Kasimir Malewitsch hat eifrig in der russischen Avantgarde gewerkelt, entworfen, gemalt und seine Theorien entwickelt. Zu seinem Werk zählen auch die »Architektona«, architektonische Modelle. Gisela Heinrich hat sich in ihrem Buch ganz diesen utopischen Modellen gewidmet und Marco Hompes hat es sich zu Gemüte geführt.
Kasimir Sewerinowitsch Malewitsch zählt ohne Zweifel zu den wichtigsten Künstler der russischen Avantgarde. Mit seinem schwarzen Quadrat schuf er eine der ikonischsten Darstellungen der klassischen Moderne und sicherte sich mit diesem Versuch, »die Kunst vom Gewicht der Dinge« zu befreien, einen festen Platz im kunsthistorischen Olymp. Sein vielseitiges Schaffen wurde in umfassenden Ausstellung präsentiert. Auch die Liste der wissenschaftlichen Untersuchungen zum Schaffen des russischen Künstlers wuchs spätestens seit den 1970er Jahren rasant. Mit Gisela Heinrichs Buch ist die Reihe der Publikationen zum Begründer des Suprematismus nun um einen weiteren Band länger. Redundant ist das rund 100 Seiten lange Werk aber keinesfalls! Denn während das malerische Œuvre, die stilitischen Kehrtwendungen und auch die oft widersprüchlichen theoretischen Schriften des Künstlers hinreichend betrachtet worden sind, so gilt dies nicht für die architektonische Modelle. Dieser Umstand lässt sich vermutlich damit erklären, dass nur wenige dieser sogenannten »Architektona« heute noch erhalten sind. Dabei sind sie, wie die Autorin treffend formuliert, eine »konsequente Übertragung der suprematistischen Prinzipien von der Fläche in den Raum«. Rund 20 Stück soll der Künstler in den 1920er Jahren geschaffen haben. Sie sind größtenteils aus Kuben und langgestreckten Quadern komponiert und finden sich sowohl in horizontaler wie in vertikaler Ausführung. Ebenso wie in seiner Malerei galt Malewitsch auch hier die strenge geometrische Form als Idealtypus für Vollkommenheit und Ewigkeit. Die Autorin versteht diese Vorgehensweise nicht als bloße Setzung einer mathematisch spröden Konstruktion. Vielmehr gehe es dem Künstler dabei um den »Vorrang der reinen Empfindung« gegenüber der sichtbaren Realität.
Versteht man die dreidimensionalen Arbeiten als Verräumlichung der (malerischen) Prinzipien, dann stellt sich die Frage nach der geplanten Realisierung. Wollte der Künstler tatsächlich suprematistische Bauwerke errichten lassen?
Es wird schnell klar, dass diese Frage gar nicht so einfach so beantworten ist. Dies verdeutlicht Heinrichs vorangestellte Untersuchung der »Planetiten«. Dies sind Zeichnungen, die wie architektonische Entwürfe für Siedlungen im Weltall anmuten. Sie tragen Titel wie »Moderne Gebäude oder Suprematismus aus der Luft« (1920). Derartige Bezeichnungen lassen bereits ahnen, dass die Arbeiten optisch wie inhaltlich zwischen Funktionalität und künstlerischer Autonomie oszillieren. »Bildraum und Weltraum werden gleichgesetzt«, hält Heinrich fest. In präziser und klarer Sprache stellt die Autorin hier Bezüge zu zeitgenössischen Entwicklungen her. Der Verweis auf den Technikkult der Futuristen, auf Vladimir Tatlins Erfindungen oder auch auf die Architektur Mies van der Rohes, verorten die »Planetiten« in einem zeitlichen Kontext, der von Aufbruchstimmung und utopischen Vorstellungen geprägt ist.
