Buchrezensionen

Landesstelle für die nichtstaatlichen Museen in Bayern (Hrsg.): Kulturgutverluste, Provenienzforschung, Restitution, Deutscher Kunstverlag, München/Berlin 2007.

Mit der Problematik um die »Beutekunst«, die von deutschen Truppen ins Deutsche Reich gebracht wurde, widmet sich die vorliegende Publikation einem äußerst aktuellen Thema – es sei nur an die Diskussion der letzten Wochen um deutsche Kulturgüter in polnischem Besitz und entsprechende Restitutionsforderungen von deutscher Seite erinnert.

Die Beiträge geben die Inhalte einer Tagung wieder, die von der Landesstelle für die nichtstaatlichen Museen in Bayern und der Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste in Magdeburg in Zusammenarbeit mit den Museen der Stadt Nürnberg im Frühjahr 2005 in Nürnberg durchführt wurde.

Gegliedert sind die Aufsätze in drei Teile: »Grundlagen«, »Wege und Hilfen zur Provenienzforschung« und »Beispiele aus Museen und Bibliotheken«.

Der erste Teil gibt einen Überblick zur Tagung und beschreibt zentrale Begriffe wie »Arisierung« und die Geschichte des »Central Art Collecting Point« in München, der 1945 gegründet wurde und den Restitutionsprozess in Gang brachte. Den aktuellen Ermittlungen liegt – basierend auf den Grundsätzen der Washingtoner Konferenz von 1998 – die »Erklärung der Bundesregierung, der Länder und der kommunalen Spitzenverbände zur Auffindung und Rückgabe NS-verfolgungsbedingt entzogenen Kulturgutes, insbesondere aus jüdischem Besitz« im Dezember 1999 zugrunde.

Museen, Bibliotheken und Archive sind darin aufgefordert, neben der Erfassung von Bestandsverlusten auch ihre Sammlungen auf Bestände von unrechtmäßig entzogenem Kulturgut zu überprüfen. Diese appellative Erklärung ist rechtlich unverbindlich, hat aber starkes politisches Gewicht. Michael Franz – seit 1999 Leiter der Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste Magdeburg – widmet sich der Umsetzung der »Gemeinsamen Erklärung«: Bis zum 30.1.2006 meldeten demnach 59 Einrichtungen insgesamt 4497 Objekte mit Provenienzlücken, dazu kommt der Restbestand des Central Art Collecting Point mit 2467 Objekten. Vor dem Hintergrund, dass etwa 3000 deutsche Einrichtungen in Frage kommen, hat sich damit bisher nur ein kleiner Teil der Adressaten der Erklärung gemeldet. Der in einigen Medien formulierte Generalverdacht, NS-Raubkunst sei in erheblicher Anzahl in deutschen Einrichtungen vorhanden und die Recherchen würden nicht durchgeführt, könne erst nach einem Überblick der Institutionen über den aktuellen Stand der Arbeiten entkräftet werden.

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Der Aufsatz von Wolfgang Maurus – er leitet seit 2001 die Arbeitsgruppe für den Bereich Rückführung von Beutekunst, Rückgabe von NS-Raubkunst und Deutsch-Russische Kulturbeziehungen bei dem Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien – widmet sich den Rückführungsverhandlungen von kriegsbedingt verlagerten Kulturgütern zwischen Deutschland und Russland. Im Bewusstsein der deutschen Verantwortung für die Folgen des Zweiten Weltkriegs gelte es, bei gleichzeitiger Verpflichtung zur Wahrung deutschen Kulturerbes, beim Bemühen um eine Wiedererlangung vermisster Kulturgüter geduldig zu sein. Auch bei wiederholten Rückschlägen, wie etwa bei den Rückgabeverhandlungen um die Baldin-Sammlung der Kunsthalle Bremen, bedürfe es der Ausdauer.

Institutionen wie die Koordinierungsstelle für Kulturgutverluste und das Internetportal Lost Art Internet Database (www.lostart.de) werden im zweiten Teil des Bandes vorgestellt. Die beiden genannten Einrichtungen bieten Hilfestellungen, um die Bestände der Museen, Archive und Bibliotheken hinsichtlich ihrer Herkunft zu erforschen und als »arisiert« identifizierte Stücke zu restituieren. Dabei spielt vor allem das Internetportal eine wesentliche Rolle, da dort Museen, Archive und Privatpersonen Such- und Fundmeldungen von unrechtmäßig erworbenem Kunst- und Kulturgut aufgeben können.

Im letzten Teil berichten Fachleute aus Archiv-, Bibliotheks- und Museumswesen von ihren Erfahrungen bei der Aufarbeitung der Bestände. Hier werden Fragen nach Möglichkeiten und Wegen der Provenienzforschung gestellt und jeweils individuell beantwortet. Dabei wird die teilweise sehr mühsame Arbeit gut veranschaulicht. Schwierigkeiten ergeben sich mithin vor allem durch Unsicherheiten bezüglich der genauen Verfahren, wenn belastetes Kulturgut als solches identifiziert wird, durch wenig Personal und niedrige Budgets, sodass auch über 60 Jahre nach Kriegsende die Provenienz unzähliger Kunstwerke ungeklärt ist.

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Den Unterschied zwischen Provenienzforschung und Forschung nach so genanntem »Arisierungsgut« hebt der Aufsatz von Thomas Jahn hervor. Er zeigt, welche methodischen Probleme bei der Identifizierung und Katalogisierung »arisierten« Kulturgutes auftreten können und wie die Bayerische Staatsbibliothek dem begegnet. Welch Detektivarbeit die Aufarbeitung der Bestände häufig erfordert, zeigt ebenfalls der Beitrag von Ilse von zur Mühlen, die von 1999 bis 2002 in den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen Provenienzrecherche betrieb.

Auch wenn sich die Beiträge ausschließlich auf Bayern und die dortigen entsprechenden Institutionen beziehen, geben sie einen Ein- und Überblick der in der Folge der Vereinbarung von 1999 begonnenen Aktivitäten, spiegeln deren aktuellen Stand wider und zeigen Zukunftsperspektiven sowie Probleme bei der Provenienzforschung und Restitutionsansprüchen auf. Dennoch können viele der konstatierten Probleme und Perspektiven für die gesamtdeutsche Entwicklung gelten.

Aktuelle Debatten wie die mit Polen, aber auch das Auf und Ab etwa um die Baldin-Sammlung machen deutlich, dass in diesem Bereich der »Wiedergutmachung« noch viel zu tun ist. Die Provenienzrecherche und der Restitutionsprozess in Bezug auf NS-Raubkunst sind noch lange nicht abgeschlossen. Dieser Band legt davon beredtes Zeugnis ab.

 

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