Die Antike war immer wieder Bezugspunkt für Künstler, aber auch für die Gestaltung von Bauwerken und Gärten. Das Interesse an Antikenkopien Ende des 18. Jahrhunderts machte neue und zum Teil auch günstigere Produktionsmethoden notwendig. Markus Becker hat diese Innovationen, aber auch ihre Rezeption und den Diskurs um Antikenkopien untersucht. Anna Lisa Schwartz hat seine Studie gelesen.
Das Phänomen der Antikenkopie zieht sich wie ein roter Faden durch die Geschichte der Skulptur, Gartenkunst und Innenausstattung herrschaftlicher Wohnräume. Ohne die zahlreichen römischen Marmorkopien griechischer Statuen wären diese heute sogar verloren. Die vor allem während der Renaissance entdeckten Antiken lösten eine Rezeptionswelle aus: Sie schmückten die Gartenanlagen des römischen Adels, wie sie in nachrepublikanischer Zeit die antiken horti schmückten. Statuen wie der Apoll von Belvedere wurden über die Entdeckungszeit hinaus bewundert und von Johann Joachim Winckelmann als »das höchste Ideal der Kunst unter allen Werken des Altertums« gepriesen. Die skizzierte Rezeptionsgeschichte wurde erstmals von Heinz Ladendorf in »Antikenstudium und Antikenkopie. Vorarbeiten zu einer Darstellung ihrer Bedeutung in der mittelalterlichen und neueren Zeit« (1958) und anschließend von Nicholas Pennys und Francis Haskells mit »Taste and the Antique« (1981) umfassend untersucht. Weniger untersucht wurden jedoch Antikenkopien des 18. Jahrhunderts, deren Transformationsprozessen Marcus Becker in seinem Buch auf die Spur geht.
Seine Untersuchung zu Antikenkopien und deren Transformationsprozessen um 1800 nimmt die Antikenkopien aus unedlen Werkstoffen im letzten Viertel des 18. Jahrhunderts in den Fokus. Auf Mitteldeutschland eingegrenzt, untersuchte er deren Verwendung in Schloss- und Gartenausstattungen. Die Dissertation entstand im Rahmen des Berliner SFB 644 »Transformationen der Antike«, dessen theoretisches Grundkonzept der Allelopoesie Modifikationen und Konstruktionen von Antike vom Mittelalter bis in die Moderne untersucht und über das traditionelle Rezeptionsmodell hinausgeht. [1]
Im Fokus der Untersuchung stehen Kunstmanufakturen wie Carl Christian Heinrich Rosts Kunstfabrick, das Eisenwerk in Lauchhammer des Grafen Einsiedel und die Toreutikawaaren- oder Kunstbacksteinfabrik Martin Gottlieb Klausers. Die mecklenburgische Carton-Fabrique, die Statuen aus Papiermaché herstellte, wurde im Zuge des Ausbaus der Residenzstadt Ludwigslust gegründet. Während die im gleichen Sonderforschungsbereich angesiedelte Arbeit von Charlotte Schreiter, »Antike um jeden Oreis. Gipsabgüsse und Kopien antiker Plastik am Ende des 18. Jahrhunderts«, sich auf die Produzenten- und Herstellerkreise der Kunstmanufakturen konzentriert, untersucht Becker neben Verwendungskontexten und technischen Innovationen vor allem die Käuferschicht. In Fallstudien zeigt er die zeittypischen Kontexte der Antikenkopien auf, die sie als Kunstwerke des 18. Jahrhunderts ausweisen. Entsprechend des von Aby Warburg geprägten Begriffs der »Bilderfahrzeuge« interpretiert Becker den Bedeutungswandel antiker Plastik und ihre Transferierung in eine nachantike Gesellschaft.
Die dreigeteilte Studie beginnt mit einer Untersuchung der Antikenkopien in Innenausstattungen von Schlössern und Herrscherhäusern kurz vor der Jahrhundertwende. Anhand der von 1784 bis 1808 lückenlos erhaltenen Rechnungsbücher der Ludwigsluster Carton-Fabrique, rekonstruiert Becker Käufer und die Verwendung der angekauften Büsten und Statuen in ihren Privathäusern. Das Phänomen der Figurenöfen, die um 1780 in klassizistische Wohnräume einzogen, erläutert er sodann anhand des Eisenwerks des Grafen von Einsiedel. Auf einem sockelartigen Feuerkasten wurden großformatige Plastiken präsentiert, die sich so von den rein architektonischen Kaminen des 18. Jahrhunderts abgrenzten. Im Rahmen der neuen Herstellungsprozesse wurde daraufhin die »Lauchhammer Bacchantin« im 19. Jahrhundert zum ersten Eisenvollguss stilisiert. Die Kopie nach einer Antike der Dresdener Sammlung und das Standmotiv ermöglichten sowohl die Verfügbarkeit der Vorlage als auch eine maximale Verbindung zwischen Plastik und Feuerkasten. Beckers Auswertung der Korrespondenz zwischen dem Käufer Friedrich Magnus I. von Solms-Wildenfels und dem Grafen von Einsiedel, beweist jedoch, dass lange Experimente vonnöten waren und auch bei der Auslieferung der Plastiken Probleme auftraten – die Praxistauglichkeit der neuen Herstellungstechnik musste erst erprobt werden.
