Künstlerhäuser spiegeln als Schatzhäuser der Kreativität die geistigen Welten ihrer Schöpfer wider. Ausgehend von der Villa Stuck in München, ästhetisch–gedanklicher Kosmos und Lebensgesamtkunstwerk des Künstlerfürsten Franz von Stuck, ordnet der einmalige Band den Typus des Künstlerhauses in einen internationalen Kontext ein. Rund 20 Beispiele aus Europa und Amerika lassen die Faszination, die derart gebaute Künstlerfantasien auf den Kunstliebhaber ausüben, lebendig werden. Christina Wimmer hat einen Blick hinter die Türen der Künstlerhäuser und in diese faszinierende Publikation geworfen.
2013 feierte das Museum Villa Stuck in München den 150. Geburtstag des Künstlerfürsten Franz von Stuck mit der Ausstellung »Im Tempel des Ich. Künstlerhäuser als Gesamtkunstwerk. Europa und Nordamerika 1800 bis 1948«. Welches Thema wäre geeigneter gewesen, handelt es sich bei der Stuckvilla doch um eines der bekanntesten Künstlerhäuser. Der zur Schau veröffentlichte großformatige, schwergewichtige Bildband erscheint jetzt in einer Neuauflage. Zuvor waren schon Publikationen zur Thematik des Künstlerhauses von u. a. Hans–Peter Schwarz, Jörg Stabenow, Eduard Hüttinger und Christine Hoh–Slodczyk erschienen. Museumsdirektor Michael Buhrs schreibt im Vorwort, dass es in der Ausstellung um die Einheit von Kunst und Leben geht, das ist sicher bei allen gezeigten Beispielen gegeben.
In ihrer Einleitung erwähnt die Kuratorin der Ausstellung Margot Th. Brandlhuber richtiger– und glücklicherweise, dass der Philosoph Eusebius Trahndorff den Begriff »Gesamtkunstwerk« 1827 als erster benutzte, und dass das Gesamtkunstwerk als Phänomen der Geistesgeschichte hauptsächlich mit Richard Wagner verbunden wird. Dann erklärt sie ihr Konzept: »Aber nicht das Künstlerhaus als pittoresker Ort, an dem Künstler gelebt und gearbeitet haben, sondern der Sonderfall des Künstlerhauses als Gesamtkunstwerk steht im Zentrum dieser Publikation. Die ausgewählten Projekte umfassen Häuser bildender Künstler und weniger Künstler–Architekten, die von diesen selbst bis ins Detail entworfen und realisiert wurden und zu deren großartigsten Schöpfungen gehören.« Sie zählt Beispiele auf, die nicht berücksichtigt werden konnten, z. B. die Häuser Joseph Maria Olbrichs, Peter Behrens‘ und Ludwig Habichs in Darmstadt. In dieser Reihe wäre etwa auch Max Slevogts Landhaus Neukastel in der Pfalz erwähnenswert gewesen. Auch die skurrilen Bauten des Postboten Ferdinand Cheval in Ostfrankreich (1879–1912) und des Vertreters der Art brut Karl Junker in Lemgo (1889–91) sind bedeutende Beispiele. Aus der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts bzw. aus dem frühen 21. Jahrhundert kommen die Häuser Jean–Pierre Reynauds in Paris (1974–93), Donald Judds in Marfa /Texas (1973–94), Jorge Pardos in Los Angeles (2007) und Julian Schnabels New Yorker Palazzo Chupi (2005–08) zur Sprache.
