KunstGeschichten

KunstGeschichte: Freundschaftsspiel

Fußball und Kunst - was kann unterschiedlicher sein? Ein profaner Sport für kleine Jungen und harte Fans hier, schöngeistige Werke da. Doch so einfach ist es nicht. Dass auch Unterliga-Sportler einen Sinn für das Schöne haben, beweist unsere neue Kunstgeschichte. Erich Wurth erzählt von harten Abstiegskämpfen, einem leidenschaftlichen Fan, den Musen und wie sie eine Fußballmannschaft retten.

In den 1960er Jahren erschien in der Kronen Zeitung täglich ein Comic Strip, genannt „Charly Kappl“. Es ging dabei um einen Briten mit einer Sportkappe auf dem Kopf und mit Bartstoppeln im Gesicht, der ein Anhänger von Zigaretten und Alkohol war – und außerdem war dieser Charly fußballverrückt. Im Original hieß dieser Hooligan „Andy Capp“ und der Strip wurde gezeichnet von Reg Smythe. Etwa 1.500 Zeitungen weltweit übernahmen diese Geschichten.

In Wien aber gibt es diesen Typen tatsächlich! Nicht nur, dass er mit einer karierten Sportkappe herumläuft und Bartstoppeln im Gesicht trägt. Er hat sogar einen sehr ähnlich klingenden Namen: Es ist der Charly Happel, wohnhaft in Erdberg, also im dritten Bezirk und damit nicht weit vom Ernst Happel Stadion. Dort gab es schon mitunter böse Szenen, wenn er freien Eintritt forderte, weil er genau so heiße wie der 1992 verstorbene Fußballer und Trainer, nach dem das Stadion benannt ist. Manchmal behauptete er sogar mit Ernst Happel verwandt zu sein. Aber nie gelang es ihm, gratis zu einem Fußballspiel zu kommen. Seine Tricks fruchteten nicht.

Charly Happel hatte nicht nur einen Fußballtick, er malte seine Helden auch. Die Spieler der Nationalmannschaft existierten alle als gemalte Idole, die er mit Ölfarbe auf Leinwand gepinselt hatte. Charly selbst hätte gesagt „in Essig und Öl“ gemalt und zwar als gesamte Person im „Nationalleiberl“, wobei er großen Wert auf die Ganzkörperdarstellung legte, die den Sportler mit sämtlichen körperlichen Vorzügen abbildete. Arnautovic gab es da, „mit'm faden G'sicht“ und er schien gerade einem Schiedsrichter zu sagen: „Was willst denn du, Alter? I verdien' so viel, dass i di kaufen kann, du Wappler! Halt doch die Goschen und schmeiß dei Pfeiferl weg!“ Und einen Schwarzen gab es ebenfalls in seiner Sammlung: David Alaba, der mit Bayern München bereits die Champions League gewonnen hatte und den DFL-Supercup ebenso! Dieser sympathische Zwanzigjährige, der in Wien geborene Sohn eines Nigerianers und einer Philippinin und einziger farbiger Spieler im Nationalteam, war der besondere Liebling des Charly Happel.

Trotz seines Enthusiasmus für die Nationalmannschaft hatte Charly natürlich noch einen zweiten Verein, für den er die Daumen hielt: Der SKERK, der Sport Klub Erdberger Ratten Kicker spielte in der untersten Wiener Liga und verfügte nicht einmal über einen eigenen Fußballplatz. Die Heimspiele der Meisterschaft bestritt er im zweiten Bezirk auf einem Feld, das zu einem Kleingartenverein gehörte. Der Star des SKERK war der Toni Pfeifinger. Fußballspielen konnte er zwar nicht besonders, aber dafür soff er auf einen Zug ein Literglas Rotwein aus. Und ein zweites obendrein. Dann sah er sich gezwungen, eine Minute Pause zu machen, ehe er den dritten Liter in Angriff nahm, der ebenfalls auf einen Zug eliminiert wurde. Diese Leistung brachte ihm den Ehrentitel „Drei Liter Mann“ ein. Allerdings war Toni Pfeifinger nach einer solchen Leistung normalerweise „etwas gezeichnet“, was nichts anderes als eine höfliche Umschreibung seines alkoholisierten Zustandes darstellt.

