Ikonen üben eine besondere Faszination auf den Betrachter aus. Vor zumeist „himmlischem“, das heißt goldenem Grund präsentieren sie in oft streng zweidimensionaler Form die Heiligen der Ostkirche, Szenen aus der biblischen Geschichte und vor allem Christus und die Muttergottes.
Ihre Motive und Typen sind fest vorgegeben und über die Jahrhunderte hinweg weitgehend unverändert geblieben. Ganz besonders und der Westkirche fremd ist auch der mit den Ikonen verbundene Bilderkult der Ostkirche. Denn eine Ikone ist kein rein dekoratives Bild, sondern gleichsam ein Fenster in eine andere Welt. Ihr wohnt ein anderes Bildverständnis inne, denn sie ist nicht nur eine Abbildung, sondern ein Abbild des heiligen Urbildes. Damit unterliegen Ikonen der gleichen Verehrung wie das Wort der Evangelien. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass das Bild durch die Ähnlichkeit mit dem Urbild geistig verbunden ist.
Anlässlich des 50-jährigen Bestehens der Gesellschaft „EIKON. Freunde der Ikonenkunst e.V.“ präsentiert die Kunsthalle Recklinghausen derzeit in einer umfassenden Schau über zweihundert ausgewählte Ikonen des 15. bis frühen 20. Jahrhunderts aus Griechenland, Russland und den Balkanländern. Die Ausstellung steht unter dem Titel „Pforte des Himmels“ und bezieht sich damit auf die zum eigentlichen Altarraum führende so genannte Königstür. Diese bildet das Zentrum der Ikonostase, jener aus zahlreichen Einzelikonen zusammengesetzten Bilderwand der orthodoxen Kirche, welche die Gläubigen vom Altarraum trennt. Die Königstür ist nur während der Eucharistie geöffnet und gibt dann den Blick auf den Altar frei. Ein schönes russisches Beispiel mit Verkündigung und Evangelistenszenen aus dem 16. Jahrhundert bildet daher das Leitmotiv der Ausstellung, in der noch zwei ähnliche Exponate zu sehen sind.
Das besondere an der Ausstellung ist, dass es sich nicht um Exponate des lokalen Ikonenmuseums handelt, sondern dass die Stücke ausnahmslos aus dem Privatbesitz der EIKON-Mitglieder stammen. So hat der Besucher die wohl einmalige Gelegenheit, zahlreiche noch nie in der Öffentlichkeit gezeigte Stücke zu sehen. Neben den klassischen Holzikonen umfasst die Ausstellung zusätzlich 124 russische Metallikonen, die allerdings - dichtgedrängt in drei Vitrinen präsentiert - allein im Erdgeschoss etwas verloren wirken. Hinzu kommen noch einige Werke der Schnitzkunst, der Stickerei und der Goldschmiedekunst.
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Die ausgestellten Ikonen geben einen guten Überblick über das gesamte Spektrum der ostkirchlichen Ikonographie. So finden sich Christus- und Marienikonen verschiedener Typen, Heiligenikonen, Kalender- und Festtagsikonen, Deesisszenen, Darstellungen aus dem Alten Testament, Kirchengründerszenen etc. Wesentliches Auswahlkriterium war für die Kuratoren neben der künstlerischen Qualität des einzelnen Stückes auch die Seltenheit der Thematik. So finden sich einige Ikonen mit Darstellungen der Muttergottes sowie der von ihr bewirkten Wunder, Ikonen, welche Hymnen (Magnifikat) und Gebete (Vater unser) präsentieren, seltene Szenen aus Heiligenlegenden sowie aus dem Alten und Neuen Testament. Einige der Stücke lassen sich über ihre Signatur bestimmten Ikonenmalern zuweisen. Andere Ikonen, vor allem aus der Gruppe mit Darstellungen von Klostergründern samt Ansicht des jeweiligen Klosters, lassen sich über die dargestellten Bauwerke datieren.
Innerhalb der Ausstellung sind die einzelnen Werke regional und thematisch geordnet. Die ältesten Stücke, darunter auch zwei griechische Muttergottesikonen vom Typus Glykophilousa, datieren ins 15. Jahrhundert, die jüngsten stammen aus dem frühen 20. Jahrhundert. Insgesamt zeigt sich trotz der Gebundenheit der Maler hinsichtlich Motiv und Typus auch die große stilistische und thematische Vielfalt der Ikonenmalerei, wobei auch regionale Ausprägungen zum Ausdruck kommen. Zudem offenbaren einige Ikonen deutlich, dass sie trotz aller Hermetik nicht frei von den Einflüssen westlicher Kunsterscheinungen sind. Zu verweisen wäre hier etwa auf zwei barock anmutende Ikonen mit Szenen aus dem Martyrium des Hl. Stephanos bzw. den Heiligen Georg und Nino, die vermutlich abendländische Kupferstiche zum Vorbild hatten.
Die sehenswerte Ausstellung bietet nicht nur die einmalige Gelegenheit, zahlreiche noch nie in der Öffentlichkeit gezeigte Stücke zu sehen, sondern mit Sicherheit auch einiges Potenzial für die einschlägige Forschung. Der schöne, reich bebilderte Katalog zur Ausstellung ist die Anschaffung wert. Er konzentriert sich vor allem auf die umfassende und sehr ausführliche Katalogisierung der einzelnen Exponate und ist mithin für eine weitere Beschäftigung mit diesen unerlässlich. Das Angebot wird abgerundet von einem umfangreichen Programm mit Vorträgen, Führungen, einem speziellen Angebot für Kinder, Jugendliche und geistig Behinderte.
Übrigens - die Gesellschaft EIKON, in der sich Liebhaber und Erforscher der Ikonenkunst, Ikonenmaler und Ikonensammler aus vielen Ländern zusammenschließen, freut sich immer über neue Mitglieder.
Öffnungszeiten
Di-So und Feiertags 11-18 Uhr (auch an den Weihnachtstagen und an Neujahr)
Heiligabend und Silvester jeweils 11-14 Uhr
Eintritt
Erwachsene: 5 Euro/Ermäßigt 2,50 € (jeweils Kombiticket mit Ikonen-Museum am selben Tag)