Ein prächtiger Band mit zahllosen Illustrationen und anregenden Aufsätzen beschäftigt sich mit künstlichen Landschaften, also mit aufgeschütteten Bergen, spektakulären Brücken oder kunstvollen Grotten in Parks und fürstlichen Gärten. Wortwörtlich gehen hier Kunst und Natur eine Verbindung ein. Stefan Diebitz hat das Buch gelesen.
Der Band ist in vier große Kapitel mit je fünf oder sechs Beiträgen aufgeteilt, in denen sehr häufig geistesgeschichtliche und kunsthistorische Fragen ineinander übergehen. Das gilt auch für das erste Kapitel, »Gebaute Berge«. In diesem Teil werden künstliche Landschaften behandelt, besonders solche, welche die teils spektakuläre, teils idyllische Schweizer Natur nachahmen. Die Schweizlastigkeit der meisten Beiträge mag dem Leser anfangs etwas lästig sein, aber es ist ja tatsächlich so, dass im 19. Jahrhundert die Schweiz als das Nonplusultra einer schönen Landschaft galt und sich auch in Deutschland verschiedene Gegenden als »Schweiz« bezeichneten, in Holstein zum Beispiel oder in Sachsen.
Die Entdeckung der Schönheit der Berge im 18. Jahrhundert durch große Geister mündete in eine Fremdbestimmung der Schweizer Alpen von außen, und in ihrem Aufsatz geht Annemarie Bucher sogar so weit, dass sie den Blick auf die ideale Natur der Schweiz in Parallele setzt zur »kolonialen Aneignung und Vermittlung fremder Kulturen in Völkerschauen und Weltausstellungen.«
Vielleicht sollte man deshalb, wenn man an die künstlichen Berge, Gärten und artifiziellen Landschaften des 19. Jahrhunderts denkt, auch die populären Panoramen als Vorwegnahme unserer Natur- und Geschichtsdokumentationen im Auge behalten. Als eine andere Parallele können Tierparks wie der Hamburger Zoo Hagenbeck mit spektakulären Landschaften gelten, die von Eric Baratay in einem eigenen Beitrag (in französischer Sprache) behandelt werden. Oder man schaut sich an, worauf die Entwicklung letztlich abzielte – nämlich auf die teils überdachten und abgeschlossenen und auf jeden Fall ganz und gar synthetischen Vergnügungsparks unserer Zeit. Beiläufig kann man dabei lernen, welche Rolle von Anfang an die Ausbeutung der Natur spielte. Eine Reihe seltener Pflanzen musste bereits um 1900 geschützt werden!
Kilian Jost schildert unter dem Titel »Welche Landschaft sollen wir bauen?« besonders pittoreske Motive einer künstlichen Landschaft; wer will, kann diesen Beitrag als Cicerone benutzen, als Wegweiser zu spektakulären Wasserfällen und »Teufelsbrücken« in den verschiedenen Parks. Die ursprüngliche Teufelsbrücke war ein Bauwerk im Schweizer Kanton Uri über eine tief eingeschnittene, von einem Fluss durchschäumte Schlucht, das nicht allein oft gemalt wurde (unter anderem von Carl Blechen), sondern auch als Vorbild für ungezählte Brücken in Parks und Gärten diente, oft über künstlichen Wasserfällen. Natürlich spielt hier auch ein Motiv eine Rolle, das von Anfang an die Rezeption der Schweizer Hochgebirgslandschaft bestimmte, der Kitzel der Angst, der besonders von schwankenden Kettenbrücken hervorgerufen wurde.
Gibt es etwas, das der heutigen Architektur mit ihren klaren Linien und den offen zu Tage liegenden Konstruktionen ferner liegt als die Grotte? Die Grotte ist das Thema des zweiten großen Kapitels. Eine natürliche oder künstliche Höhle ist die bestmögliche Veranschaulichung des Versteckten und oft genug auch gewollt Mystischen und nicht selten der Versammlungsraum einer Geheimgesellschaft. Aber heute kann ein solcher Raum meist nicht einmal die versponnenen Privatideologien von Esoterikern ansprechen. Grotten gehören in das 18., oft auch in das 19. Jahrhundert, aber in unserer Zeit werden sie eigentlich nur noch als Kuriosa wahrgenommen, und ich weiß von mir selbst, dass sie mich kaum interessierten, wenn ich ihnen zufällig begegnete.
