Ausstellungsbesprechungen

Schaffens(t)räume. Atelierbilder und Künstlermythen in der ostdeutschen Kunst, Kunstsammlung Gera in der Orangerie, bis 3. Februar 2013

Schatzkammer, Sammelstelle, Minikosmos, Refugium, Labor - seit jeher verbinden sich mit dem Künstleratelier geradezu okkulte Vorstellungen. Welche besondere Bedeutung der Ort für ostdeutsche Maler hatte, verrät Ihnen Rowena Fuß.

Eine Wüstenei aus übereinander zu Türmen gestapelten Büchern, Papierbögen und -fetzen ziert den Boden, irgendwo dazwischen finden sich auch Pappbecher und Klamotten. Mittendrin stehen ein Schreibtisch und ein Stuhl. Ein Arbeitsplatz, der – wie sollte es anders sein – ebenso verkramt daherkommt: Pinsel, Farbkleckse, leere Tuben und kleine Modelle liegen dort zwischen wiederum zahlreichen Papierschnipseln auf der Platte.

Das »Künstleratelier« (2012) von Moritz Götze befindet sich in einem Glaskubus. So, als wäre es eine seltene Pflanze, die man vor widrigen Einflüssen schützen muss. Etwa vor der Zensur, oder, um beim Gärtnern zu bleiben: dem Beschnitt. Denn hier, und nur hier, so will es der künstlerische Schöpfungsmythos, beginnt die Energie zu fließen, der Funke überzuspringen, der einmal ein großes Werk werden wird: in einem intimen Schutzraum, einer Mönchszelle gleich, abgeschottet von der Gesellschaft und der Außenwelt.

»Schaffens(t)räume« demonstriert an 90 Gemälden von 76 Künstlern die Sonderrolle des Ateliers für die Erweiterung des Kunstraums in der DDR. Ein Atelier war bildenden Künstlern nach Studienabschluss und Aufnahme in den Künstlerverband zugesichert. Auf dieser Grundlage fungierten die Arbeitsräume der Künstler zunächst als Rückzugsort bevor sie in den 1970er und 1980er Jahren als „Basislager“ und „Trafo-Station“ für die Etablierung künstlerischer Alternativen und experimenteller Kunstformen wichtig wurden. Fünf thematische Bereiche beleuchten in der Ausstellung darüber hinaus Aspekte wie Künstlergemeinschaften und Ausstellungspraxis, Überschreitungen und Ausbrüche.

In einem Staat, in dem der Diskurs über die Inhalte der Kunst öffentlich stattfand, erscheint es konsequent, dass Künstler sich mit Selbstbildnissen daran beteiligten. Die Darstellung der eigenen Person während der künstlerischen Arbeit bedeutete eine Art Bekenntnis und Reflexion über das eigene Schaffen.

So etwa in Eberhard Löbels »Stillleben mit Selbstbildnis« (1971). Es zeigt den Teil eines Tisches, auf dem sich Alltagsgegenstände und eine Spiegelscherbe befinden. Letztere reflektiert das Gesicht des Künstlers. Die nur scheinbar zufällige Anordnung leitet den Blick des Betrachters: Er wird vom Notizbuch über Farbtuben, einen Rasierapparat, eine Kaffeetasse und eine Terpentin-Flasche zum Spiegel geführt. Die Gegenstände weisen auf Tätigkeiten hin, die der Künstler gedenkt zu tun oder gerade getan hat. Der Griff mit der Hand zur Kaffeetasse ist eine solche Aktion, der Rasierapparat könnte gerade benutzt worden sein. Ein Terminkalender liegt aufgeschlagen auf dem Tisch und zeigt ein Datum und Notizen zum Tag. Auf die Malerei, die wahrscheinlich später in Angriff genommen wird, deuten die Farbtuben und der Pinsel. Interessant ist die Nelke, die in einem Glas auf dem Tisch steht. Die Blume gilt im Allgemeinen als ein Symbol der Arbeiter für den Klassenkampf. Ihr Dahinwelken könnte als Hinweis auf Vergänglichkeit oder als verschlüsselte Metapher für Löbels kritische Haltung zum Sozialismus gemeint sein.

Der Themenkomplex Alltag wird von den Künstlern in der ganzen Breite des Spektrums gezeigt. Wolfgang Peukers »Meine Tür« (1973) ist vielleicht das skurrilste Werk. Denn man schaut auf eine Klinke – an der ein rotes Handtuch hängt – in einer weißen Tür. Knapp über der Klinke hängt ein Foto von Marlene Dietrich. Ob diese als Modell, Muse oder Symbol weiblicher Schönheit dient, bleibt ungewiss. Aussagekräftig sind die Bilder Peukers oder Löbels insofern, als sie Einsicht in die Privatsphäre geben.

Natürlich begreift man Kunst, die unter den Bedingungen einer Diktatur entsteht, nicht eben beim schnellen Hinschauen. Doch der Bezug zum Alltäglichen schafft Identifikationsmomente oder Ansätze, die den Zugang zu den Bildwelten der ostdeutschen Künstler erleichtern. Denn das, was sich in ihnen spiegelt sind Existenzaussagen. Gab es (kritische) Künstler in der DDR? Eine Frage, die nach dem Besuch der Schau mit „Oh ja!“ beantwortet werden muss. Es gab sie nämlich genau dort, wo sie sich ungehindert entfalten konnten: in ihrer Ideenschmiede, ihrem »Exil mit Weltkontakt« (Nina Pauer auf Zeit online). Wie ihr Leben aussah? Erfahren Sie es in der Ausstellung!

Weitere Informationen

Zur Ausstellung ist ein lesenswerter Katalog erschienen, der über das Museum erworben werden kann.

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