Ein Jahr lang zogen die Samurai durchs Land. Erste Station war die Stiftung Museum Kunstpalast in Düsseldorf. Nun gastiert die Schau in der Galerie Stihl in Waiblingen. Günther Baumann ließ sich in den Bann der japanischen Farbholzschnitte von Utagawa Kunisada und Utagawa Kuniyoshi ziehen.
Es sind nicht die klassischen Felder, die die beiden Schüler des bedeutenden Meisters des Schauspielerporträts, Utagawa Toyokuni, besetzen: die sparsame Landschaft und erotische Themen. Vielmehr sind es die emotional bewegteren Inszenierungs- und Bewegungsmotive des Kriegers und des Schauspielers, was angesichts der beeindruckenden Auswahl in Waiblingen keinen Widerspruch ergibt, im Gegenteil eine ästhetische Einheit bildet.
Dass es dem Laien gar nicht so leicht fällt, die Stile beider Künstler klar zu unterscheiden, liegt wohl an der schulischen Nähe, die sich so richtig erst durch die Lektüre des Katalognbeitrags von Bernd Jesse zum »Goldenen Zeitalter der Utagawa-Schule« erschließt. Was man nämlich schon ahnt, findet hier seine Gewissheit: die vermeintlichen Künstlernamen klingen nicht nur zufällig gleich. Dahinter verbirgt sich die Utagawa-Schule der Edo-Zeit, Ende des 18. Jahrhunderts und darüber hinaus, benannt nach dem alten Tokyoter Stadtteil Utagawacho. Berühmt wurde jener Toyokuni, der den Schauspielerthemen einen bis dahin kaum gesehenen Wirklichkeitsgrad verlieh. Man kann der ganzen Schule heute rund 400 Schülernamen zuordnen – zwei davon sind nun in der Stihl-Galerie zu sehen. Deren Namenssilbe "kuni" weist sie als Schüler von Toyo-»kuni« aus. Der Realismus kam dem Publikumsgeschmack nahe, wodurch sich die Holzschnitte der Edo-Künstler zum massentauglichen Verkaufsschlager entwickelten, vergleichbar der Plakatdrucke im Europa des ausgehenden 19. Jahrhunderts – es war kein Wunder, dass gerade da der japanische Farbholzschnitt von der europäischen Avantgarde entdeckt wurde, wenn auch weniger die bildfüllenden szenischen Themen zur Wirkung kamen. Umso beeindruckender sind diese heute anzusehen, da die Bezüge zur Manga-, Animationsfilm- und Tattoo-(Sub-)Kultur offensichtlich sind.
Utagawa Kunisada (1786-1865) und Utagawa Kuniyoshi (1798-1861) gehören zu den wichtigen Meistern der Schule, die ein umfangreiches Werk hinterlassen haben. Andere sind weniger oder gar nur durch den Namen bekannt. Die etwa 80 Arbeiten gehören zu einer mustergültigen, systematisch aufgebauten Sammlung von Hans Lühdorf, die ihresgleichen sucht. Deshalb ist es nicht hoch genug einzuschätzen, dass der ausstellungsbegleitende Katalog über 200 Beispiele aus dem Werk der beiden Künstler vereint, die dem Vergnügen des Galeriebesuchs eine faszinierende Nachbetrachtung beigesellt. Faszinierend auch in dem Sinn, dass der expressive Duktus eine Seite des Japanholzschnitts beleuchtet, die im öffentlichen Bewusstsein noch nicht so verankert, wenn aber auch über den Umweg der Manga-Szene latent im Hinterkopf angelegt ist. Vielfalt ist Trumpf bei der Bildauswahl: Farbkräftig tummeln sich Schauspieler und Frauen auf den Bühnen des Lebens, Phantasie ist ebenso gefragt wie der ironische Hintersinn – und die Ästhetik ist für die europäische Rezeption bewundernswert modern, die Traumsequenzen bringen surreale Elemente in die drastisch,realitätsnahe Darstellung. Zeichnungen von Kuniyoshi ergänzen die Grafikschau. Die Ausstellung steht unter der Schirmherrschaft des Japanischen Generalkonsulats München.