Hubertus Günther beschäftigt sich anschließend mit einer großen Zahl an Künstlerhäusern der Frühen Neuzeit. Voraussetzung für deren Entstehung bildet die Aufwertung der bildenden Künstler in der Renaissance, die jetzt nicht mehr als Handwerker angesehen werden. Dabei schuf zunächst Andrea Mantegna ab 1476 in Mantua ein besonders ungewöhnliches Gebäude. Der Bronzebildhauer Leone Leoni stellte mit seinem ab ca. 1565 entstandenen Mailänder Domizil seinen Wohlstand sowie seine umfangreiche Kunstsammlung zur Schau, wie dies später auch Peter Paul Rubens in Antwerpen tat. Die Ateliers waren nach Norden ausgerichtet. Bezüglich der bildlichen Ausstattung waren Themen aus der antiken Mythologie beliebt, etwa Herkules, der als Vorbild durch Mühen zu Ruhm gelangte, und den z. B. Federico Zuccari in seinem römischen Palazzo am Ende des 16. Jahrhunderts darstellte. Giorgio Vasari malte an die Wände seines Hauses zu Arezzo (1542–54) Allegorien wie den Ruhm, die Malerei, die Architektur, die Skulptur und die Poesie, Künstlerporträts und –legenden, die Tugend und Fortuna. Egid Quirin Asam stuckierte um 1730 an seine Münchner Hausfassade Athena, den Helikon, Pegasus und Apoll. Der Ulmer Stadtbaumeister Joseph Furttenbach plante sein Haus als Museum zu seinem Andenken, wozu 1641 eine Veröffentlichung erschien. Leider stellt Günther mit den Häusern Francisco de Goyas, Thomas Hopes und Sir John Soanes auch Beispiele aus der Zeit nach 1800 vor, wodurch es zu einer unschönen Überschneidung mit den beiden folgenden Texten kommt.
Denn Hans Ottomeyer führt aus, dass Künstlerhäuser des Klassizismus bzw. um 1800 selten waren, man wohnte meist bescheiden, so etwa Johann Gottfried Schadow oder Philipp Veit in Rom. Zudem erfolgte meist eine Trennung von Atelier und Wohn– bzw. Gesellschaftsräumen. Ausnahmen stellen die prächtigen Domizile des Dichters Pierre–Augustin Caron de Beaumarchais und des Ehepaars Elisabeth Vigée und Jean–Baptiste–Pierre Lebrun dar. Charles Percier erfand einen neuen Raumtyp, eine Mischung aus Atelier, Salon und Schlafzimmer, den er etwa für den Miniaturenmaler Jean–Baptiste Isabey anwandte. Das Bildprogramm dieses Zimmers stand noch in der Tradition der Künstlerhäuser Alter Meister wie oben geschildert. Thomas Hope baute sein ursprünglich von Robert Adam errichtetes Londoner Haus um, wobei jeder Raum ein anderes Thema und deshalb einen anderen Stil aufwies. Anne–Louis Girodet–Triosons Pariser Haus ist mit seinem »Atelierstil«, wie ihn später auch Makart pflegte, als erstes der Romantik zuzuordnen. Ebenfalls in der französischen Hauptstadt empfing Ary Scheffer viele Künstlerfreunde, wozu er ein eigenes Atelier hatte, ein weiteres diente zum Arbeiten. Im Hauptteil werden 20 Häuser folgender Künstler von je einem Experten besprochen: Sir John Soane, William Morris, Sir Lawrence Alma–Tadema, Louis Comfort Tiffany, Gustave Moreau, Franz von Stuck, Giovanni Segantini, Victor Horta, Fernand Khnopff, Johann Michael und Jutta Bossard, Kurt Schwitters, Konstantin Melnikow, Theo van Doesburg, Georgia O’Keefe, Max Ernst und Dorothea Tanning. Meist werden in den Aufsätzen keine Bezüge zwischen den Häusern hergestellt, nur Michel Draguet berichtet, dass Khnopff die Häuser Alma–Tademas, Burne–Jones‘ und Whistlers kannte; Brandlhuber stellt fest, dass die Stuckvilla ohne Vorbild in München sei, sondern eher Ähnlichkeiten zu den Häusern Alma–Tademas und Leightons aufweise. Das trifft nur teilweise zu, denn Stuck integrierte wie Franz von Lenbach in seiner Villa Abgüsse antiker Reliefs in die Wandgestaltung.
