Ausstellungsbesprechungen

Kollwitz - Beckmann - Dix - Grosz. Kriegszeit , Staatsgalerie Stuttgart, bis 7. August 2011

Kunst in jeglicher Gestalt kann und darf schön sein, erfreuen, die Gemüter besänftigen oder einfach nur da sein ohne Hintergedanken. Eine ebenso wichtige Aufgabe der Kunst jedoch ist es aufzurütteln, zu mahnen, anzuklagen und damit in gesellschaftliche Prozesse einzugreifen. Unter dem Titel »Kriegszeit« vereint die Staatsgalerie Stuttgart Exponate aus der eigenen Sammlung, in denen Künstler unmittelbar auf die beiden verheerenden Weltkriege und die gesellschaftlichen Verhältnisse der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts reagieren. Günter Baumann hat sich die eindringliche Schau angesehen.

Was für eine Ausstellung! Die Staatsgalerie präsentiert grafische Folgen und Einzelblätter zum Krieg, vorwiegend aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Ästhetischer Genuss und Staunen über die Fülle des Gezeigten wiegen angenehm schwer und werden doch zwangsweise niedergedrückt durch die arge Last des Inhalts. Für die Kuratorin Corinna Höper war es eine Herausforderung, denn selbst für die erfahrene Fachfrau schlug die Thematik heftig aufs Gemüt. »Das steckt man nicht so leicht weg. Gerade auch die Kinderdarstellungen machen einem zu schaffen«. Kinder, die als Leidtragende der Kriege oft ausgeblendet werden, sind im Werk von Käthe Kollwitz oft gegenwärtig, das mit rund hundert Grafiken und Zeichnungen im Zentrum der Stuttgarter Schau steht. Mit der statistischen Ziffer nimmt auch schon das Staunen seinen Raum ein – es ist in der Öffentlichkeit kaum bekannt, dass die Staatsgalerie zu den größten Sammlern des Kollwitz-Werks gehört. Dass darüber hinaus bedeutende Zeitgenossen – neben Beckmann, Dix, Grosz auch Ernst Barlach oder Ludwig Meidner – sowie zu Unrecht vergessene Künstler wie Otto Hermann oder Wilhelm Rudolph noch einmal mit weiteren 200 Arbeiten die Ausstellung ergänzen, macht die Präsentation zu einem ergreifenden Überblick über ein leider zeitloses Thema: Der hier rein historisch gesehen vereinzelt unter den anderen Namen auftauchende Anselm Kiefer verweist stellvertretend auf unsere Zeit und unbeabsichtigt wohl auch auf frühere Zeiten, nicht ohne den Ausstellungszeitraum (mit seinem Buch »Heroische Sinnbilder«) im Auge zu behalten.

Aus wirtschaftlichen Erwägungen hat sich die Staatsgalerie vor Jahren dafür entschieden, die eigenen Bestände mehr in den Fokus ihrer Ausstellungen zu stellen. Leider könnte man sich dabei rasch auf den Holzweg begeben, man habe hier mühsam Arbeiten zusammengekratzt, um auf ein virulentes Thema hinzuweisen. In Wirklichkeit ist es ein erstklassiges Schauerlebnis, das auch noch seit einer halben Ewigkeit unter Verschluss war: Das Kollwitz-Werk etwa war 1967 zum letzten Mal ausgestellt worden. Nun kann man es bestaunen, im Einklang mit den anklagenden Skulpturen von Wilhelm Lehmbruck und in der Verlängerung der langen Raumfluchten mit den anderen Künstlern. »Nie wieder Krieg« hat Kollwitz ein Bild unterschrieben – die Geschichte wusste es besser, aber der Ruf ist heute genauso notwendig wie zu jener Zeit. Zwischendurch überrascht uns die Kollwitz mit Mutter-Kind-Bildern, die bei aller Agitation um sie herum auch mal eine lächelnde Mutter sehen lassen. Ein schöner Schein, genauso wie die schlafenden Kinder, die auch tot sein können. Dass die Staatsgalerie empfiehlt, Kinder nicht allein in die Ausstellung zu lassen, mag man bedauern, aber sie ist damit wohl beraten – im Idealfall sollten die Eltern und, was noch wichtiger wäre, Geschichtslehrer oder Kunsterzieher die Chance nützen, mit Kindern und Jugendlichen diese Ausstellung zu nutzen, solange sie noch dauert.