Auch die Ratten hatten einen realen Bezug zum Fußballverein: Die Grünflächen an der Stadionbrücke, wo diese die Erdberger Lände überquert, waren immer belebt von einer Vielzahl dieser Tiere, die dort meist nach Einbruch der Dunkelheit ihr Unwesen trieben.

Die Erdberger Rattenfußballer hatten natürlich auch einen Rivalen: Die Asperner Eichkatzeln. Einen Fußballclub nach Eichhörnchen zu benennen, ist eigentlich absurd. Wenn man aber weiß, dass dieser aus einem Sparverein entstanden war, macht die Sache schon eher Sinn, gelten doch Eichhörnchen als Viecher, die im Sommer für den Winter Vorräte anlegen. Der Platz der Asperner Eichkatzeln lag neben dem Gelände des Donauspitals, des so genannten SMZ (Sozialmedizinisches Zentrum) Ost. Außer ein paar Stehplätzen gab es allerdings keinerlei Einrichtungen für die Zuschauer. Die Spiele der Eichkatzeln zogen allerdings auch fast keine Zuschauer an, also machte dieses Manko nicht viel aus.

Und dann war es wieder einmal so weit: Die Ratzen und die Eichkatzeln nämlich waren verstrickt in eine Art „Abstiegskampf“. Dabei ging es aber gar nicht um den Abstieg, denn die beiden Mannschaften waren schon in der untersten Klasse der Meisterschaft. Noch weiter hinunter ging es gar nicht mehr! Also legten beide Teams es darauf an, auf jeden Fall in der Meisterschaft zu bleiben. Der Präsident der Ratzen, Toni Pfeifinger, gab das Kampftrinken vorläufig auf und absolvierte sogar ein paar ernst gemeinte Trainingseinheiten. Und die Abwehrkanone der Eichkatzeln, Herr Wolfi Habernsack, nahm sich vor, beim nächsten Match mit den Ratzen „Schlitten zu fahren“.

Charly Happel wusste selbstverständlich von der prekären Lage der Ratzen und wollte seine Mannschaft unterstützen. Und da er von einem überwältigenden Selbstwertgefühl erfüllt war, beschloss er deshalb, ein Gemälde vom Toni Pfeifinger anzufertigen. Davon versprach er sich eine Leistungssteigerung „einer Mannschaft. Und dass er das Gemälde malen konnte, das war ja von vornherein ganz logisch! Charly Happel konnte alles!

Nun war er aber kein Maler in dem Sinne, dass er eine menschliche Gestalt so ohne weitere Hilfsmittel auf ein Blatt malen konnte. Für den David Alaba hatte er damals einen Storchschnabel benutzt und damit ein Farbfoto aus der Kronenzeitung in vergrößertem Maßstab auf eine Leinwand gezeichnet. Diese Umrisse hatte er dann „mit Essig und Öl“ ausgemalt. Das Gesicht des Abwehrspielers war zwar nicht ganz korrekt, die Ähnlichkeit mochte aber hingehen.

Also benötigte er zunächst einmal ein Foto des Herrn Pfeifinger. Deshalb nahm er zum nächsten Spiel seiner Ratzen seine Digitalkamera mit. Es ging gegen einen Verein in Ottakring und die Ratzen waren bereits voll der Angst vor den unfairen Attacken der Gegner. Tatsächlich bekam der Sammy Pichler von einem der Ottakringer gleich in der Anfangsphase eine über die „Röhrln “, dass er alle Engel singen hörte. Das führte natürlich zu einem Revanchefoul, bei dem Sammy Pichler etwas die Nase verbogen wurde. Im weiteren Verlauf des Matches richtete sie sich aber wieder einigermaßen gerade aus und er erzielte gegen Ende der ersten Halbzeit sogar ein Tor, wobei er genau seiner Nase nach gezielt hatte und dem Torwart der Ratzen den Ball gegen die Stirn knallte, von wo der Ball beinahe senkrecht aufstieg und hinter der Torlatte im Netz landete.

In der Pause kam Charly in die Kabine seiner Mannschaft und hielt einen Vortrag, wie sie sich zu benehmen hätte. „Nehmts ka Rücksicht auf die bleden Ottakringer! Mitten durch, durch die Gfraster! Steigts eahna auf die Zechen und den Balln schieaßts ins Goi . Und fest treten! Erdberg muss siegen! War ja no schöner, wenn mir da an Schraufen kriegn!“ Nach dieser Ansprache machte er sich bereit, Toni Pfeifinger „in action“ zu fotografieren. Ihm schwebte ein Kopfball auf das Tor vor, der den gegnerischen Tormann glatt umgehen würde. Beim derzeitigen Spielstand von 1:1 musste ja so eine Aktion kommen, wenn man die Partie nicht verlieren wollte!

