Ausstellungsbesprechungen

gestochen scharf - Tätowierung in der Kunst, Museum Villa Rot, Burgrieden-Rot, bis 28. Juli 2013

Von wegen Papier, Leinwand, Karton oder Holz: Zeitgenössische Kunst geht unter die Haut! Wie bildende Künstler die menschliche oder tierische Schreib- bzw. Malfläche nutzen, zeigt das Museum Villa Rot aktuell in seiner ungewöhnlichen Ausstellung »gestochen scharf - Tätowierung in der Kunst«. Günter Baumann hat es sich angeschaut.

Der Ersteindruck führt in die Halbwelt, immerhin: nicht Unterwelt. Denn die Zeiten, als man Tattoos mit der brachial-romantischen Seemannskultur, dem Knast-Alltag oder der aggressiven Rocker-, dann Punk-Szene verband, sind zumindest dem bürgerlichen Straßenbild gewichen – heute findet sich in so mancher Fußgängerzone ein Tätowier-Shop. Doch selbst das Halbwelt-Image löst sich in Wohlgefallen auf, wenn man die Kulturgeschichte des Tattoos bemüht, die etwa in der japanischen Geschichte eine sehr große – und auch in Adelskreisen gepflegte – Tradition hat und historisch nachweisbar bis zum Gletscher-Ötzi zurückgeht.

Die Haut als Mal- bzw. besser und im Sinne des Wortes grafische Fläche zu verwenden, hat also im Grunde nichts mit sozialer (Selbst-)Ausgrenzung zu tun, sondern mit einer sozialen und ästhetischen Kodierung. Das griechische Wort »graphein« heißt so viel wie ›schreiben‹, aber auch ›(ein)ritzen‹, was daran lag, dass man einst Texte in Stein meißelte oder in Ton ritzte – heute kennen wir es in Verbindung mit der Grafik, und man stelle sich hier insbesondere die Kupferplatte vor, die für den Tiefdruck mit einem Stichel traktiert wird (bei Dürer hieß der Vorgang noch »reißen«, später »stechen«).

Dennoch ist die Kunst des Tätowierens nicht zwingend auch salonfähig, rührt noch immer an Tabus, weil sie mit äußerlich verursachten Schmerzen und daher mit Gewalt zu tun hat. Es ist also ein gewagtes Unterfangen, sie in einer exklusiven Ausstellung zu präsentieren, aber wie ließ sich doch der Radikal-Künstler Flatz auf den linken Arm tätowieren: »Mut tut gut!« Dass der Spruch das Titelbild des Katalogs der Ausstellung »gestochen scharf« im Museum Villa Rot in Burgrieden-Rot ziert, könnte mit der selbststimulierenden Ambition zu tun haben, diese Kunstform am menschlichen Körper in den Fokus zu nehmen.Dafür spricht auch der fast irreführende Titel , der eher mit der grafischen Hintergründigkeit kokettiert. Betrachtet man die erschlafften Männerkörper in der Ausstellung, ist es um die gestochene Schärfe nicht allzu gut bestellt. Berichtet wird andrerseits auch in einem Film Artur Zmijewskis von einem ehemaligen Auschwitz-Häftling, der seine weitgehend verblasste KZ-Tätowierung nachschärfen ließ.

Flatz bemüht übrigens bei all seinem provozierenden Zurschaustellen auch die gute klassische Zitatenküche: Auf seinem rechten Arm liest man den Cicero zugeschriebenen Satz »Dum spiro spero« (»Solange ich atme, hoffe ich«). Tattoos als humanistischer Zitatenschatz? Die Schau in der Villa Rot, die regelmäßig für Überraschungen im Programm bekannt ist, fächert alle Bereiche des Tätowierens auf – und die sind vielfältiger als man spontan denkt: Schmuck, Voyeurismus, erotische Stimulanz und nach wie vor Protest.

Die Aktionskünstler Valie Export und Flatz erinnern einerseits mit ihren Hautgravuren an die Body-Sign-Ästhetik der 1970er Jahre, andrerseits an die ans Masochistische grenzende Performance am eigenen Körper. Gleichwohl nimmt Valie Export dabei eine explizit feministische Position ein, während Flatz seit den 1980er Jahren eher männliche Ritualformen der Selbstinszenierung umsetzt – und das bei weitem extremer als Timm Ulrichs, der mit vergleichsweise dezenten Beschriftungen bis übers Augenlid die Grenzen zwischen Kunst, Person und Werk aufhebt.

So sehr diese Aktionen ihren anarchischen Reiz mittlerweile verloren haben, sorgt Wim Delvoye immer noch für Aufregung: mit seinen (im narkotisierten Zustand) tätowierten Schweinen persifliert er den menschlichen Drang zum Körperbeschmückung. Der Künstler schreckte auch nicht zurück, die Haut eines tätowierten Menschen regelrecht zu Markte zu tragen, indem der sich bereit erklärte, als »Leihgabe« öffentlich zu posieren. Die Selbstausbeutung im kapitalistischen System bzw. die Selbstzerstörung am Körper kennzeichnen auch die Aktionen von Santiago Sierra, bei denen er Arbeiter, Prostituierte oder Drogenabhängige entlohnt – für die Tortur durch die Tätowiernadel.

Dass die Quälerei nicht das »Ein und Alles« der Tattoo-Kunst ist, zeigen freilich die vielfach ästhetisierten Formen der Darstellung. So irritiert zwar Fumie Sasabuchi mit der Vorführung tätowierter Kinderkörper, die sich jedoch als hyperrealistische Applikationen entpuppen. Und mit ihren übergroßen, tattoo-bemalten Playmobil-Figuren nimmt sie einerseits der schmerzvollen Art ihre Drastik, allerdings nicht ohne die Kommerzialisierung kultureller Identitäten zu brandmarken. Weitere Künstler der Ausstellung sind Daniele Buetti, Christian Dünow, Chris Eckert, Nathini Erber, Klaus Pichler, Frank Schäpel und Huang Yan.

Noch nie wurde die artifizielle Tätowierung in dieser Breite vorgestellt wie hier im Museum Villa Rot. Am Ende zeigt sich diese Kunstform nahezu klassisch von ihrer ikonografischen Seite. Jenseits vom berüchtigten Arschgeweih erweisen sich die Tattoos als hochinteressante Kulturträger. Fotodokumente und die Vorstellung aktiver »Graveure« betten das Thema in ein ethnologisches wie ästhetisches Gefilde.

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