Ausstellungsbesprechungen

Tattoo, Museum für Kunst und Gewerbe, Hamburg, bis 6. September 2015

Tattoos provozieren. Von älteren Generationen meist mit Kriminellen assoziiert, bietet die Thematik einen reichen Fundus an Diskussionsstoff. Denn natürlich ist das nicht alles. Dem Tattoo als sozialen Marker, Identitätsstifter und Körpergedächtnis widmet sich das Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe nun in einer Schau, die eigentlich nichts zu wünschen übrig lässt. Rowena Fuß war vor Ort.

Wussten Sie, dass sich die österreichische Kaiserin Sisi in einer Hafenspelunke einen Anker auf das Schulterblatt stechen ließ? Oder, dass die Leiche des englischen Königs Harald II. 1066 dank eines Tattoos über seinem Herzen auf dem Schlachtfeld identifiziert werden konnte? Nein? Ich auch nicht. Es ist erstaunlich, wie en vogue die Hautzeichnungen bei den Mitgliedern des europäischen Hochadels waren.

Wenig überraschend scheint dagegen, dass Teeniestar Justin Bieber eine irgendwie niedliche Eulen-Tätowierung trägt und Schockrocker Marilyn Manson einen Zyklopen. Schubladendenken? Ja und Nein. Die Hamburger Schau bietet in 250 Fotografien, Farbholzschnitten, Gemälden und Skulpturen, Videoarbeiten, Audioinstallationen sowie Vorlageschablonen und historischen Hautpräparaten aus dem späten 19. Jahrhundert bis zur Gegenwart einen Rundumschlag zum Tattoo zwischen Auszeichnung, sozialer Zuordnung, Identitätsmerkmal und Stigmatisierung in verschiedenen Kulturen, sozialen Schichten und Epochen.

Wie ein roter Faden zieht sich die Gruppenzugehörigkeit durch viele der vorgestellten Arbeiten: ob bei den Gangtattoos der Mara Salvatrucha aus El Salvador, den Gesichtszeichnungen der Maori oder den volltätowierten Plastiken »Pablo & Ruth« gleich im Eingangsbereich. Die kleinen Figuren mit knallig buntem Iro von Enrique Marty schreien mit ihren Hautbildern, deren Motive an die der japanischen Mafia angelehnt sind, direkt Anarchie und Rebellion in den Raum. Doch verzerren »Pablo & Ruth« die eigentliche Aussage. Denn das Rebellische oder Bedrohliche der Motive sind lediglich Schein, es wird nicht gelebt.

Dass die Hautzeichnungen nicht nur Marker für die Mitgliedschaft in einer sozialen Gruppe sind, sondern ebenso viel über die Identität ihres Trägers erzählen, wird im Video »Don’t worry« von Goran Galić und Gian-Reto Gredig thematisiert. 22 Menschen geben dem Besucher darüber Auskunft, warum sie sich eine Tätowierung stechen ließen. Bemerkenswert ist Gioia Dal Nolin, wenn sie meint, dass unsere Zeit auf der Suche nach Individualität sei und man sich deswegen tätowieren lässt.

Das Tattoo als Teil der Selbstdarstellung bildet auch den Fokus im Raum, der an »Pablo & Ruth« angrenzt. Stark tätowierte Frauen erwarten dort den Besucher. Es handelt sich um Zirkusartistinnen, Glamour Girls oder auch Normalbürgerinnen der 1920er bis 1970er Jahre, die die Hamburger Tätowierlegende Herbert Hoffmann in seinem Fotoarchiv für die Nachwelt festhielt. Ihre Hautbilder dienten bei ersten quasi als Außenwerbung und Bühnenkostüm.

An dieser Stelle mag man sich wundern, warum das Thema Tattoo als modisches Accessoire nicht aufgegriffen wird. Body Shaping und eine gesteigerte Bedeutung der eigenen Körperästhetik prägen immerhin seit den 80ern unsere Realität, mit dabei: das Tribal, Blumenmotive u.a.m. Es bleibt nur zu vermuten, dass es zu weit vom Kernkonzept weg in den Bereich Fashion geführt hätte. Aber vielleicht ergäbe sich daraus ja Stoff für eine Fortsetzung?

Grundsätzlich überzeugt das Konzept, dass sich 2013 die Kuratoren des Winterthurer Gewerbemuseums erdacht haben und vom Hamburger Museum übernommen wurde. An einigen Stationen kann man sogar selbst aktiv werden, z.B. bei einem Ratespiel, wo man das gezeigte Tattoo seinem Träger zuordnen muss. Häufig gelingt das bereits durch das Ausschlussprinzip.

