Ausstellungsbesprechungen

Hokusai x Manga. Japanische Popkultur seit 1680, Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, bis 11. September 2016

Einen spektakulären Überblick über populäre Kunst in Japan seit 1680 bietet in diesem Sommer das Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg. Stefan Diebitz hat die vielseitige und perspektivenreiche Ausstellung besucht.

Seit dem Ende des 19. Jahrhunderts verfügt das Museum über eine gut 1000 Arbeiten und Objekte umfassende Sammlung von japanischen Farbholzschnitten und Holzschnittbüchern, deren erstaunlicher Reichtum noch nie in einer großen Schau ausgebreitet wurde. In diesem Sommer nun endlich ist es soweit, und die der Tradition verpflichteten Meisterwerke vergangener Jahrhunderte werden mit Comics, Mangas und Animationsfilmen aus unserer Zeit ergänzt, sodass die Ausstellung wirklich mehr als dreihundert Jahre populäre japanische Kultur dokumentiert.

Manch einer wird eher skeptisch sein, wenn er an japanische Comics unserer Tage denkt, und der Rezensent war es auch; und was er an Aktuellem in Hamburg gesehen hat, das hat ihn wirklich nur wenig überzeugt. Oder bin ich einfach nur ein alter Sack, der den Zug der Zeit verpasst hat? Denke ich heute so über die Comics von heute wie die Generation meiner Eltern und Großeltern über das, was sie ganz schlicht als »Schund« bezeichneten? Aber weder die kleinen Mädchen mit Knopfaugen und Strichmund, die in Schuluniform die Welt retten, noch die puerilen Tagträume der kleinen Jungs von Robotersamurais können mich ansprechen; mir scheinen sowohl die Zeichnungen als auch die Stories ebenso grob wie infantil.

Aber die Alten haben ganz anders gearbeitet. Japanische Holzschnitte aus dem alten Edo (dem heutigen Tokyo) besitzen eine geradezu atemberaubende Qualität, und ihrem Zauber weiß man sich kaum zu entziehen. Für einen farbigen Holzschnitt wurden bis zu acht Platten benötigt, deren hartes Kirschholz mit äußerster Akkuratesse mit Messern bearbeitet wurde. Beim Druck mussten die Platten punktgenau aufeinandergelegt wurden (die Passmarken kann man sich in dieser Ausstellung anschauen). Die Feinheit der Drucke und ihr Reichtum an Details wie an Farben ist einfach sensationell.

Edo soll Ende des 17. Jahrhunderts mit seinen mehr als eine Million Einwohnern die größte Stadt der Welt gewesen zu sein, und das Leben in dieser Metropole war so vergnügungssüchtig und oberflächlich, wie es in Metropolen zu sein pflegt. Theater und das streng abgegrenzte Rotlichtviertel waren eng mit der »ukiyo-e«-Kunst verbunden. Der Begriff meint zunächst die Holzschnitte, sodann aber auch ein besonderes, der Gegenwart zugewandtes Lebensgefühl. In jedem Fall ist die Holzschnittkunst nicht ohne Theater und Hetärentum zu denken, denn auf den Holzschnitten erscheinen sowohl die Kurtisanen wie auch die Schauspieler, weil das Publikum sich brennend für die Halbwelt und ihre Kleidung interessierte und weil die Holzschnitte als Werbung für das Theater eingesetzt wurden. So bedienten gut organisierte Verlage einen Massenmarkt, und die Auflage umfasste nicht selten bis zu 20.000 Drucke.

Dabei waren diese Drucke alles andere als Schund oder Massenware, sondern ebenso sorgfältig konzipiert wie hergestellt. In der Ausstellung kann man einige Vorzeichnungen und die dazugehörigen Druckstöcke anschauen, und man kann sehen, wie die Künstler an ihren Entwürfen feilten, wie sie etwa einen Arm oder eine Hand einer Figur nachträglich korrigierten. Weil Papier teuer war, wurde nicht auf einem neuen Blatt gezeichnet, sondern es wurden kleine Schnipsel mit den Korrekturen auf die Skizze geklebt. Leider, aber das ist bei Holzschnitten ja selbstverständlich, wurde nie die endgültige Vorlage überliefert, denn diese wurde im Herstellungsprozess vernichtet, die Zeiten überstanden haben nur einige vorläufige Entwürfe.

Ganz wesentlich für das Verständnis dieser Holzschnitt-Kunst ist das Kabuki-Theater, eine bunte und sehr volkstümliche Mischung aus Schauspiel, Tanz und Musik. Wie im Theater Shakespeares wurden sämtliche Frauenrollen von Männern gespielt, und viele dieser Männer erscheinen auch außerhalb ihrer Rollen weich und sogar androgyn. Bei Männern wie bei Frauen wurde in den Holzschnitten großer Wert auf die Darstellung der Kleidung und ihrer Finessen gelegt, denn eben diese sollte ja nachgeahmt werden – sofern man wirklich so viel Geld besaß, dass man wie die berühmtesten Kurtisanen gleich sechs oder sieben Kimonos übereinander anziehen konnte.