Also hüpfte Charly Happel am Spielfeldrand umher und schrie Anweisungen auf's Spielfeld, wie etwa: „Tritt eahm in' Oasch und beiß eahm s' Zumpferl oh!“, was schließlich den Unparteiischen dazu animierte, ihn zu ermahnen: „Hörst, Haberer, kane Fouls einfordern! Sonst schmeiß i di auße vom Platz!“
„Halt doch die Gosch’n, Schwarzer! Pfeif ' lieber anständig!“
Aber Charly hielt sich doch ein wenig zurück. Schließlich musste er ja noch ein Foto schießen. Zu diesem Zwecke postierte er sich hinter dem Tor der Ottakringer. Als tatsächlich ein Angriff der Erdberger bis zum Strafraum vorstieß, beschimpfte er den ottakringer Torwart: „Den kannst net halten, den Balln! Der Pfeifinger hat so an Hammer, dem kannst nur nachwinken, dem Balli, du Pfosten!“
Der Ottakringer knurrte noch was von „selber Pfosten“ und „der depperte Erdberger trifft ja net einmal des leere Tor“, da kam auch schon der scharfe Schuss des Pfeifinger.

Er war wirklich sehr scharf, dieser Schuss. Nur hatte der Pfeifinger zu zentral abgezogen. Der ottakringer Torwart konnte gar nicht so schnell zur Seite springen. Der Ball traf ihn an der Brust und sprang zurück zum Schützen. Der sah ihn auf sich zukommen und trat noch einmal mit aller Kraft. Aber diesmal ging der Ball neben das Tor und traf dort den Charly Happel. Also, eigentlich traf der Fußball die Kamera, die er vor dem Bauch auf Toni Pfeifinger gerichtet hatte. Charly konnte auch noch ganz kurz vor dem Treffer den Auslöser betätigen! Dann jedoch löste sich die Kamera in ihre Bestandteile auf, als der Ball sie mit voller Wucht traf.

Charly begann, etwas zu jodeln. Das Geschoß hatte ihm die Finger gehörig gequetscht. Außerdem hatte seine Magengrube einen gehörigen Rempler erhalten, als die Kamera seine Innereien etwas aus der Form brachte. Folgerichtig ging er zu Boden und begann liegend eine Hasspredigt auf den depperten Torhüter, der die Platzierung des Balles in seinem Gehäuse heimtückisch verhindert hatte. Der Referee ließ sich aber nicht dazu bewegen, den Erdbergern einen Elfer zuzusprechen, obwohl ihr Fan schwer verletzt zur Trainerbank der Erdberger Ratzen humpelte und dabei volltönend die sofortige Exekution des ottakringer Tormannes forderte.

Da der Schiedsrichter nicht die sofortige standrechtliche Erschießung des Tormannes verfügte, beruhigte er sich schließlich ein wenig und unterzog seiner Digitalkamera einer oberflächlichen Untersuchung. Das Ding konnte man eindeutig in die Kategorie „Totalschaden“ einordnen. Die Optik war komplett zum Teufel. Immerhin konnte man noch das letzte Foto auf der Speicherkarte aufrufen. Es zeigte, nur leicht unscharf, den Fußball, wie er – etwa einen Meter vor dem Einschlag in Charlys Gekröse – sich auf dem Weg zur Kamera befand. Es war ein eindrucksvoller Schnappschuss einer gewagten Stürmeraktion. Allerdings war vom Schützen nichts zu sehen. Die seltsame Perspektive mit dem unförmigen, riesigen und leicht unscharfen Fußball im Vordergrund verdeckte den Spieler vollständig!

„Kruziwuzidracula“, fluchte Charly. Jetzt machte ihm das Spiel keinen Spaß mehr! Mit verbissenem Gesicht winkte er den Funktionären seiner Mannschaft zu, steckte die Reste seiner Kamera in die Hosentasche und machte sich auf den Weg zum Autobus, der ihn zur U-Bahn nach Ottakring brachte. So saß er dann in einem Zug der U3, fuhr durch die Innenstadt und überlegte, wie er mit einem Trick doch noch sein Gemälde zustande bringen konnte. Als der Zug in Erdberg hielt, hatte Charly einen Plan. Er würde Toni Pfeifinger anrufen und ihn bitten, ein Passfoto per E-Mail an ihn zu schicken.

