Buchrezensionen

R.B: Kitaj: Bekenntnisse eines alten jüdischen Malers, Schirmer/Mosel 2017

2007 verstarb der Amerikaner Ronald Brooks Kitaj; jetzt, zehn Jahre später veröffentlich der Schirmer/Mosel Verlag seine Autobiografie. Stefanie Handke hat sich mit seinen Lebenserinnerungen auseinandergesetzt.

Eins wird schnell klar: wir begegnen hier einem »Spinner«, einem »Verrückten« und »Sonderling«. So bezeichnet sich R.B. Kitaj selbst in seiner Autobiografie. Denn so wirklich ernst nimmt er sich in seinen bereits 2003 vervollständigten Erinnerungen nicht, scheut sich auch nicht Selbstkritik zu üben und geht offen mit seinen eigenen Unzulänglichkeiten wie auch seinen Stärken um. Herausgeber Eckhart J. Gillen entdeckte das Manuskript im Nachlass des Künstlers, der sich 2007 das Leben nahm. Nun sind sie also auf Englisch und Deutsch erschienen und durchaus spannende Lektüre: Kitaj beginnt seine Autobiografie tatsächlich mit seinen Kindheits- und Jugendjahren. Seit seinem 17. Lebensjahren fuhr Kitaj zur See und finanzierte so auch immer wieder seine Künstlerausbildung. Die begann er 1950 am Cooper Union Institute in New York und führte sie an der Akademie der Bildenden Künste in Wien weiter. Dort lernte er auch seine erste Frau Elsie Roessler kennen, die er 1953 heiratete. Sein Seefahrerleben prägte sein Verhältnis zu Frauen: Kitaj scheut sich nicht von seinem zuweilen freizügigen Liebesleben zu sprechen und bricht eine Lanze für die Prostituierten, »Huren« dieser Welt, und antwortet auf Kritiker, die dieses häufige Bildmotiv bei ihm monieren: »Sie bleiben bei uns bis zum Ende der Zeit, aber nur wenige Männer stehen zu ihnen.« Man kann das gerne als Schönrednerei einer Obsession bezeichnen, aber der Leser fragt sich in der Tat: Haben die Prostituierten dieser Welt nicht mehr Achtung verdient, ganz so wie selbstbewusste Vertreterinnen sie bereits auch einfordern?

1955 zur US Army eingezogen, war der Künstler zunächst in Darmstadt und dann in Fontainebleau stationiert. Diese Zeit nutzte er fast jedes Wochenende Paris zu besuchen, war aber »wohl einer der wenigen amerikanischen Soldaten, die nicht bei Picasso oder Brancusi anklopften« und besuchte lieber den Louvre und begab sich auf die Suche nach Büchern. Überhaupt ziehen sich die Antiquariats- und Buchhandlungsbesuche durch Kitajs gesamte Autobiografie – In Paris, Oxford, London beschreibt er in lebhaften Farben seine Stöberrunden. Auch das eine Obsession: Lieblingsautoren wie Joyce oder Kafka begegnen, an einer Stelle

Dank dieses Militärdienstes konnte sich der Maler ab 1957 wieder seiner Künstlerausbildung widmen; ein sogenanntes G.I. Bill Stipendium zahlte für jedes Dienstjahr eineinhalb Jahre Ausbildung an einer Universität. Kitaj zog es mit seiner Frau nach Oxford, an die Ruskin School of Art, wo er dank seines Lehrers Percy Horton Cézanne für sich entdeckte und seiner »ersten modernen Bilder malte« und wo er sich intensiv mit Aby Warburgs Lehre auseinandersetzte. Weiter ging es dann 1959 an das Royal College of Art in London. Hier lernte er unter anderem Allen Jones und David Hockney kennen, der im Übrigen auch das sympathische Vorwort zu verantworten hat. Auch bekannt er hier Schrift in seinen Werken einzusetzen, laut eigener Aussage bereits ein Bezug zur »alten jüdischen Tradition des KOMMENTARS«.

Überhaupt, Kitajs Judentum. Hockney verweist darauf, dass sein Kollege in den gemeinsamen Jahren nur wenigen Personen bekannte, jüdischer Abstammung zu sein, und doch zog sich das Thema, insbesondere auch der Holocaust durch das ganze Leben des Künstlers. Nur halb ironisch sollte man vielleicht den Titel »Bekenntnisse eines alten jüdischen Malers« lesen, denn Jüdischsein war für ihn seit den 1960er Jahren stets ein Thema, wenngleich er weder Jiddisch noch hebräisch sprach und auch keiner Glaubensrichtung zuzuordnen war. Hinzu kommt, dass er sich erst nach und nach dem Thema des Jüdischseins annäherte und dieses immer mehr Raum in seinen Gedanken und seinen Bildern einnahm. Irgendwann wurde es sein erklärtes Ziel, »jüdische« Kunst zu schaffen und Theman Insbesondere das Thema der Diaspora diskutierte er auch in seinen Schriften immer wieder, vielleicht auch in Zusammenhang mit seinem eigenen Leben voller Reisen und wechselnder Lebensorte – Kitaj lebte in Wien, London, Paris, L.A., pendelte jahrelang zwischen den USA und England. Und so entstand 1988 sein »Manifest des Diasporismus«, in dem er sich mit seiner jüdischen Identität auseinandersetzt. Später sollte er auch seine künstlerische Auseinandersetzung mit Kunsthistorikern wie Warburg als »Methode einer diasporischen Kunst« bezeichnen.

Zwei Frauen prägen freilich die Gedanken Kitajs besonders: Seine erste Frau Elsie, die sich 1969 das Leben nahm und die er, wenngleich nicht als Liebe seines Lebens, so doch als echte Liebe bezeichnete. Der gemeinsame Sohn Lem und die Adoptivtochter Dominie blieben ihm aus dieser Ehe und er bekennt, dass Elsie Roessler auch im Alter noch in seinen Gedanken und Träumen auftauchte. Die zweite ganz große Liebe war später Sandra Fisher, die er in Hollywood kennenlernte und 1983 heiraten sollte. Auch diese Frau ging von ihm und ihrem Tod folgte eine tiefe Krise, auch in Verbindung mit dem sogenannten Tate War: Seine Retrospektive in der Tate Gallery erntete vernichtende Kritiken, die der Künstler selbst als ignorant empfand. Seine Lösung suchte er in der Flucht aus England nach Amerika, der Tod aber wurde eines der Hauptthemen seiner Kunst: Engel fanden sich nun vermehrt in seinen Werken, auch seine Frau Sandra und sich malte er oft. Dabei blieb sein Werk stets grafisch, auch seinen Gemälden kann man diese Qualität schwer absprechen.

Am 21. Oktober 2007 wählte R.B. Kitaj den Freitod. Nun, zehn Jahre später, sind seine Erinnerungen, nein eigentlich in der Tat Bekenntnisse, erschienen. In ihnen begegnet dem Leser ein reflektierter Künstler, der sich nicht scheut die eigenen (persönlichen) Unzulänglichkeiten aufzuzeigen, der diesen aber ein großes Selbstbewusstsein entgegensetzt, denn auch wenn er heute ein wenig in Vergessenheit geraten ist, so ist er einer der großen Künstler der letzten 50 Jahre, sein Werk nach wie vor spannend und seine Auseinandersetzung mit dem eigenen Leben und Werk eine lohnende Lektüre.

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