Interviews

Kleine Lektion in Sachen Schöpfungsprozess – Interview mit Erwin Wurm

Erwin Wurm zeigt in seiner ersten, noch bis Sonntag laufenden Einzelausstellung in der Wiener Albertina Aktfotografien von befreundeten Künstlerkollegen und Selbstporträts. Genannt wurde diese Werkserie »De Profundis«. Thematisiert wird der menschliche Körper und dessen Verfall. Petra Augustyn hat mit dem Künstler über die Serie gesprochen.

Die ersten Zeichnungen zu dieser Serie wurden von der gotischen Malerei beeinflusst. Was faszinierte Sie daran?

Die Gotik hatte ein komplett anderes Menschenbildnis und die Menschen damals hatten ein komplett anderes Verhältnis zu ihrem Körper. Sie waren viel weniger wehleidig als wir heutzutage und der Körper damals war wie eine Art Hülle, wie ein Schlauch. Das Ziel war die Seele heil ins Jenseits zu bringen. Wenn man sich anschaut, die Menschendarstellungen der damaligen Zeit, das aufs Jenseits ausgerichtete Sein. Das fasziniert mich!

Der leidende Mensch, der leidende Christus, die Compassio. Die ersten Zeichnungen zu dieser Serie drücken das aus.

Ich mache immer Reisen mit meinen Söhnen im Winter, und da waren wir unter anderem auf einer Insel und wir hatten irrtümlich in einem Honeymoon Resort reserviert, aber ich war ohne meiner Frau dort, also war ich komplett zurückgeworfen auf mich selbst. Ich beschäftigte mich mit mir selbst und habe begonnen, mich mit dem Körperbild der Gotik auseinander zu setzen. Das sind eigentlich nur alles Reminiszenzen. Ich habe kein direktes Vorbild gehabt. Es sind Erinnerungen an bestimmte Haltungen. Am Anfang wusste ich nicht wo das Ganze hingeht.

Was war denn ursprünglich angedacht?

Ursprünglich hätte es eine Fotoausstellung werden sollen. Der Direktor der Albertina Klaus Albrecht Schröder hatte mich eingeladen, etwas mit Fotos zu machen. Das wollte ich aber nicht. So habe ich mich langsam herangetastet. Mich in einem Spiegel betrachtet. Der Künstler ist sich selbst das billigste Model - im Sinn von leicht verfügbar. Und dann hat mich die Arbeit so weitergetrieben.

Was meinen Sie denn mit »De Profundis«?

Das ist von Oscar Wilde, als er aus dem Gefängnis einen Brief an seinen Geliebten Lord Alfred Bruce Douglas geschrieben hatte, den er für seine Miserie verantwortlich machte. Er hat den Psalm 130 »Aus der Tiefe rufe ich, Herr, zu Dir« zitiert und ich habe Oscar Wilde zitiert! Eigentlich wollte ich diese Werkserie ja »Herrensahne« nennen.

Ja, was hat es denn damit auf sich?

Das ist in Norddeutschland ein Spruch. Das ist eben Herrensahne, sowas wie Erstesahne, wie besonders toll. Ich wollte das so nennen, aber in Österreich geht das nicht. Da wird das Wort Herrensahne sofort umgedeutet. Es sind alles ältere Männer, die in einer anderen Lebensphase sind. Das hat mich schon auch fasziniert. Nicht so wie in der Werbung, wo alle vor Jugendlichkeit strotzen. Genau das interessiert mich nicht. Also ausgehend von mir und meinen Kollegen, meinen zumeist durchwegs gleichaltrigen Kollegen, ist diese Entblößung, die Entledigung einfach da.

Die Nackheit, die man nicht wissen will? Wen interessiert schon wirklich die nackte Wahrheit.

Kleider machen eben Leute. Die nackte Wahrheit will man eben nicht sehen, deshalb hat es mich auch gereizt, sozusagen in eine Wunde zu stechen. War ja für keinen von den Herrschaften angenehm und mir schon gar nicht.

Die Arbeit war gar nicht angenehm, oder spielte auf einer humoristischen Ebene?

Da geht es nicht um Humor, aber was mich fasziniert hat, ist die Tatsache, dass ich mit Farbe die Körper wie mit einem Meißel bearbeiten konnte, sie modellieren! Und ich glaube die Entwicklung wird auch noch ganz woanders hingehen. Mit Gentechnik und allen anderen möglichen Techniken, können wir in Zukunft unseren Körper so verändern, dass wir unseren Körper, ja sogar unsere Organe einfach aussuchen können. In Amerika kann man sich seine eigenen Organe bereits züchten lassen und wenn man dann krank wird, dann bekommt man sein eigenes Organ, so wie es war. Werden Sie etwa gerne alt?

Was hat es mit dem Übermalen der Arbeiten auf sich?

Das hat sich ergeben. Also zum Beispiel bei Hermann Nitsch. Das ist einfach ein starkes Bild. Und ich habe dann lange herumgesucht, damit gespielt. Was mich so daran gefreut hat an diesem Wegnehmen, ist, das es wirkt, wie herausgeschnitten. Zuerst habe ich weggenommen, den Körper deformiert, modelliert und dann irgendwann habe ich mich dazu entschlossen, auch etwas dazuzugeben. Ich habe ja auf einem Foto verschiedene Positionen gemacht und dann entsteht plötzlich so eine abstrakte, ganz eigenartige Figur. Da führt einen der Arbeitsprozess. Wenn man eine Vorstellung hat und dabei bleibt bis zum Schluss, dann kann einen die Arbeit nicht führen, wenn man aber nachgibt, und zulässt, was sich zwischen der Arbeit ergibt, dann führt einen die Arbeit. Und was ich jetzt mache, ist, dass ich probiere, das herauszuschneiden und als Skulptur umzusetzen, also dreidimensional.

Und der Raum?

Das war mir komplett egal. Ich habe großteils Räume genommen, die Umräume waren, entweder war es im Freien, oder in der Garage bei mir, oder bei Hermann Nitsch, im Atelier, bei Matthias Hartmann war es in seinem Büro. Und ich habe mich selbst dazu genommen, damit man mir nicht vorwerfen kann, der zieht nur die Anderen aus, aber sich selbst nicht.

Und wieso wurde bei manchen Bildern darübergeschrieben?


Bilder mit Schriften darüber, das mache ich schon seit dreißig Jahren, weil die Schrift, die Buchstaben auch deformieren und gleichzeitig vermitteln sie Inhalt, das ist also nicht nur eine Übermalung ohne Inhalt. Am Anfang habe ich mir gedacht, es geht um die einzelnen Leute, doch das ist gar nicht mehr wichtig, wer da dahinter steckt, sondern es geht um den nackten Mann, die Transformierung, Deformierung im Körper transportiert den Inhalt und macht neue Formen.

Weitere Informationen

Das Interview erschien erstmals unter dem Titel »Der Verfall des Körpers auf dem Weg ins Jenseits« in der Zeitkunst 02/2013.

Diese Seite teilen

Besuchen Sie uns