Ausstellungsbesprechungen

Kara Walker: A black hole is everything a star longs to be. Schirn Kunsthalle, Frankfurt am Main, bis 16.01.2022 (im Anschluss: De Pont Museum, Tilburg, Niederlande, 19. Februar bis 24. Juli 2022)

Geschundene Körper, geile Fratzen. Gier. Gelächter. Rund 650 – ja was sind es? – Positionen, Anklagen, Albträume? Die Äußerungen auf Papier der US–Amerikanerin Kara Walker (*1969) reichen von durchgearbeiteten, großformatigen Zeichnungen bis hin zu hingeworfenen Skizzen, Tagebucheinträgen und Fundstücken wie Zeitungsfotos und Verpackungen. Die Mehrheit der Blätter eint eine unsentimentale Härte und brutale Dramatik, die direkt zu den dunklen Seiten menschlichen Zusammenlebens führt. Auf den ersten Blick gliedern sich die zeichnerischen Arbeiten damit bruchlos in den visuellen Kosmos der durch Scherenschnitte bekanntgewordenen Künstlerin. Auf den zweiten Blick beeindrucken die stilistische Vielfalt und der Reichtum an vor allem kunsthistorischen Andeutungen: alles andere als Schwarzweiß–Bilder über Kolonialismus, Rassismus, Sexismus. Torsten Kohlbrei hat sich die Schau angesehen.

Kara Walker, Untitled, 2016, aus der Serie mit 31 Werken: Only I can solve this (The 2016 Election), Tusche, Wasserfarbe und Graphit auf Papier, 26 x 18,1 cm © Kara Walker
Kara Walker, Untitled, 2016, aus der Serie mit 31 Werken: Only I can solve this (The 2016 Election), Tusche, Wasserfarbe und Graphit auf Papier, 26 x 18,1 cm © Kara Walker

Für die Ausstellung der Kunstmuseen in Basel, Frankfurt und Tilburg hat Kara Walker Blätter, die ohne Veröffentlichungsabsicht über einen längeren Zeitraum entstanden sind, zum ersten Mal aus den Boxen in ihrem Atelier befreit und zu »Werkgruppen« komponiert. Teils – wie archäologische Fundstücke – auf Tischen ausgebreitet, teils zu »Bilderwolken« geordnet, die in ihrer Dichte mit jeder Petersburger Hängung konkurrieren können, warten die Arbeiten auf ihre Betrachter.

Die gewünschte Rezeption gibt der Ausstellungstitel vor: »A black hole is everything a star longs to be.« Die Besucher:innen sollen sich von den so unterschiedliche Zeichen ausstrahlenden Bildern anziehen lassen, sich in den Sog der Anschauung stürzen. Das zeigt schon ein Blick auf das Cover des Ausstellungskatalogs: Die dort abgedruckte Zeichnung erinnert an einen Torso, ist zugleich aber eine abstrakte Form, die kaum noch als menschlicher Körper gelesen werden kann. Wer in der schwarzen Farbfläche dann doch einen um Kopf, Beine und Arme reduzierten Leib erkennt, sieht einen zerstörten Körper, dem dennoch etwas Kraftvolles innewohnt und es liegt im Auge des Betrachters, ob er das Gebrochene erblickt oder gar eine neue Stärke erkennt, die durch die abgebildete Körperspannung so subtil wie eindrucksvoll dargestellt wird.
Was wird hier also auf der Schwelle einer sich auflösenden Figuration sichtbar? Bei vielen weiteren Arbeiten kommt die Frage nach den Quellen der Bildfindung hinzu. Die böse Fantasie des Belgiers James Ensor (1860–1949) darf genauso wie Goyas gesellschaftskritischer Zyklus »Los Caprichos« als Referenzpunkt vermutet werden, Picasso ist zu erkennen, Stilelemente von Rembrandt sowie Rubens verweisen auf die alte, weiße Kunstgeschichte.