Hauptsächlich von Jugendlichen umlagert ist Chris Eckerts kinetische Skulptur »Auto Ink«. Der Tätowierautomat des amerikanischen Künstlers malt einem nach Zufallsprinzip ein religiöses Symbol auf den Unterarm, z.B. ein Kreuz oder einen Davidstern – allerdings nur mit einer Kugelschreibermiene. Eckerts verweist damit auf die verbindende Wirkung von Religionen.

Deutlich provokativer und für Diskussionen in und außerhalb der Schau geeignet sind die Arbeiten »Tim«, »Donata« und »80064«. Erstere wurden von dem belgischen Künstler Wim Delvoye erdacht. Bei »Tim« handelt es ich um den ehemaligen Tankwart Tim Steiner, der seine Haut sprichwörtlich zu Markte getragen hat. In einer mehrstündigen Sitzung ließ er sich 2006 eine Madonna, Fische und einen Totenschädel stechen. Dann wurde das Hautbild an einen deutschen Sammler verkauft, der damit das Recht erwarb den Schweizer als Leihgabe weiterreichen, verkaufen und vererben zu können. Delvoye zeichnete sich für den Plan des »lebenden Kunstwerks« verantwortlich. Denn »es wurde Kunst als es verkauft wurde«, sagte er in einem Interview. Nach Tims Tod wird die Hautzeichnung auf einen Rahmen gespannt werden, so dass ein Teil von ihm der Endlichkeit trotzen wird. »Tim« regt daher nicht nur zum Nachdenken über den Kunstmarkt an, sondern fordert ebenso zur Reflexion über den Umgang mit derartigen Werken auf.

Bereits 2004 Jahre ließ Delvoye auf seiner chinesischen »Art Farm« Schweine tätowieren. Eins davon, mit Namen »Donata«, sitzt in der Ausstellung. Und obwohl man sich Delvoyes Aussage im Kurzführer, dass tätowierte Schweine wie tätowierte Menschen aussähen, nicht unbedingt anschließen kann, macht die ausgestopfte »Donata« als Übungsstück für Tätowierer was her. Derjenige, der sie verzierte, leistete ganze Arbeit. Ihren Rücken schmückt eine in Flammen stehende Zündkerze, darunter befindet sich ein Weißkopfseeadler vor der US-amerikanischen Flagge. Flankiert wird das Ganze von Rosen, Schwalben, einer Piratenflagge, Spinnen, einer grünen Schlange, Stacheldraht und Malteserkreuzen.

Den Höhepunkt der Auseinandersetzungen bildet zweifelsohne das 11-minütige Video »80064«. Darf ein Künstler einen Holocaust-Überlebenden dazu überreden, seine Lagernummer aus Auschwitz aufzufrischen? Denn genau das hat der polnische Künstler Artur Żmijewski getan.

Man sieht die Emotion in seinen Augen, als Józef Tarnawa von den Leichenbergen erzählt, die er jeden Tag sah. Am 4. Dezember 1942 kam er nach Auschwitz. Dort wurde er tätowiert. Er bekam eine Lagernummer, die seinen Namen ersetzte. Fortan war er nur noch 80064. Knapp sechzig Jahrzehnte später überredet Żmijewski den inzwischen 92-Jährigen sich die verblasste Nummer erneuern zu lassen und filmt den Vorgang. Es entsteht nicht nur ein Video über persönliche Erlebnisse Tarnawas im Konzentrationslager, sondern auch das Porträt eines Mannes, der mit seiner Vergangenheit kämpft. Tarnawa möchte kurz vor dem Nachstechen die Aktion abbrechen, fragt, was das überhaupt bringen soll, dass es nicht notwendig sei. Als es dann doch passiert, sitzt er ganz ruhig auf dem Tätowierstuhl. Nichts deutet mehr darauf hin, wie aufgewühlt er noch vor wenigen Momenten war. Ein paar Tage später besucht ihn Żmijewski zu Hause und fragt, ob ihm die Tätowierung jetzt besser gefalle. Tarnawa verneint vehement und sagt, dass ihm die Nummer noch nie gefallen hätte – in Anbetracht der Umstände, unter denen er sie einst erhalten hatte. Dann wendet er den Kopf ab. Ein gelungenes Stück Gedächtnisarbeit oder bloße Provokation, das ist die Frage, die der Film aufwirft und die es zu beantworten gilt. Am besten im Gespräch beim Rundgang.

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