Dieser Exkurs belegt, dass nicht geklärt werden kann, ob die »Architektona« realisiert werden sollten. Hierzu fehlen weiterführende Belege. Die Autorin geht davon aus, dass sie eher zweckfreie Kunstwerke waren. Dies wird vor allem dann deutlich, wenn weitere Vergleichsbeispiele aufgeführt werden. Robert van’t Hoffs Entwürfe oder El Lissitzkys »Prounen« etwa weisen einen sehr viel stärken Wirklichkeitsbezug. Vor diesem Hintergrund lässt sich so auch Malewitschs Enttäuschung beim Besuch des Bauhauses in Dessau 1927 erklären. Walter Gropius’ Hinwendung zum Nützlichen stand im krassen Widerspruch zum künstlerischen Ideal der reinen Emotion des Russen. Überzeugend argumentiert Heinrich, dass dessen Werke vielmehr auf eine kontemplative Betrachtung abzielen. Im Falle der Malerei ist dies leicht nachvollziehbar. Doch der Künstler suchte auch nach anderen medialen Lösungen. Neben den Gemälden und Zeichnungen sind hier ein unvollendetes Filmprojekt sowie die plastischen Arbeiten zu nennen. Diese Erkenntnis beleuchtet die künstlerischen Vorstellungen des Suprematismus auf herausragende Weise und lassen darauf schließen, dass eine Realisierung zwar möglich, aber nicht unbedingt intendiert war.
Hinreichend analysiert ist in der kunsthistorischen Literatur auch die Rückkehr des Malers zur figurativen Kunst um 1928. Hierzu gibt es mehrere, teilweise widersprüchliche Theorien. Heinrich versucht nicht, diese abzubilden oder gar eigene Thesen zu entwickeln. Sie stellt hingegen anschaulich dar, dass sich auch in den dreidimensionalen Arbeiten eine Wandlung vollzog. Klarer Höhepunkt dieser Entwicklung ist der Entwurf für eine Lenin-Statue, die vermutlich im Zusammenhang mit dem Wettbewerb für den »Palast der Sowjets« in Moskau entstand. Hier thront Lenin auf einer konstruktivistischen Säule. Das Werk wirkt wie ein schaler Kompromiss zwischen den suprematistischen Wunschvorstellungen und den neuen kulturpolitischen Forderungen in der Sowjetunion.
So präzise und aussagekräftig die Beschreibung und historische Verortung der Modelle, so unpräzise erscheint der letzte Teil des Büchleins. Die Autorin entfernt sich stellenweise gänzlich von den »Architektona«. Nach einem Verweis auf den Ausstellungskatalog zu »Malevich and the American Legacy« der Gagosian Gallery New York (2011) vergleicht Heinrich die Kunst des russischen Suprematisten und die Werke der amerikanischen Minimal Art am Beispiel Sol LeWitts. Dessen Kunst gerate in die »Nähe einer sterilen Formelhaftigkeit«, was bei Malewitschs Kunst nicht behauptet werden könne. Etwas unklar bleibt die hierauf folgende Überleitung zu zwei deutschen Künstlern, nämlich Alf Lechner und Helmut Karow, die sich ebenfalls mit dem Würfel befasst haben. Eine These leitet die Autorin hieraus nicht ab. Es lässt sich vermuten, dass sie beispielhaft unterschiedliche bildnerische Herangehensweisen an das Thema Kubus einander gegenüberstellt. Daraus lassen sich interessante Unterschiede ableiten, was Heinrich jedoch verpasst. Der Bezug zu den »Architektona« bleibt leider unklar. Von diesen entfernt sie sich noch weiter, wenn sie sich zu einer verkürzten Rezeptionsgeschichte des schwarzen Quadrats in der Kunst hinreißen lässt. Sie erklärt dies damit, dass »[d]ie Wirkungsgeschichte der architektonischen Denkmodelle in den Jahren 1964 bis 2010 unterschiedliche Aneigungsstrategien [spiegelt], die sich manchmal erst durch den ›Umweg‹ über die Malerei, insbesondere ›Das schwarze Quadrat‹ erschließen.« Hierfür wirken die Beispiele aber zu willkürlich. Werke größtenteils deutscher Kunstschaffender wie Imi Knoebel, Anna und Bernhard Blume oder Günther Uecker sollen die These untermauern, dass Malewitschs Kunst ein wichtiger Impulsgeber für bildende Künstlerinnen und Künstler war, keiner von ihnen aber je die utopische Vorstellungen der »Architektona« übernahm. Leider kann die Autorin hier nicht ganz überzeugen, allzumal sie osteuropäische Künstler außer Acht lässt.
Für die kunsthistorische Forschung zum Verständnis des Suprematismus stellt Gisela Heinrichs lesenswertes Buch einen wichtigen Beitrag dar. Getrübt wird die hervorragende Analyse lediglich durch den Beitrag zur Rezeption in den bildenden Künsten.