Wesentlich für die Holzschnitte ist besonders die extreme Stilisierung des Dargestellten zusammen mit den prunkvollen Kostümen. Wie sehr alles ritualisiert war, beschreibt die Kuratorin Nora von Achenbach im Katalog, wenn sie den Auftritt einer Kurtisane schildert: »Ihr Weg in das Teehaus, um dort ihren Kunden zu treffen, war ein festes Ritual, eine Show. Sie trug extravagante, glamouröse Gewänder und schritt nach einer eingelernten Choreografie. Eine solche Kurtisane zu besitzen, war ein Statussymbol.« Es waren diese legendären Kurtisanen, die in den Holzschnitten glorifiziert wurden.

Schon der Auftritt dieser Frauen war stilisiert, aber die Holzschnitzer setzten noch einmal eins drauf und stilisierten noch mehr, sogar so sehr, dass nicht einmal die schönsten Frauen (vielleicht nur mir mit meinem westlichen Blick?) noch als wirklich schön erscheinen, obwohl sie es doch höchstwahrscheinlich gewesen sind. Naturalistisch jedenfalls ist keiner der Holzschnitte in Hamburg, ganz gleich, ob er Menschen zum Thema hat oder eine Landschaft

Man denkt, dass wie in der chinesischen Kunst auch in Japan die Landschaft immer eines der großen Themen war, aber das scheint falsch zu sein, denn Landschaft wurde erst ein Thema, als die Japaner zu reisen begannen – also relativ spät, erst im 19. Jahrhundert. Gleich einige Male kann man in Hamburg Holzschnitte von Poststationen bewundern. Aber das wichtigste Landschaftsmotiv war natürlich der Fuji als eines der Symbole Japans, der von Katsushika Hokusai (1760 – 1849) mit seiner spektakulären, zwischen 1830 und 1832 entstandenen Serie der »36 Ansichten des Fuji« gefeiert wurde – die fantasievoll variierten Holzschnitte mit ihrem stets wechselnden Blick auf den Berg kann man jetzt in Hamburg bewundern. Sie sind der Höhepunkt der Ausstellung, und wahrscheinlich waren sie auch der Höhepunkt dieser Kunst überhaupt.

Gleich der erste Holzschnitt ist wohl der wichtigste und berühmteste: »Hohe See bei Kanagawa, das Wellental« ist nicht allein in seinen klaren Strukturen spektakulär – im Hintergrund, zwischen den Wellenkämmen, ist das Dreieck des Vulkans zu sehen –, sondern auch dank seiner Ambivalenz typisch: er schillert zwischen dem Schönen und dem Schrecklichen. Der Fuji ist mit seinen klaren Strukturen ein wunderschöner Berg, aber auch ein stets ausbruchsbereiter Vulkan, und ebenso schrecklich-schön sind die sich steil auftürmenden, von weißem Gischt gekrönten Wellen.

Natürlich sind derartige Serien oft genug aus rein kommerziellen Gesichtspunkten entstanden, aber der Druck, sich selbst oder auch nur die Erwartungen der Käufer immer wieder neu zu übertreffen, war eine stete Herausforderung an die Fantasie des Künstlers. Andy Warhol als das große Genie des 20. Jahrhunderts machte es sich leicht und zeigte in seinen Serien einfach immer wieder dasselbe Motiv, aber Hokusai war da anders gestrickt und stellte an seine künstlerischen Fähigkeiten höhere Ansprüche. Seine außerordentlichen technischen Fähigkeiten verbanden sich mit einem immer wieder überraschenden Blick auf das Motiv, denn in jeder einzelnen Arbeit band er den berühmten Berg auf eine andere Weise in seine Komposition ein. Wer an den bunten Blättern vorbeigeht, wird sich ganz bestimmt keine Sekunde langweilen. Die Finesse der Darstellung ist geradezu atemberaubend: so schöne Holzstiche habe ich noch niemals gesehen.

Von diesem Gipfel konnte es nur noch bergab gehen. Inspiriert wesentlich von Hokusai, finden sich im 19. Jahrhundert zwar einige schöne Landschaftsmotive, aber schon sehr früh gab es den Übergang zum Comic. Vielleicht ist es ja mein westlicher oder überhaupt ungeübter Blick, aber was mir angesichts dieser Bilder fehlt, sind nicht zuletzt Witz und Ironie, welche die besten unserer Comics auszeichnen. Und heute? Zwar gab (und gibt es sicherlich immer noch) genügend begabte Künstler, aber Mangas unserer Zeit erscheinen im Vergleich mit den Meisterwerken der klassischen Zeit als grob. Nicht einmal im Kinderfernsehen (und vielleicht gerade dort zuletzt!) würde ich die meisten dieser Bilder zeigen. Auch die zahlreichen Helden, also zum Beispiel die in unsere Zeit übertragenen Samurais sind keine große Kunst, selbst wenn die Künstler gelegentlich Virtuosen sein mögen. Aber alles wirkt schematisch, dazu übertrieben, extrem technisch und ganz und gar unpoetisch.

Das Museum für Kunst und Gewerbe erfüllt aber mit dieser Ausstellung seinen Auftrag, denn es soll ja eben nicht allein die schönen Künste vorführen. Diese Ausstellung reicht bis in die Gegenwart und macht uns in einer intelligenten und vielseitigen Präsentation mit einer sehr fremden und interessanten Kultur bekannt.

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