Auf der Website der Wiener Akademie der bildenden Künste kann jeder über das Weltgerichtstriptychon Boschs fahren und sich in der detailreichen Schilderung der menschlichen Sündhaftigkeit verlieren. Dem Meister grotesker Fabelwesen und fantastischer Bildwelten ist auch Fritz Koreny auf der Spur. Der Wiener Kunsthistoriker hat sich in seinem Buch Zuschreibungs- und Datierungsfragen gewidmet. Rowena Fuß weiß mehr.
Hieronymus Bosch (um 1459-1516) gehört zu den bedeutendsten und interessantesten altniederländischen Malern und Grafikern. Er fasziniert bis heute Kunsthistoriker, Künstler und Laien mit seinen Bildern voller unheimlicher Wesen. Kritisch, manchmal auch selbstkritisch zeichnete er als Beobachter seiner Zeit das Bild seiner Mitmenschen.
Ansammlungen nackter Männer und Frauen, die alle gänzlich alterslos wirken. Es gibt keine Kinder oder Alte, aber Menschen mit dunkler Hautfarbe. Sie naschen von Früchten, werden gefüttert oder füttern einander. Ein Paar sitzt in einer gläsernen Kugel und berührt sich zärtlich, während sich ein weiterer Mensch in der Blumenknolle versteckt hält, aus der die gläserne Blüte sprießt. Wieder andere verstecken sich in Muscheln, umarmen Käuzchen oder sitzen auf Erpeln. Es ließen sich noch viele weitere seltsame Szenen in Boschs berühmten »Garten der Lüste« finden. Fest steht, dass der Künstler mit sexuellen bzw. pornografischen Assoziationen spielt. Doch sind die dargestellten Körper bar jeder Fleischlichkeit als flache Formen und schlanke Silhouetten ausgeführt. Sie sind Figuren einer auf den Kopf gestellten Welt. Das machen auch die in seltsamen Größenrelationen zugeordneten Tiere und Pflanzen deutlich. Nicht Wirklichkeit, sondern Fiktion, die Ausgeburt einer großen Fantasie, das haben wir hier vor uns.
Bosch schuf zwischen dem ausgehenden Mittelalter und der anbrechenden Neuzeit Zeichnungen und Gemälde, die ein mahnender Spiegel seiner Zeit waren, Capriccios wenn man so will. Mithilfe der grotesken Figuren und Szenen konnte er Kritik an raffgierigen Menschen, gleichgültig ob sie Laien oder Geistliche waren, üben, solange er nicht eine bestimmte klar erkennbare Person kritisierte. Wie ein Gaukler führt er die Menschen vor, zeigt ihnen Fehler, Triebe und Lüste, kurzum: ihre ganze Unzulänglichkeit auf, ohne sich selbst in Gefahr zu bringen.
Er entwindet sich immer wieder den Händen, die ihn fassen wollen. In der Forschung werden seine Anspielungen rege diskutiert und bilden Streitpunkte unter Experten. Auch Zuschreibungs- und Datierungsfragen gehören dazu. Ihnen hat sich aktuell Fritz Koreny gewidmet und begibt sich zur Klärung auf Spurensuche in Boschs Œuvre.
Sein Buch ist teils Studie, teils Katalog. Nach einführenden Kapiteln zu Aspekten der Zeichnungsforschung und der Zeichentechnik Boschs im Verhältnis zu seiner Zeit widmet sich der Autor mit besonderer Aufmerksamkeit Zuschreibungsfragen. Dabei unterscheidet er Blätter, die von der Hand Boschs stammen und Arbeiten seiner Werkstattmitarbeiter. Insgesamt vier Meister gibt er an. Diese ergeben sich nach der vergleichenden Untersuchung einzelner Motive von Gemälden und Zeichnungen wie auch beispielsweise unterschiedlicher Schraffurtechniken. Als Referenzmaterial fungieren die drei Zeichnungen »Das Feld hat Augen«, »Das Eulennest« und »Der Baummensch«, die, so Koreny, unzweifelhaft von Bosch selbst stammen. Am Ende hat Koreny die 80 Bosch oder seiner Werkstatt zugeschriebenen Blätter auf 10 bis 11 eigenständige Arbeiten begrenzt.
Es ist ein kontrovers zu diskutierender Ansatz, den der Autor verfolgt. Kann man aus dem selbst als fraglich zu bezeichnenden Befund wirklich einen Personalstil rekonstruieren? Und wie sinnvoll ist das für eine Zeit, in der sich der Künstler noch als Teil eines Kollektivs verstand? Ist Bosch tatsächlich schon ein neuzeitlicher Künstler, oder möchte Koreny es ihm einfach gern attestieren?
Nichtsdestotrotz schmälert dies keineswegs den Wert des Buches. Allein schon die vielen großformatigen und qualitativ hochwertigen Abbildungen, die Detailaufnahmen von Signaturen und Einzelszenen und nicht zuletzt der umfangreiche und informative Katalogteil, in dem kurz und knapp Erkenntnisse zu einzelnen Werken notiert sind (was ist zu sehen, welcher anderen Arbeit steht Bild nahe, Zustand etc.), rechtfertigen den Kauf dieses Catalogue raisonné unbedingt.