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Manfred Faßler: Bildlichkeit. Navigationen durch das Repertoire des Sichtbaren, Böhlau Verlag, Wien/Köln/Weimar 2002

In „Bildlichkeit. Navigationen durch das Repertoire des Sichtbaren“ berichtet Manfred Faßler über neue Instrumente und Strategien des Sichtbarmachens. Davon ausgehend, dass nie zuvor das Visuelle den Menschen so allgegenwärtig tangiert habe, untersucht Faßler die verschiedenen Formen sichtbarer Medien und ihren Einfluss auf die Lebenswelt.

Faßler sieht den Menschen der Moderne in tief greifend veränderte visuelle Räume eintreten. Anders als der Renaissancemensch, der mit der Erfindung der Zentralperspektive sich ein Instrument geschaffen habe, sich als Subjekt zu begreifen, das einer objektiv wahrnehmbaren Welt gegenübersteht, „entwirft und formt sich der Mensch derzeit medientechnologisch und medienkulturell neu“ (S. 10). Damit hat der Mensch, so Faßler, die Suche gestartet, „die Unbeobachtbarkeit der Welt einzufangen.“ (ebd.) Der Mensch ist mit Hilfe der „neuen“ medientechnologischen Möglichkeiten nicht mehr allein auf die Wahrnehmung seiner selbst gegenüber einer auf natürliche Weise visuell erfahrbaren Welt „beschränkt“, sondern ist auch von einer Bilderflut umgeben, die als vorzeigbare Oberfläche aus diversen Bildbearbeitungsprogrammen entsprungen ist. Faßler hält dazu fest, dass diese computergenerierte Visualität und das Wissen um ihre Manipulierbarkeit sich zu einem „transmedialen Sourcecode“ erweitert habe. Das Bild sei damit längst kein Abbild von etwas physisch und zeitlich Abwesenden mehr, sondern zeige auch Dinge, die, ohne auf ein Objekt zu verweisen, rein der Phantasie entsprungen sind, oder gar aus dem binären Rechenvorgang einer sich zunehmend verselbstständigenden Computerapparatur.

Faßler stellt einleitend seinem Text voran, dass das Bild – als visuelle Syntax begriffen – , der Realität im gleichen Maße fern oder nah steht wie die textuelle Syntax oder Semantik. Der Autor versteht damit das Bild gleich dem Text als eine artifizielle und intelligente Matrix mit einer mehr oder weniger gleichwertigen, unabhängig bestehenden Existenz, die von der wahrnehmbaren Wirklichkeit abgekoppelt ist. Diese Kriterien auf das Medium Bild anzuwenden, das kann erst aufgrund der Existenz computerveränderter und -veränderbarer Bilder geschehen. Daraus zieht Faßler „lächelnd“ den Schluss: „Computermedialität zeigt in all ihren Facetten, dass es an der Zeit ist, [das] Bild aus den Kriterienwelten der Kunstwissenschaften zurückzufordern oder: Sichtbarmachen und Bildmachen neu zu bewerten.“ (S.13) Und dieses Neubewerten versucht Faßler, indem er Sichtbarkeit und Bildlichkeit in dynamischer Wechselwirkung mit anderen sensorisch-selektiven und sensorisch-reflexiven Wahrnehmungen sieht – und nicht, wie es im herkömmlichen Kunst- und Kulturdiskurs häufig geschieht, das (Kunst-)Bild ohne Außenwelt betrachtet.

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Faßlers Aussage, dass die Methoden der Kunstwissenschaft das Phänomen Bild als bloßes Wahrnehmungsobjekt nur ungenügend kategorisieren und bewerten könnten, da sie im weitesten Sinne auf das Bild als Kunstwerk gerichtet seien, beruht auf einem typischen Vorurteil der Bildwissenschaft. Faßler versucht hier das Bild aus semiotischer Perspektive zu betrachten und zeigt sein spezifisch medientheoretisches Interesse daran, das Bild als visuell erweiterten Text zu verstehen. Die von Marshall McLuhan formulierte Kritik an Descartes’ und Isaac Newtons Trennung und Hierarchisierung des Gesichtssinns in Sichtbarkeit und Lesbarkeit, durch die sie „den Gesichtssinn ganz aus dem Wechselspiel der anderen Sinne herausgelöst“ hätten (McLuhan: Die Gutenberg-Galaxis 1968), übernimmt Faßler als eine seiner zentralen Thesen (vgl. S. 43). So übt er daran anschließend Kritik an einer Textkultur, die „das Denken sprachabhängig gemacht“ habe. „Völlig geschieden davon“, so Faßler, „fristete das visuell gebundene Sehen eine mickrige Assistentenrolle, wenn überhaupt.“ (S.44) Diese Trennung sei allerdings gegenwärtig geschwächt oder gar im Bereich der visualitätsbezogenen Programmiersprachen überwunden, da hier das Sehen mit den alphabetischen und mathematischen Abstraktionen in Kontakt komme. Das Bild sei ein Gemachtes, das nicht Auskunft über ein abgebildetes Ding gebe, vielmehr gelte: „Das Bild ist eine Zuordnung, ein visueller Entwurf der Erkennbarkeit.“ (S. 50)

Die Fotografie ist die entscheidende Wendung: Mit dieser Technik wurde dem Bild vom subjektiv geprägten Kunstbild zu einer wenigstens nahezu als objektiv zu bezeichnenden Repräsentanz von Wahrnehmungsphänomenen verholfen. Die allgemeine Skepsis, ob Bilder objektiv widerspiegelten, was ihr Erzeuger gesehen haben könnte, leitet der Autor über zur These, dass unser Wissen um die Möglichkeit der Bildmanipulation zu einer neuen Art von Bildern führe, die auch neue Kriterien erfüllten. Über diesen Zusammenhang von Sinnlichkeit und Kognition werde mit dem Bild eine „Matrix-Realität“ dargestellt, in der keine reine Deutungs- oder Bedeutungskultur möglich sei und die daher im kulturwissenschaftlichen Sinne kein „reines Sehen“ erlaube (vgl. S. 234). Faßler sieht darin ein neues Verschränken der Sinne und damit ein reicheres „mediales Vermögen“, das Gedanken, die über die Jahrhunderte der Geistesgeschichte hinweg an Text und Sprache gebunden waren, nun durch die visuelle Syntax erweitert, zu neuen Ansätzen oder möglicherweise neuen Gedanken führe.

Mit der emphatischen Bejahung der so genannten neuen Medien, die Faßler als die Hauptfaktoren der gegenwärtigen visuellen Wirklichkeitskonstruktion wertet, und der Skepsis gegenüber den sprachlich und textuell gebundenen Medien führt die hier versuchte Gradwanderung einer sprachlichen Beschreibung bildlicher Darstellungsformen zu einer gewissen Verwirrung. Zudem lässt Faßler in seinem Text die frühromantische Idee einer Verquickung sinnlich wahrnehmbarer und logisch denkbarer Fakten vermissen. Die Darstellung führt auch nicht, wie eingangs angekündigt, zu einer Nennung neuer bildlicher Charakteristika. Statt dessen zeigt der Autor eine Vielzahl möglicher Zusammenhänge auf und versteht es damit, eine Art „Bild“ des Problembereichs Bildlichkeit zu projizieren.

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