Ausstellungsbesprechungen

Henrik Schrat & Gäste – Herz der Finsternis, verhudelt, Kunstsammlung Jena, bis 17. August 2014

Henrik Schrat lebt seit vielen Jahren in Berlin und hat sich längst mit Ausstellungen, Radiosendungen und performativen künstlerischen Aktionen in den Kunstbetrieb eingeschrieben. Für seine hintersinnigen Bilderzählungen bevorzugt der 1968 in Greiz geborene Künstler Schattenrisse und die damit verbundene Form scharf konturierender, doppelbödiger und physiognomischer Beschreibung. Rowena Fuß hat sich in seiner aktuellen Schau umgesehen.

Insgesamt reihen sich elf Räume aneinander und leiten den Besucher analog zum Kongo in Conrads Buch, das als Titelgeber diente und 1899 erschien, immer tiefer in den Urwald der Warenwirtschaft. »Verhudelt« hat Schrat die fiktionale und reale Welt. Auf der einen Seite geht es um eine verstörende, metaphernreiche Geschichte aus dem Herzen des kolonialen Afrikas, auf der anderen Seite um Warenströme, Bilanzen und den Konsumwillen unserer Gegenwart.

Wie in einem Wettrennen liefern sich kommende und gegenwärtige Generationen mit ihren Einkaufswagen eine Kopf-an-Kopf-Jagd auf dem Parkplatz eines Konsumtempels. Doch das Wandbild im zweiten Zimmer ist nur eine Station vor dem eigentlichen Ziel dieses Weges: Ganz am Ende der Raumflucht öffnet ein Höllenrachen sein Maul für die armen Sünder. Streng genommen ist es nur ein Spiegel, aber wir kennen die teilweise gruseligen Geschichten, die sich um ihn ranken. Erinnern wir uns nur an Schneewittchen, der die Aussagen des Zauberspiegels ihrer Schwiegermutter zum Verhängnis wurden. Doch fungiert ein solcher nicht nur als Überbringer von Botschaften. In Geistergeschichten dient er meist noch einem anderen Zweck: Er ist das Tor zu einer anderen Welt. Wenn wir diesen Weg in Schrats Schau wählen, sehen wir Einlegearbeiten mit einem Zyklopen, der mit seinem Rucksack durch fremde Lande reist. Es handelt sich hier um einen biografischen Verweis auf Schrats Indienreise 2007. Dort erlernte er die Arbeit mit Holzintarsien.

Es mag anachronistisch erscheinen, diese alte Technik bei einem Gegenwartskünstler zu finden. Doch wirklich verwundert dies nicht, bedient Schrat doch einen aktuellen Trend nach Nostalgie. Spieglein, Spieglein an der Wand … – was wir erblicken ist eine Reise in die Abgründe der menschlichen Seele. Inspiriert von Comics, Märchen und Science-Fiction-Filmen entwickelt Schrat in seinen doppelbödigen Schattenrissen und Grafiken eine narrative Strategie um den Finger in die Wunde zu legen.

In Anbetracht von Finanzkrisen und einer immer mehr verrohenden, weil anonymisierenden Gesellschaft ist eins klar: Die Dystopien und Schreckgeschichten, die nicht nur Conrad, sondern auch Huxley, Orwell und andere Autoren der letzten hundert Jahre beschrieben, haben sich bewahrheitet. Fiktionen von Überwachung, medialer Massenlenkung und einer Ohnmacht des Einzelnen sind mittlerweile akzeptierte Realität. Und was macht der Mensch? Er flüchtet sich in das Archaisch-Wunderbare der Fantasy-Literatur und die weit entfernte Vergangenheit.

Ihm das vorzuhalten, die Schrecken von Conrads Erzählung heraufzubeschwören und Gesellschaftskritik zu üben, das vermag die Ausstellung. Allerdings bleibt dem Besucher vorbehalten, ob er so weit geht und sich über die Bedeutung dessen, was er sieht und erfährt, bewusst wird. Mehr noch: was er daraus macht.

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