Die großen Radierfolgen der Käthe Kollwitz, wie die zum Weberaufstand, sind freilich bekannt, vielfach dokumentiert und abgebildet, ähnlich wie das grandiose Werk von Otto Dix (»Läuse, Ratten, Drahtverhau, Flöhe, Granaten, Bomben, Höhlen, Leichen, Blut, Schnaps, Mäuse, Katze, Gase, Kanonen, Dreck, Kugeln, Mörser, Feuer, Stahl, das ist Krieg! Alles Teufelswerk«, 1916). George Grosz schafft mit seiner »Räuber«-Serie einen reizvollen, wenn nicht aufregenden Spagat zwischen Friedrich Schillers Sturm und Drang und dem Verismus der 1920er Jahre. Barlach steht als Grafiker hinter seinem plastischen Werk zurück, umso mehr lohnt ein Blick in dieses umfangreiche Œuvre, grade im Vergleich zu Kollwitz: Es ist sicher seinem eigentlichen Metier geschuldet, dass er bei seinen Holzschnitten den Druckstock bis ins Blatt hinein spürbar erhält, während seine Kollegin eher auf dem Papier moduliert. Von Max Beckmann ist unter anderem eine Radierung von 1918 zu sehen, die sein unvollendetes Gemälde zur »Auferstehung« aus dem Jahr 1916 gewissermaßen fertig denkt – beide Arbeiten in einem Haus zu wissen, tröstet nur die, welche die Ausstellung besucht haben oder den Katalog in Händen halten.

Hier erkennt man deutlich, wie wichtig Grafik-Ausstellungen sind, die von einer Öffentlichkeit zuweilen noch immer nicht für voll genommen werden, deren Sinne auf Farbe programmiert sind. Ihr entgehen einzigartige Einblicke in eine grandios vielseitige Gattung mit nahezu unerschöpflichen Techniken. Auch stilistisch sind die Grafiker markanter zu unterscheiden als die Maler, denkt man etwa an Ludwig Meidner, dessen fiebriger Stil in den Lithographien und den unmittelbareren Zeichnungen noch deutlicher aufscheint als in seinen Gemälden. Nahezu extrem ist der stakkatohafte Stil des Holzschneiders Wilhelm Rudolphs, der dem zerstörten Dresden ein ergreifendes Denkmal gesetzt hat (»Zum Trauern war keine Zeit; 1945 hat keiner getrauert; da ging es ums Überleben. Ich habe gezeichnet, ich habe wie besessen gezeichnet«, um 1970). Schließlich glänzt die Schau durch Otto Herrmanns Kreidelithografie-Folge der »Verdammten« von 1947–50, die von Theodor Pliviers Roman »Stalingrad« angeregt wurden. Herrmann gehört zu den großartigen Entdeckungen in der Ausstellung – wenn es gelingt, ihn ins kulturelle Gedächtnis zurückzuholen, wäre schon viel erreicht.

Wer bisher noch nicht den rechten Zugang insbesondere zur schwarz-weiß angelegten Druckgrafik gefunden hat, dem sei der Katalog ans Herz gelegt, der nicht nur das Thema mit großem Ernst, sowohl in der fachlichen Nüchternheit wie in der unvermeidlichen Anteilnahme, begegnet, sondern auch ein Bildkompendium zur themengebundenen Grafik in bester Druckqualität bietet. So wird diese wichtige Ausstellung auch für die Zukunft angemessen dokumentiert. Max Beckmann schrieb 1915: »Ich will das alles innerlich verarbeiten, um dann nachher ganz frei die Dinge fast zeitlos machen zu können: diese aus dem Grabe blickende schwarze Menschenmiene und die schweigenden Toten, die mir entgegenkommen, sind düstere Grüße der Ewigkeit, und als solche will ich sie später malen«.

Diese Seite teilen

Besuchen Sie uns