Rezensionen

Jutta Teuwsen: Der Berg Fuji in der zeitgenössischen Kunst. Eine Diskursanalyse mit visuellen Daten. Böhlau Verlag

Der Fuji – höchster Berg Japans, das ewige Symbol einer ganzen Nation und immerwährendes Ikon. Noch bis vor wenigen Jahrzehnten gab es nur eine einzige akzeptierte Darstellungsform für den heiligen Berg. Das hat sich seit den 2000er Jahren aber grundsätzlich geändert. Jutta Teuwsen hat die Gesamtheit der gegenwärtigen Kunstwerke, die den Fuji zeigen, untersucht und erstaunliche Parallelen zur zeitgenössischen japanischen Gesellschaft entdeckt. Melanie Obraz hat das Buch gelesen und die Reise in den Osten angetreten.

Cover © Böhlau Verlag
Cover © Böhlau Verlag

Fast im Zentrum Japans liegend, ist die geografische Lage des Bergs Fuji bereits in dieser Hinsicht ein beliebtes Reiseziel für Japaner wie auch Touristen aus aller Herren Länder. 3776 Meter hoch und ein ruhender Vulkan, gilt er als Schönheit der Natur und überdies als der Heilige Berg schlechthin (Shintoismus, Buddhismus). In früheren Zeiten dem Zugang der Frauen verboten, bezeugt er als Wahrzeichen ein Bild mit Symbolkraft. Der Fuji steht quasi für den japanischen Geist und die Kultur des Landes. Gilt der Berg darüber hinaus auch heute noch als Nationalheiligtum? Jutta Teuwsen geht unter anderem auch dieser Frage nach und erörtert die Grundlagen und Möglichkeiten einer Diskursanalyse mit visuellen Daten. Wie selbstverständlich scheint es daher, dass der Berg sowohl in der bildenden Kunst als auch in den Künsten allgemein viele Darstellungen und Interpretationen erfuhr und als Weltkulturerbe auch heute von herausragender Bedeutung ist. Die Geschichte um den heiligen Berg wird wohl nie zu Ende erzählt sein.

Die Autorin beleuchtet dabei stets die Spannung zwischen der japanischen Kunst, die sich auch der europäischen Sichtweise auf die Kunstwerke öffnet und erörtert, dass es dabei zu einer wechselseitigen Beeinflussung schon seit der 1830er Jahre kam. Denn: Holzdrucke japanischer Künstler waren zu jener Zeit auch im Westen begehrt, ein Künstler schrieb das Bild des Fuji sogar ins kollektive Gedächtnis der Nation ein.

»Kanagawa oki nami ura« (»Die große Welle von Kanagawa« oder auch »Die Woge« aus dem Zyklus »Die sechsunddreißig Ansichten des Berges Fuji« von Katsushika Hokusai (1760-1849) gilt als berühmteste künstlerische Abbildung des Berges, als Meisterwerk der modernen Kunst des 19. Jahrhunderts und sogar als das berühmteste japanische Kunstwerk. Hokusai porträtiert den monumentalen Berg darin als Gegenpol des aufschäumenden Meeres, als Ruhepol in einer dramatisch aufgeladenen Szene.

Ein besonderes Beispiel der Japanbegeisterung offenbarte später der niederländische Maler Vincent van Gogh, mit einem direkten Bildzitat in seinem Gemälde »Portrait des Père Tanguy« aus dem Jahr 1887. Nennenswert ist in diesem Zusammenhang auch das Gedicht »Der Berg« Rainer Maria Rilkes, eine Hommage auf Hokusais Serien.
Doch in der zeitgenössischen Kunst wird der Fuji des Hokusai sogar in einem Werbespot zum Toyota Crown von 2016 zitiert. Damit wird einmal mehr deutlich, wie sehr Japan von der Umschreibung des Slogans »Tradition trifft auf Moderne–Sujet« inspiriert ist.
Der Fuji ist eine Konstante und aus der Kunstszene Japans nicht wegzudenken. Das Medium der Fotografie repräsentiert die sozialen und ästhetischen Gesichtspunkte im alltäglichen Leben und so tritt dieser Eindruck auch in Japan im Besonderen hervor.