Im zweiten Teil widmet sich Becker der nicht minder umfangreichen Produktpalette an Gartenplastik. Nach einer kurzen Einleitung zum theoretischen Diskurs des Landschaftsgartens im 18. Jahrhundert, folgen Betrachtungen zur Ausstattung verschiedener Gartenanlagen aus dem Angebot der Kunstmanufakturen.
Zu experimentellen Zwecken bot sich für den Besitzer der Lauchhammer Kunstmanufaktur sein Bruder Johann Georg Friedrich von Einsiedel an, der verschiedene großplastische Werke ankaufte und sich darüber mit dem Grafen austauschte. Auch die öffentliche Präsentation der Produktpalette wurde sorgfältig geplant. Während die Leipziger Kunsthandlung Rost ihre Statuen bereits in möglichen Verwendungskontexten präsentierte, setzte von Einsiedel auf die Präsentation im nahegelegenen Schloss und Garten Mückenberg. Selbst die Ludwigsluster Cartonfabrique stieg in den Sektor der Gartenplastik ein, und bewarb ihre »für die Luft bearbeiteten« Statuen aus Papiermaché. Da sich viele dieser Werke trotz der konservatorischen Vielfalt nicht erhalten haben, konzentriert sich Becker auf die zeitgenössischen Gartenbeschreibungen. Sie zeigen vor allem, dass die Qualität der Materialien und die Provenienz der Originale in der Gartenausstattung zugunsten der empfindsamen Beschreibung eines Spazierganges durch den Park zurücktreten.
Becker schließt sein Buch in einem dritten großen Kapitel über das Ende der Kunstmanufakturen. Geschickt führt er hier die Fäden der vorherigen Kapitel zusammen und untersucht das Ende der vorgestellten Kunstmanufakturen. Während die Firmen Rost und Klauer eng an ihre Gründer geknüpft waren und unmittelbar nach deren Tod untergingen, erreichten andere wie die Cartonfabrique nie wieder ihre Verkaufszahlen oder etablierten sich wie die Lauchhammer Fabrik als Eisenlieferant für Preußen. Im letzten Teil exemplifiziert Becker Weiterverwendung und Neuaufstellung ehemaliger Ausstattungsstücke aus dem 18. Jahrhundert, wie etwa den im Schlossgarten von Lützschena aufgestellten Tonfiguren aus der Toreutika-Fabrik Klausers. Becker verfolgt die Spuren der Kunstmanufakturen bis ins 20. Jahrhundert. So kann er zeigen, dass ein vor dem Schloss Freienwalde aufgestellter Eisenkunstguss mit hoher Wahrscheinlichkeit zuvor als Figurenofen in den petits appartements des Berliner Schlosses fungierte.
Beckers Ausführungen und Fallbeispiele belegen, dass die Verwendung der Antikenkopien in Schlossräumen und Gärten unterschiedlichste Diskurse von technischen Innovationen bis hin zu ikonologischen Ausstattungskonzepten berührten: »Die Provinz wurde zum konkreten Ort der Transformation von Antike, indem hier der immer gleichen Antikenkopien als Compromissproduct(e) […] in jeweils spezifischer Ausprägung ihre Aufgaben übernahmen«. (S.281)
Das ausgewählte Quellenmaterial und Fallstudien ermöglichen dem Leser eine breite Betrachtung der Transformationsprozesse antiker Kopien. Die ausgewerteten Korrespondenzen, merkantilen Verzeichnisse und zeitgenössischen Zeitschriftenartikel zeigen die Vielfalt und Beziehungen zwischen Käufern und den Produzenten der Kunstmanufaktur. Lediglich die Wiedergabe der teilweise ausufernden mehrsprachigen Quellenzitate im Text, führt zu einer Störung von Lesefluss und Nachvollzug der Argumentation. Eine entsprechende Übersetzung und Verlagerung in den Anmerkungsapparat hätte dieses Problem behoben.
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[1] Zu den Transformationsprozessen von Antikenkopien siehe den einleitenden Aufsatz im Tagungsband Tatjana Bartsch, Marcus Becker, Horst Bredekamp, Charlotte Schreiter (Hg.): Das Originale der Kopie. Kopien als Produkte und Medien der Transformation von Antike, Berlin; New York 2010.