Dieser Anruf erschütterte ihn ungemein: Die Ratzen hatten zwei zu drei verloren! Noch dazu hatte der Pfeifinger den Ball an die Latte geknallt, dass das Tor beinahe umgefallen wäre! Das war doch höchst unfair von den Ottakringern! Die hatten doch sicher die Torlatte heimlich etwas tiefer gesetzt, sonst hätte er treffen müssen!
Charly beruhigte den Stürmer. Er werde sein Gemälde jetzt fertig stellen und es werde der Mannschaft Glück bringen! Ja, und ein bisserl trainieren könne ja auch nicht schaden!

Das Passfoto kam per E-Mail, war allerdings zu klein. Also versuchte der Künstler es entsprechend zu vergrößern, indem er ein ausgeborgtes Fotobearbeitungsprogramm benutzte. Das wiederum funktionierte nur stufenweise. Was auch immer Charly damit anstellte, das Foto war entweder zu groß oder zu klein für das Bild, das als jenes des Pfeifinger ausgegeben werden sollte. Die richtige Größe ließ sich nicht einstellen. Die Sache endete damit, dass Charly einen Fußballer darstellte, dessen Visage um einige Nummern zu klein war. Er sah ein wenig aus wie ein Amphicoelias fragilimus, einer jener gewaltigen, 60 Meter langen Dinosaurier mit einem massigen Leib und einem ganz kleinen Köpfchen, das keine großen Gehirnleistungen zuließ. Das so bearbeitete Foto sandte Charly dem Toni Pfeifinger per E-Mail zu, worauf folgende Antwort bei Charly eintraf:

„Wenn du sagen willst, i hab ka Hirn, du Pfosten, dann hau di in'n Rettich und lass abe! Das kannst nämlich der Wetti-Tant erzählen und die glaubt's dir aa net! Du hinicher Schmähtandler! Du Gurkenhobler ohne Hirn!“

„Na, jetzt is er bös!“, dachte Charly und verzichtete auf das Ausmalen seines Bildes.

Es half nichts: Er musste tatsächlich noch ein Foto vom Pfeifinger machen! Und entschuldigen musste er such auch. Das tat er, indem er die Schwierigkeiten schilderte, die ihm das Fotoprogramm bereitet hatte. Das blöde „tool“ verweigerte den Zugriff auf die Größe, da konnte doch er, Charly, nichts dafür! Immerhin war seine Entschuldigung erfolgreich, denn Tonis Antwort bestand nur aus dem kurzen Satz: „Du Wunderwuzzi mit'm winzigen Hirn!“

Daraufhin erklärte Charly ausführlich, dass es eines zusätzlichen Trainingsmatches bedurfte. Er benötigte noch ein paar Fotos vom Pfeifinger, bei denen dieser ein paar möglichst spektakuläre Schüsse loslassen solle. Nur entsprechende „Action“ würde die Mannschaft der Ratzen in die benötigte Stimmung bringen. Dabei sollten die Kicker natürlich ihr bestes geben und die Gegner völlig verunsichern! Er hatte auch schon einen Gegner: Es sollte gegen die Mannschaft von Siebenhirten gehen!

Die Siebenhirtner waren immerhin recht weit oben in der Liga und hatten noch dazu einen attraktiven Fußballplatz nahe der Triester Straße und sogar mit ein paar Tribünen! Da könne man doch ein ziemliches Spektakel veranstalten. Charly Happel fuhr also mit der Badner Bahn hinaus. In der Anton-Freunschlag-Gasse traf er dann auf Bogdanovic Dragan, den Trainer der Gegner in spe (Kroaten haben in Wien einen ganz guten Ruf als Fußballtrainer.)

Der aber machte ihn ziemlich runter. Der SKERK wäre doch eine äußerst miserable Truppe und habe vom Fußballspielen nicht die geringste Ahnung! Und da komme der Charly ganz einfach daher und wolle ein Trainingsmatch vereinbaren? Da würden die Siebenhirtner ja lieber ein Wuzzlerturnier veranstalten. Das wäre sinnvoller!