Weitere Übereinstimmungen lassen sich leicht für den Leser selbst herstellen: Ein neues Haus bauten sich etwa Stuck, Doesburg, Majorelle, Ernst und Tanning. Monet, Schwitters oder O’Keefe kauften ein altes Haus bzw. bauten es um. Manche Künstler wie Alma–Tadema und Tiffany verfügten über mehrere Häuser. Diese wurden oft erweitert, um eine Sammlung auszustellen, die die Künstler manchmal auf Reisen erwarben. Bezüglich der Innenräume orientierten sich Sir Frederic Lord Leighton und Frederic Edwin Church am Orient, Jacques Majorelle ließ sich gleich direkt in Marokko nieder. Mortimer Menpes
gestaltete alle Räume seines Londoner Wohnsitzes japanisch, Monet und Horta hängten japanische Grafiken auf. Für die Klassische Antike begeisterten sich Alma–Tadema und Stuck. Oft aber wurden Räume in verschiedenen Stilen gestaltet, einen einheitlichen Stil zogen etwa Horta, Khnopff und O’Keefe durch. Ein direkter Bezug zu Wagners Gesamtkunstwerk liegt bei Bossard vor, ein neues Konzept des Gesamtkunstwerks entwickelte Kurt Schwitters mit seiner »Merzkunst«, natürlich auch im »Merzbau« zu Hannover. Melnikows Haus ist architektonisch spektakulär, die Einrichtung eher weniger. Einige Künstler musizierten zu Hause, so gibt es Räume mit einer Musikerempore bei Morris und Menpes, ein Klavier stand im Atelier Khnopffs, ein Musikzimmer findet sich bei Stuck, Bossard und Doesburg. Leighton, Monet und Khnopff führten Besucher durch ihr Haus nach vorgegebener Route. Die Ausstattung von Morris‘ »Red House« bei London wurde nicht vollendet, es handelt sich um das Werk mehrerer befreundeter Künstler. Heute zerstört sind die Häuser Khnopffs und Menpes‘, gar nicht realisiert wurde der Plan Segantinis für das Schloss Belvedere in Maloja. Viele Künstler wohnten in der Stadt; am Land, zum Teil in fast völliger Einsamkeit, lebten Church, die Bossards, O’Keefe, Ernst und Tanning. Im Fall von Morris, Church, Monet, Stuck, Khnopff, Bossard und Majorelle war ein Garten unerlässlich. Moreau konzipierte seinen Wohnsitz als Museum. Heute sind zudem u.a. die Häuser von Soane, Morris, Monet, Majorelle, Melnikow und O’Keefe museal genutzt.
Die meisten Texte sind sehr informativ, nur Ségolène Le Mens Aufsatz zu Monets Haus in Giverny beschreibt eher Besuche des Hauses als das Haus selbst. Und Beat Stutzer geht kaum auf Segantinis Projekt zum Umbau des Schlosses Belverdere in Maloja ein, stattdessen widmet er sich der Arbeitsweise des Wahlschweizers in der freien Natur. Durch die einleitenden Essays bietet der Katalog einen guten Überblick über die Entwicklung des Künstlerhauses von der Renaissance bis zur Gegenwart; Brandlhubers, Günthers und Ottomeyers Texte enthalten treffende Analysen. Die Publikation zeigt, dass es sich bei Künstlerhäusern um faszinierende Kunstwerke handelt, die die Gedankenwelt der Bewohner:innen spiegeln und in denen sie sich inszenieren. Bei einigen ist die Bezeichnung »Gesamtkunstwerk« mehr als gerechtfertigt.
Titel: Im Tempel des Ich. Das Künstlerhaus als Gesamtkunstwerk. Europa und Amerika 1800–1948
Hrsg.: Margot Th. Brandlhuber, Michael Buhrs
Autor:innen: Hubertus Günther, Hans Ottomeyer, Julius Bryant, Jean-Louis Cohen, Elizabeth Prettejohn, Ludger Derenthal, Alice Cooney Frelinghuysen, Michel Draguet, Helen Dorey, Daniel Robbins, Evelyn D. Trebilcock u.a. Verlag: Hatje Cantz 2022
376 Seiten