Jan Pieper behandelt »Fingals Höhle« auf Staffa, einer im 19. Jahrhundert dank ungezählter Abbildungen populären kleinen Insel der Inneren Hebriden. »Fingals Höhle« ist ein spektakulärer Ort, dessen regelmäßige Basaltsäulen ihm den Anschein der Künstlichkeit verleihen, und so heißt der entsprechende Aufsatz »Die Architektur der Höhle«. »Die architektonische Sicht der Höhle als eines gigantischen Bauwerkes der Natur, diese Spezifizierung einer allgemeinen ästhetischen Tendenz der Zeit also auf ein bestimmtes Naturphänomen, verbunden mit einem bestimmten Wahrnehmungsmuster […], beginnt mit der Entdeckung der Insel Staffa«. Vielleicht war es so, dass das »als ob« des Erlebnisses – man wusste genau, dass es sich um ein allein natürliches Phänomen handelte, sah es aber trotzdem als Architektur an – für eine größere Spannweite des Erlebnisses und damit auch für seine besondere emotionale Tiefe verantwortlich war; ein wunderbarer Ort konnte für das Erleben eben beides sein, Natur und Kunst.
Piepers auch sprachlich überzeugender Aufsatz handelt von dieser Sicht auf natürliche Phänomene, nach der Einleitung über Staffa auch mit Blick auf andere Höhlen, etwa auf die gewaltig ausgedehnten Salinen von Wieliczka bei Krakau. Über die Versuche des Engländers William Buckland, der große Höhlensysteme zeichnerisch erfasste, schreibt er: »Das Muttergestein ist wie eine im Erstarren rissig gewordene Masse dargestellt, in der die Höhlen als Enklaven prähistorischer Ereignisse verkapselt sind: als Urzeiteinschlüsse, über die die Zeit hinweggegangen ist, ohne sie zu berühren, und in die die Menschlein auf seinen Zeichnungen grabend wieder eindringen.«
Mehr auf ein rein kunsthistorisches Interesse wird Astrid Reuters Aufsatz über Grottendarstellungen im Werk von Wilhelm Friedrich Gmelin (1760 – 1820) stoßen, in dem uns teils die Lebensstationen eines achtbaren Künstlers, teils die künstlerischen, aber auch technischen Probleme bei der Darstellung von Grotten und Höhlen erläutert werden. Gmelin verwandte bereits die Aquatintatechnik, die ihm eine differenzierte Darstellung der Licht- und Schatteneffekte erlaubte, so dass seine Blätter auch die Tiefendimension wiedergeben konnten. Später stach er, mittlerweile in Rom lebend, die Wasserfälle von Tivoli und die Grotte des Neptun. Ganz erstaunlich ist seine Darstellung der Erdmannshöhle bei Hasel, eine Zeichnung, von der die Autorin sagt, dass sie »den poetischen Charakter einer über Jahrhunderte gewachsenen Naturschöpfung« bewahrt, aber zugleich »von dem sachlichen Blick des forschenden Künstlers« zeugt.
Der Aufsatz von Urte Stobbe, mit »Kulturelle Umdeutungsprozesse« überschrieben, ist so etwas wie eine kleine Geistes- und Kulturgeschichte der Grotte, ihres Aufkommens im 18. Jahrhundert und ihrer schwindenden Bedeutung im Fortgang des 19. Sie vermutet, dass verschiedene Sichtweisen immer noch nebeneinander existieren, dass also die höfisch-adelige Sicht durch die Hochschätzung des Natürlichen mehr ergänzt als einfach nur abgelöst wurde.
Die beiden letzten Kapitel des Buches handeln von »Material und Konstruktion« und »Restaurierung und Konservierung«. Hier sei der Aufsatz von Anette Freytag hervorgehoben, der den Park Buttes-Chaumont, einen Teil der Pariser Weltausstellung von 1867, und den »Schwindel des technischen Zeitalters« behandelt. Denn hier wurde eine Landschaft von Ingenieuren modelliert, »und zwar imposanter, als es die Natur je vermocht hätte.« Der Schwindel, um den es der Autorin geht, ist der des Betonbaus, mit dem Felsen nachgeahmt werden, und der der Eisenbahn, die noch vor dem Aufkommen des Autos für die Abkehr von einem natürlichen Erleben sorgte. Eben diesen Schwindel vermag der Pariser Park zu veranschaulichen. »Das Schwindelgefühl«, schreibt Freytag, »das die industrialisierte Natur und industrielle Erschließung des Raumes ausgelöst hat, wird gerade in der erschwindelten Kunstwelt der Buttes-Chaumont physisch erlebbar gemacht.«
Die Thematik ist natürlich viel zu groß, als dass sie in einem einzigen Buch erschöpfend behandelt werden könnte, aber der schöne und umfangreiche Band spricht viele Aspekte in sehr anregender und seriöser Weise an.