Der Leipziger Künstler Paule Hammer verwirbelt in seinen Text-Bild-Collagen kurze Erzählungen in der Ich-Perspektive, philosophischen Erörterungen, Alltagsbeobachtungen, Träume und Gedanken. So entsteht eine Enzyklopädie ganz besondren Ausmaßes. Rowena Fuß hat sie sich angeschaut.
Leise Musik begrüßt den Besucher in der poppig-bunten Welt Hammers. Es ist ein Universum aus Traum, Tier, Mensch, Musik, Körper, Kunst, Drogen, Gedanken, Kraft, Arbeit, Liebe, Geld, Gefühle, Glaube, Gemeinschaft, Angst, Wissenschaft und Religion, wie die »Übersicht« von 2010 bereits am Eingang durchblicken lässt.
Ein Stück weiter lädt die Initiale »P« in Form einer Couch den Besucher dazu ein, einen Moment inne zu halten und sich das, was er sieht, durch den Kopf gehen zu lassen. Viele Arbeiten enthalten lange Textergüsse, es ist also durchaus angebracht. Ein relativ kurzer steht unterhalb von ein paar hübsch anzusehenden Rhododendronblüten. Hammer hat hier eine Erinnerung niedergeschrieben: an einen Diebstahl. Allerdings geht es keineswegs um Gold, Diamanten oder einen Fernseher. Seine Mutter hatte ihn losgeschickt, einen Strauß der Blumen zu holen und Hammer stahl sie aus einem Blumenbeet, immer mit der »totalen Angst« im Nacken, erwischt zu werden.
Ausführlicher ist dann die Beschreibung zu der Luftsaufnahme einer Siedlung, über die Kampfjets fliegen. Der Künstler schreibt »Das war eine komische Gegend. Die Siedlung war an den NVA-Flugplatz angeschlossen. Es sah aus wie ein kleines Grünau. Plattenbauten und ein Konsum. Und es gab dort nur Soldaten und ihre Familien. […] Manchmal ist irgend so ein Flugmanöver schiefgegangen und ein auszubildender Pilot ist gestorben.«
Beide Geschichten lassen Erinnerungen vermuten. Der 1975 in Leipzig geborene, aber im thüringischen Suhl aufgewachsene Paule Hammer könnte hier den Flugplatz Suhl-Goldenauer beschrieben haben. Bis auf die Plattenbauten passt die Beschreibung. Zu DDR-Zeiten wurde der Platz von der »Gesellschaft für Sport und Technik« (GST) unterhalten. Hauptsächlich zur Segel- und Motorflugausbildung genutzt, hatten nahezu alle GST-Flugplätze aber auch eine militärische Funktion. Hammer setzt sich in seinen Arbeiten mit der DDR-Vergangenheit auseinander, entwickelt Geschichte aus Geschichten. Der Ausstellungsraum wird dabei zum erweiterten »think tank« des Leipziger Künstlers. Im Zentrum steht der Mensch. Hammers Werke spiegeln Schicksale, Fragen und Verweise. Zugegeben, alles ist etwas kryptisch, doch mit ein wenig Geduld erschließt sich dem Betrachter dieser Gedankenkosmos.
Nur scheinbar hilft dabei sein »Beziehungsbild« (2007), in dem Hammer die Relationen zwischen sich und anderen Menschen dargestellt. Er ist der Mittelpunkt der Arbeit. Mit verschiedenfarbigen Linien sind Personen verknüpft worden, die weiter weg sind (z.B. Mr. Kim, Friedrich und Ilka) oder ihm nahestehen, wie Rosi und Wolf. Jeder bildet einen Knotenpunkt mit mannigfaltigen Verbindungen zu anderen. Schnell hat man die Übersicht übers Netzwerk verloren. Es ist ein wundersames Sammelwerk, das Hammer uns anbietet: Völlig irrational und doch irgendwie vertraut. Hammers Enzyklopädie des Menschen gleicht einem offenen Archiv, das jeder Besucher dazu nutzen kann, um eigene Gedankengänge zu vertiefen oder zu bearbeiten. Genügend Anstöße gibt es ja. So auch beim letzten Werk mit der Inschrift »Fragen, die dich jagen« (2008). Diese reichen von erkenntnistheoretischen Beispielen wie »Wer bist du?« zu so praktikablen wie »Den Lügendetektor besiegen – aber wie?« oder »Wo ist der Gegenentwurf?«. Ob man als Besucher aber eher verwirrt die Schau und somit Hammers Gedankenwelt verlässt oder angeregt, muss jeder selbst ausprobieren. Interessant ist der Rundgang allemal.