Ja! Wenn die Siebenhirtner solche faulen Säcke wären, dann sollten sie eben Mensch-ärgere-dich-nicht spielen, konterte der so Abgewiesene. Er brauche ein Trainingsspiel, weil er ein Foto von seinem Mittelstürmer anfertigen müsse! Dann sollten sich eben die Siebenhirtner halt nur hinstellen und blöd schauen mit der Zunge im Maul. Er werde das Foto schon passend hinkriegen!

Die Erdberger könnten doch genau so gut pfitschigogerln , schlug Dragan vor. Da wäre auch der Pfeifinger nicht so gefährdet, wo doch dieser miserable Möchtegern-Stürmer ohnehin eine über die Röhrln kriegen werde!

Das werde der SKERK zu verhindern wissen! Die Ratzen würden jedem Siebenhirtner, der ihnen blöd komme, einen in die fünf Buchstaben treten, dass der Getretene über die Triester Straße hinausfliegen und erst in Vösendorf aufschlagen würde!

Ein Wort ergab das andere. In wenigen Minuten waren Dragan und Charly beide derart „auf tausend“, dass die Watschen förmlich in der Luft lagen. Doch bevor es so weit kommen konnte, betrat eine Frau das kleine Büro im Bretterverschlag auf dem Fußballplatz. 'Meine Güte, ist das ein Hase!', dachte Charly. Die Frau hatte trotz des kühlen und bewölkten Wetters einen Hosenanzug mit knappen Shorts an und das Top war auch sehr offenherzig geschnitten. Da war ja einiges zu sehen an dieser Dame! Das war ja eigentlich gar keine normale Frau: Das war ein Welthase!

„Gerti, verzupf di', da flieg'n glei' die Fotzen!“, warnte Dragan.
Die Angesprochene schaute so groß wie ein Autobus und konnte die Ankündigung nicht so recht verstehen. Dabei fand Charly ihren Gesichtsausdruck richtig rührend. Sie brachte offenbar keinerlei Verständnis dafür auf, dass sich zwei erwachsene Männer mit ständig zunehmender Begeisterung gegenseitig in die Goschen schlugen. Trotzdem erkundigte sich die Dame unsicher: „Soll i ringrichtern?“

„Soll die Gerti?“, fragte der Trainer. Charly schüttelte den Kopf. „I vertrau zwar der Dame“, sagte er, „aber das wär' etwas viel verlangt! Wir sollten uns friedlich einigen! I will ja nur a Freundschaftsmatch gegen euch! Zum Training! Und zum Fotografieren!“

„Von wo is denn der Herr?“, fragte Gerti.

„SKERK“, sagte Dragan. „Die Erdberger. Unterste Klasse!“

„Na, dann g'winn ma zwölf zu null und i kann mei Tiramisu verkaufen! Das wollt' i di nämlich fragen!“

„Das is übrigens die Gerti Netbal, die Schwester von unserm Libero und sozusagen unsre Marketenderin. Die Gerti versorgt unseren ganzen Platz! Und die hat die besten Debreciner von ganz Wien!“

„Und jetzt auch a Tiramisu mit ein 60% Rum! Des macht a Stimmung!“

„Na, großartig!“, sagte Charly. „Nur den Schraufen kriegen die Siebenhirtner!“

„Mach di net lächerlich, du Halbdebiler!“, warf Dragan ein.

„So, jetzt müsst's des Tiramisu kosten! Da werd'ts gleich lustig wie a Komiker!“

Gerti zog aus ihrer Einkaufstasche zwei Plastikverpackungen hervor, wie sie von Supermärkten zur Verpackung von Süßspeisen verwendet werden und stellte sie vor den beiden Streithälsen auf den Tisch. Dazu legte sie zwei kleine Löffel. Charly griff brav nach dem seinen, murmelte ein „Na, bin ich halt so frei“ und schob eine Ladung von der braunen Paste in den Mund.

„Na, wie schmeckt des?“, fragte Gerti.

„Sehr alkoholisch“, antwortete er „aber nicht uninteressant!“

„Ihr seid's halt alle Schnapsdrosseln“, lächelte sie.