Cover © Metropolitan Museum of Art
Cover © Metropolitan Museum of Art

Der Diskurs soll dabei nicht auf japanische Künstler:innen, die sich des großen Themas »Fuji« annehmen, beschränkt sein, sondern auch nicht japanische Künstler:innen miteinbeziehen, denn oft besteht in der zeitgenössischen japanischen Kunst der Aspekt des Süßen, Niedlichen des »kawaii«, das ebenso auch einer Hilflosigkeit Ausdruck verleihen kann. Hier sind vor allem populärkulturelle Darstellungen, ebenso Mode und Design zu nennen. So kommt es auch zu abweichenden Darstellungen des Fuji, die der Tradition entgegenstehen. So zeigt sich der Aspekt des Süßen, in der speziellen Art des Niedlichen, in dem bekannten Beispiel »Hello Kitty«, wo der Fuji als rosa Naschwerk dargestellt wird. Der Fuji ist zum Vernaschen süß!
Die Autorin recherchierte vor Ort in Japan und berichtet, wie sich in Tokio die zeitgenössische Kunst in einer geradezu unglaublichen Dichte in den dort ansässigen Galerien präsentiert und manifestiert. Dazu stellt sie eine ungewöhnliche These auf: Obwohl hier die Abbildung des Fuji nicht das Thema sei, so zeige sich gerade in diesem Aspekt der Abwesenheit doch die immerwährende starke Bedeutung des heiligen Berges. Noch nicht etablierte Künstler:innen scheinen »vor der Nutzung in ihren Werken zurückzuschrecken«, da dem Berg ein so hohes und heiliges Image zukomme, dass ein/e noch unbekannte/r Künstler:in, zu sehr auf das Thema Fuji festgelegt werden könnte. Der Berg ist in einer Symbolkraft so wirkmächtig, dass eine Neuinterpretation äußerst problematisch sein kann. Zu ehrwürdig, hoch respektiert und unantastbar erscheint der Fuji – noch immer!

Dennoch besteht keine eindeutige Trennungslinie zwischen Tradition und Moderne wie es der dazu gehörende Subdiskurs anschaulich macht. Daher ist festzuhalten, dass sich der Diskurs in der zeitgenössischen Kunst an Diskurse der Vergangenheit direkt anschließt und diese sogleich subversiv erweitert. Damit geht schließlich eine latente Gesellschaftskritik einher. Aktuelle Werke der japanischen Kunst zeigen vermehrt Menschen in ihrem alltäglichen Dasein vor dem allmächtigen Hintergrund des Fuji.
Teilweise wird das Motiv des Fuji auch als Fremdkörper in einem Werk verarbeitet, um somit auf den heiligen Berg als Relikt einer alten Zeit hinzuweisen. Brisant ist, dass der Berg teilweise in einer bedrohlichen männlichen Dominanz, als Vulkan bzw. Aggressor, auf einer sexualisierten Ebene präsentiert wird. Die Autorin macht damit darauf aufmerksam, dass sich der Diskurs auch den Randbereichen öffnet, um so thematische Verschiebungen und Brüche hervorzuheben. Es wird klar, dass sich die Kulturgeschichte weiterentwickelt hat und der Fuji nicht mehr nur ein Ort für Pilger oder Touristen ist, sondern ein sich wandelnder und dynamischer Prozess der Wahrnehmung hinsichtlich des heiligen Berges stattfindet.

Jutta Teuwsens Analyse ergab, dass die zeitgenössischen Werke genau jene Themen verhandeln, welche auch in der heutigen japanischen Gesellschaft kontrovers diskutiert werden: Der wiedererstarkende Nationalismus, die Dreifachkatastrophe 2011 und der scheinbare Konflikt zwischen Tradition und Moderne sind nur einige Beispiele.
Kritisch wird hervorgehoben, dass nur wenige privilegierte Personen Zugang zu den Aussagen des hier behandelten Diskurses haben. Aus diesem Grunde zeige sich die moderne japanische Kunst hinsichtlich des Fuji wohl auch oft rein provokativ. Darin eröffnet sich aber eine Verbindung und ein speziell visuell ausgerichteter Diskurs, der die Ebenen der Tradition und Moderne von Neuem behandelt.

Ganz gleich, ob man in Japan religiös ist oder als Atheist:in lebt, der Fujisan bedeutet eine immerwährende Inspirationsquelle, so wie es das Cover des Buches visualisiert – eine Interpretation des japanischen Künstlers Ikeda Manabu.

Titel: Der Berg Fuji in der zeitgenössischen Kunst. Eine Diskursanalyse mit visuellen Daten
Autorin: Jutta Teuwsen
Verlag: Böhlau
Einband: Gebunden
Sprache: Deutsch
ISBN–13: 9783412524104
Umfang: 232 Seiten/ca. 74 farbige Abbildungen

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