiederum Gelegenheit für die Entwicklung neuer Raummodelle, ausgestattet mit Panoramakapseln, Unterwasser-Loungen etc., gibt. Mit dem großen Potential an Mobilität geht schließlich die Multifunktionalität der Objekte einher, die unter anderem als Eigenheim, Urlaubsdomizil, Pavillons für Hotelanlagen, Restaurants, Jachten, Tauchkapseln, Forschungsstationen und Basislager für Unterwasserexpeditionen Verwendung finden sollen.

Inhaltlich ist die Arbeit in vier Themenbereiche gegliedert: „Standig Tall“ beschäftigt sich mit Strukturen, die auf Stelzen, Pfeilern oder künstlichen Inseln errichtet wurden bzw. werden sollen. „Floating Homes“ stellt schwimmende Domizile aller Art vor und schlägt den Bogen vom klassischen Hausboot bis zu gigantischen Wasserstädten, die vielleicht eines Tages die Weltozeane befahren. In „Submerging Architecture“ geht es um den nächsten Schritt, die Möglichkeit des Lebens unter Wasser. Der letzte Abschnitt, „Frozen Hard“, dreht sich um Wasser als Baumaterial – also um temporäre Architekturen aus Eis. Daraus lassen sich nicht nur zauberhafte Gebilde wie aus dem Märchen erschaffen, sondern auch neue experimentelle Wege für Konstruktionstechniken und Design erproben.

„Waterhouse“ ist ein bewusster Grenzgang zwischen Machbarem, zum Teil schon Realisiertem, und schier Unvorstellbarem, zwischen jahrhundertealter Tradition und ultraneuesten Technologien. Unterlegt mit atemberaubenden Bildern, in denen die Konturen zwischen Vision und Wirklichkeit verschwimmen (letzteres ist durchaus wörtlich zu verstehen: manchmal bedarf es schon des genaueren Blicks, um ein Foto von einer computergenerierten Bildschöpfung zu unterscheiden!), illustriert der Band, wie viel an kreativem Potential und neuen Lebensdimensionen sich im Dialog von Architektur und Wasser auftun.
 

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