„Na, es kommt auch auf die Wirkung an!“, meinte Charly. „I muss fotografieren. I brauch a Foto von unserem Pfeifinger. Damit i a schönes Bild malen kann von dem! Da könnt mir der Gatsch mit Rum dabei helfen!“

„Warum denn erst fotografieren?“, fragte Gerti und wirkte dabei völlig desorientiert. „Das malt man doch gleich!“

Charly sie ganz erstaunt an: „Das können Sie?“

„Ich kann viel!“, sagte das Mädel. „Mehr als nur Tiramisu machen!“

„Na, dann machen Sie einmal eine Zeichnung vom Pfeifinger“, schlug Charly vor.

„Beim Trainingsspiel! Was is, Dragan, am nächsten Samstag?“

„Da spiel'n ma gegen Wienerberg! Frühestens am 29. Wenn unsere Burschen da überhaupt mitmachen gegen euch Wahnsinnige!“

„Na geh! Es gibt ja a Tiramisu! Mit'n 60-prozentigem!“, wandte Gerti ein.

„Ohne den wär' eh gar nix!“, konstatierte Dragan überzeugt.

„Also, am 29. Um 15 Uhr. Ja?“, hakte Charly noch einmal nach.

„Ja. Zwölf zu null für Siebenhirten“, sagte Dragan feierlich.

Mit dieser Zusage begab sich Charly in bester Laune hinüber zur Triester Straße und nahm die Badner Bahn zur Oper. Daheim erfolgte dann eine längere Telefonkonferenz zur Einberufung des Freundschaftsspiels. Die Mannschaft war geteilter Ansicht: Toni Pfeifinger vermutete, die Siebenhirtner wären zu stark für die Erdberger, aber Charly gelang es, die Moral so weit zu heben, dass zumindest der am Ende ganz zuversichtlich war. Die Hauptargumente waren dabei das Tiramisu der Gerti Nedbal – und eine genaue Beschreibung der Dame. Am darauf folgenden Samstag fand eine Trainingseinheit auf dem Platz des Kleingartenvereins im zweiten Bezirk statt und Charly „trat“ seine Mannen gehörig. Besonders kurze Sprints wurden trainiert, denn er bestand auf einer Verbesserung der Fähigkeiten, möglichst rasch zum gegnerischen Strafraum zu gelangen.

Immerhin schaffte es Vaupodic Markus, die hundert Meter in zwölf komma acht Sekunden zu laufen. Das war schon ganz anständig! Charly ließ ihn, nachdem er etwas verschnauft hatte, die gleiche Strecke mit dem Fußball zurücklegen. Aber Markus stieg auf den Ball, rutschte aus und produzierte einen gewaltigen Crash. Als man ihn aus dem Bombentrichter, den er dabei in den Untergrund geschlagen hatte, herausgeschält hatte, verpasste ihm seit Möchtegern-Trainer eine Massage, die ihn beinahe vollends zerstörte. Er stieß so schreckliche, jodelnde Laute aus, dass die anderen Mannen glaubten, ihr Kollege würde hingerichtet werden.

Als dann der 29. herankam, war der Vaupodic Markus zwar noch immer etwas „fußmarod“, aber nichtsdestoweniger voll Enthusiasmus. Mit vier PKW fuhr die Mannschaft nach Siebenhirten und zog sich in der Kabine auf dem Platz um.
Und dann tauchte die schöne Gerti auf. Aufgrund des bewölkten Wetters trug sie heute einen hellblauen Trainingsanzug und Charly fluchte ein bisschen wegen der nicht vorhandenen Aussicht auf ihre Rundungen. Dann aber baute sie den Verkaufsstand für ihr Tiramisu auf – und sofort setzte ein wahrer Run auf die süße Stärkung ein. Obendrein hatte Gerti auch noch eine volle Flasche mit „Inländerrum 60%“ dabei und träufelte auf jede Portion zusätzlich eine Extraration der Flüssigkeit. Das Publikum war hingerissen und das Tiramisu wurde der ganz große Verkaufsschlager. Und zwar schon bevor das Spiel angepfiffen wurde!

Aber dann ging es los. Siebenhirten hatte Anspiel. Sofort war die Gerti am Spielfeldrand und hatte einen großen Zeichenkarton bei sich. Charly sah bewundernd, dass sie mit ein paar ganz wenigen Strichen ihres Kohlestiftes seinen Pfeifinger äußerst treffend auf den Karton zeichnete und konnte sich nicht erklären, wie sie das zustande brachte. Jedenfalls war da der Toni auf dem Karton, wie er den Ball mit einem echten „Hammer“ in den gegnerischen Strafraum beförderte!

