Religiöse Themen in der Kunst eines atheistisch-autoritären Staates? Dieses Paradox ist eine wichtige Facette des Kunstschaffens in der DDR. Rowena Fuß hat sich mit dem Thema beschäftigt und den Katalog zur gleichnamigen kürzlich vergangenen Erfurter Schau gelesen.
Direkt in die Materie geht das titelgebende Bild »Tischgespräch mit Luther« von Uwe Pfeifer. Es zeigt den Kirchenreformator, der mit einem lateinamerikanischen Guerrillero im camouflagefarbenen Kampfanzug konfrontiert wird. Zwischen und über den beiden hängen bzw. stehen Mikrofone, die dem Ganzen die Atmosphäre eines Fernsehstudios verleihen. Dazu tragen weitere Personen im Bild, die das Gespräch interessiert verfolgen, bei. In der Ausstellung lud ein Stuhl vor dem Bild sogar den Besucher sinnbildlich dazu ein, an der Diskussion teilzunehmen.
Doch das ist noch nicht alles: Flankiert wird das Gemälde von zwei Seitenflügeln, die Adam und Eva zeigen. Es ist eine Parodie zu einem ganz ähnlichen Werk von Albrecht Dürer. Denn Pfeifer porträtiert hier zwei moderne Menschen in ihrer individuellen Erscheinung: Eva ist billig geschminkt und hält ganz ungraziös eine Fluppe in der linken Hand; Adam rockt zu den Klängen aus seinem Walkman. Dürer hingegen malte seine Figuren als ideales Menschenpaar mit einem Feigenblatt für ihre Blöße. Was Pfeifer mit seiner Arbeit verkörpert ist ein reformatorisches Menschenbild. »Wir brauchen eine Kunst, die die Menschen zum Denken veranlasst, und wir brauchen keine Kunst, die ihnen das Denken abnimmt.«, erklärte der Bildhauer Fritz Cremer in einer Rede von 1964.
Und schon sind wir mitten drin in der kontroversen Funktion von Kunst in der ehemaligen DDR. Mittels Staatsaufträgen wollte der Kulturrat sicherstellen, dass die Kunstschaffenden in den richtigen ideologischen Bahnen schwammen. Die Künste sollten kein selbstständiger Faktor sein. Otto Grotewohl, der Ministerpräsident der DDR, formulierte dies 1951 eindeutig: »Literatur und Kunst sind der Politik untergeordnet … Die Idee der Kunst muss der Marschrichtung des politischen Kampfes folgen.« Doch natürlich fanden eben jene gleichzuschaltende „Kulturschaffende“ geeignete Mittel und Wege, um doch noch Kritik und Kommentare in ihren Bildern äußern zu können.
Eine besondere Bedeutung in dieser Sache hatte die Leipziger Malerei – vertreten durch Werner Tübke, Willi Sitte, Wolfgang Mattheuer und Bernhard Heisig. Laut Eduard Beaucamp bestand diese darin, »die determinierte, eindimensionale Kunst in den sechziger Jahren zu einem vielschichtigen und verschlüsselten Medium umgebaut zu haben. Sie entwickelte eine … mehrdeutige Bildsprache, die Kritik und Kommentar, … eine intellektuelle Auseinandersetzung mit Thema und Auftrag erlaubte …«
Bevorzugt wurden Stoffe und Figuren aus der antiken Mythologie und Literatur. Die dort vorgeformten allgemein-menschlichen Beziehungsmuster dienten als Negativ, mit dem die Verhältnisse der Gegenwart besonders deutlich ins Bewusstsein gebracht werden konnten. Gleiches galt für biblische und christliche Motive, was Beaucamp im Katalog am Beispiel Werner Tübkes abhandelt. Denn eines darf nicht vergessen werden: Die in der DDR entstandenen Kunstwerke geben Auskunft über existenzielle geistige Nöte der Menschen. Dies war möglich, indem die Bilder zu Zeichen wurden.
In vier Aufsätzen und einer Einleitung werden diese Phänomene dargestellt. Dabei werfen die einzelnen Beiträger jeweils einen Blick auf die Sache und geben danach Hintergründe preis. Einen schönen Überblick zum Verhältnis Kunst und Kirche in der DDR bietet beispielsweise Paul Kaiser. Lesenswert ist auch der Beitrag von Andreas Mädler, der sich mit der Aufwertung der Kirche durch ihr Engagement für die Kunst beschäftigt. Abwechslungsreich sind schwarz-weiße und farbige Abbildungen in die Texte gestreut und auch diese wechseln sich der Länge nach ab: Auf einen kurzen folgt ein langer Artikel usw. Schließlich rundet ein Werkverzeichnis den Katalog ab. Zum Teil sind einige Bilde auch mit Kommentaren versehen. Sie laden dazu ein, sich mit dieser oder jener Arbeit genauer zu beschäftigen. Alles in allem überzeugt der Begleitband zur Ausstellung aus dem Kerber-Verlag. Und doch lässt er immer noch einen Platz in der Gesprächsrunde frei.