Schirn_Presse_Kara_Walker_in_ihrem_Studio_2019__c__Foto_Ari_ Marcopoulos.jpg Kara Walker in ihrem Studio, 2019 © Foto Ari Marcopoulos
Schirn_Presse_Kara_Walker_in_ihrem_Studio_2019__c__Foto_Ari_ Marcopoulos.jpg Kara Walker in ihrem Studio, 2019 © Foto Ari Marcopoulos


Die Bilder sind Aufmerksamkeitsfallen im besten Sinne. Die Präsentation in Gruppen erhöht diese Qualität um ein Vielfaches noch, denn jetzt will auch die Korrespondenz zwischen den Bildern nachvollzogen werden.
Die suchende, kombinatorische Betrachtung kreist um die für Walker bekannten Themen: Es geht um die Rolle der Frau, um Rassismus gegenüber Afroamerikaner:innen und einen noch immer nicht überwundenen Kolonialismus. Dass an dieser Stelle erst jetzt auf die Bildinhalte eingegangen wird, geschieht nicht aus mangelndem Respekt und auch nicht in dem Versuch, die Arbeiten als reines Kunstabenteuer zu verharmlosen. Verharmlosung geschieht ganz im Gegenteil durch eine Berichterstattung, die mit den großen Ismen (Rassismus, Feminismus, Kolonialismus) startet und damit die Notwenigkeit einer Rezeption sozusagen a priori einfordert. Genau diese vermeintliche Korrektheit hat die Künstlerin Kara Walker in keiner Weise nötig. Ihre Arbeiten wirken im musealen Umfeld, das eine aufgeklärte Öffentlichkeit voraussetzen kann, gerade weil sie Zeichnungen, Bilder sind.

Schirn_Presse_Kara_Walker__merica_2016__2018.jpg Kara Walker, 'merica 2016, 2018, aus der Serie mit 38 Werken: The Gross Clinician Presents: Pater Gravidam, Graphit, Sumi- Tusche, Gofun und Gouache auf Papier, 56,52 x 76,2 cm, Kunstmuseum Basel, Kupferstichkabinett © Kara Walker
Schirn_Presse_Kara_Walker__merica_2016__2018.jpg Kara Walker, 'merica 2016, 2018, aus der Serie mit 38 Werken: The Gross Clinician Presents: Pater Gravidam, Graphit, Sumi- Tusche, Gofun und Gouache auf Papier, 56,52 x 76,2 cm, Kunstmuseum Basel, Kupferstichkabinett © Kara Walker

Die Künstlerin lasiert die dargestellten Körper nur partiell in dunklen Tönen oder nutzt schwarze Flächen, um mit weißen Umrisslinien eine Figur herauszuarbeiten. Sie montiert Körperelemente und betont Haare sowie physiognomische Merkmale. Deshalb erlebt der Betrachter in diesen Zeichnungen, mehr noch als in den Scherenschnitten, buchstäblich den Versuch, people of color »ins Bild zu bekommen«. Und zwar in einen Darstellungsmodus, der seinen Platz in der von Europa geprägten Kunst beansprucht – also den Faden weiterspinnt, mit einem neuen Narrativ und einer noch nicht gesehenen Visualität.

So sieht das Publikum, dass in der sogenannten »westlichen, weißen« Kultur nicht nur geschichtlichen Bezüge vergessen und verdrängt, sondern darüber hinaus eine ganze Form von Körperlichkeit negiert wurde.
Weil man dies mit den eigenen Augen erkennt, darf die Museumspädagogik schweigen und einem Fundstück direkt im ersten Saal der Frankfurter Ausstellung vertrauen: IF YOU ARE SEEKING CLUES TO A CLOSED AND BLACK INTERIOR – LOOK NO FURTHER.


KURATORIN:
Dr. Anita Haldemann (Kunstmuseum Basel)

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