Der Tormann hatte zwar aufgepasst und eine Sturmspitze war auch nicht vorhanden, es war also gar kein ernst zu nehmender Angriff, aber der Stürmer sah recht gut dabei aus. Charly ging nach vorn und klopfte ihr anerkennend auf die Schulter. Gerti drehte sich um und sagte: „Da wird’s jetzt ganz schön warm!“ Tatsächlich war die Sonne hervor gekommen und die Künstlerin stand nun im prallen Sonnenschein. Also zog sie ganz einfach den blauen Trainingsanzug aus. Darunter kam ein knallbunter Bikini zum Vorschein. Charly begann, heftig zu applaudieren. Jetzt kamen auch die restlichen Zuschauer, die weiter entfernt vom Spielfeld auf einfachen Sesseln gehockt hatten, heran, um diese Show nicht zu verpassen. Gerti ließ sich dadurch aber nicht beirren und zeichnete weiterhin den Stürmer der Erdberger in voller Aktion: Pfeifinger beim Kopfball, Pfeifinger wie er in einen Siebenhirtner „hineinrutschte“, Pfeifinger in vollem Lauf, Pfeifinger wie er auf die Schnauze flog – und zum Schluss auch noch Pfeifinger, der von einem Siebenhirtner „in die Goschen getreten wurde“.

Alles in allem hatte der Charly Happel am Ende sage und schreibe siebzehn Kohlezeichnungen zur Verfügung, die er nur mehr mit Farbe zu versehen hatte. Die Kamera hatte er gar nicht erst angetastet. Die Zeichnungen waren großartig!
Schweren Herzens musste er einsehen, dass nicht er selber der große Künstler des Fußballvereins SKERK war, sondern diese sexy Katz. Da täte er wohl gut daran, sich diese Bildreporterin für die Zukunft zu sichern. Sofort unternahm er einen diesbezüglichen Versuch:

„Frau Nedbal, Ihre Zeichnungen sind ja ganz großartig! Könnte man auch in Zukunft von Ihnen solche Bilder bekommen? Von den wichtigen Meisterschaftsspielen! Ich würde Sie anstellen, als Bildreporterin! Keine Fotos, sondern solche gezeichnete Skizzen! Das wäre einmal ganz was Neues! Da könnten Sie's noch zu großer Berühmtheit bringen!“

„Na, für den FC Siebenhirten mach ich das ja manchmal“, gestand Gerti. „Aber gebracht hat's bisher noch nix!“

„Das muss man ja auch in einer Zeitung rausbringen! Na, ich werd' das schon machen!“

Und er fotografierte Gerti wie sie im Bikini am Spielfeldrand stand und die Zeichnung vom Pfeifinger anfertigte, der gerade vom Hebenstreit Walter eine in die Fiesanamie getreten kriegte. Abgesehen vom heftigen Nasenbluten des Pfeifinger Toni brachte der Tritt einen Freistoß für den SKERK ein – und dieser landete doch tatsächlich im Tor. Der Getretene schied mit blutender Nase aus, aber die Erdberger erreichten auf dem Platz der Siebenhirtner ein überaus ehrenvolles Unentschieden mit dem Stand von zwei zu zwei.

So endete die grausame Schlacht in Siebenhirten mit folgenden Ergebnissen: Erstens ein sensationelles Ergebnis von 2:2. Zweitens vier mal ca. 15 zahlende Zuschauer bei Spielen des Sport Klub Erdberger Ratten Kicker, die sich natürlich nur über die Vorzüge der Gerti Netbal delektieren wollten. Und drittens eine Bildbeilage in der Sonntagsausgabe der Kronen Zeitung, die Gerti Netbal im Bikini zeigte, gemeinsam mit einigen ihrer Zeichnungen.

Die Gemälde vom Pfeifinger bewahrten die Erdberger tatsächlich vor dem Abstieg, der eigentlich gar keiner war. Der SKERK ist immer noch in der untersten Klasse der Wiener Fußballliga – und Frau Gerti Netbal kommt noch immer des Öfteren zu den Matches um ihre unvergleichlichen Zeichnungen der Zweikämpfe zwischen den Ratzen und ihren Gegnern auf Karton zu bannen.

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