Buchrezensionen

Michael Peppiatt: In Giacomettis Atelier, Deutscher Kunstverlag 2013

Michael Peppiatt sucht Alberto Giacomettis Werk aus der Perspektive seines Ateliers heraus zu fassen. Das gelingt nicht immer überzeugend, aber ist von einem hohen Maß an kurzweiligem Lesevergnügen begleitet, meint Susanne Gierczynski.

»Das Atelier«, so Peppiatt, »ist Giacomettis eigenes Monument und die vermutlich einzige und einleuchtende Perspektive, aus der sein Werk und sein Leben erfasst werden kann.« So macht der Autor Giacomettis Bergeller Herkunft für das früh ausgeprägte Bedürfnis verantwortlich, sich in schützenden Innenräumen aufhalten zu wollen und zieht damit eine direkte Linie zu Giacomettis Atelierbehausung, die die Funktion der »sicheren geheimen Höhle seiner Kindheit« übernimmt. Die Behauptung, dass Giacomettis Karriere erst mit der Unterschrift unter dem Mietvertrag für sein Atelier in der Rue Hippolyte Maindron 46 startklar war, ist dem literarischen Gestus Peppiatts geschuldet.

Wie aus einem Bedürfnis der Selbstvergewisserung heraus, haben zwei akkurat ausgeführte Bleistiftzeichnungen Giacomettis von seinem Atelier aus dem Jahr 1932 zu gelten. Gewidmet hat Giacometti die Zeichnungen der Gräfin Madina Visconti mit »folgender eleganter Beschriftung (...) Zeichnung meines Ateliers, das Sie zu meiner großen Freude nicht abstoßend gefunden haben«. Warum diese »Bruchbude von Atelier«, die es definitiv war, »auf eine poetische, magische Weise in einen geheiligten Ort verwandelt« wahrgenommen wurde, begründet der Autor mit dem Bedürfnis der Nachkriegszeit, die »das Wunderbare und Erhabene aus dem schmutzigen, dreckigen Alltag hervorgehen« sehen wollte. Schilderungen von Augenzeugen dieses uneitlen Ortes konzentrierter künstlerischer Arbeit, bestätigen die These.

Peppiatt gelingt die Gratwanderung zwischen kunsthistorisch versierter Darstellung und literarisch ambitionierter, zuweilen wohlwollend salopper Entmystifizierung der Person des Künstlers. So wird das zum Teil verstörende Verhältnis des Künstlers zu Frauen – von der »männerfressenden« Isabel Rawsthorne, über seine Ehefrau Annette Arm, die gegen nicht enden wollende Staubwolken im Atelier anfegte, bis zu einer wenig aussagekräftigen „Liebelei“ mit Marlene Dietrich und Giacomettis letzter emotionaler wie werkhistorisch bedeutungsschwerer Verbindung zu der Prostituierten Caroline – in Giacomettis Werkgenese eingebettet.

Nach Giacomettis Tod verfiel das Atelier zusehends. In den frühen 1970er Jahren wurden die geritzten, gezeichneten und bemalten Wände abgetragen, bis später das ganze Gebäude abgerissen und neu bebaut wurde.

Der Band fügt der legendären Fülle an Giacometti-Literatur einen gut lesbaren Zugang zu diesem Jahrhundertwerk hinzu. Bemerkenswert sind die über den Band verteilten Atelieraufnahmen von Brassaï, Ernst Scheidegger, Emile Savitry, Dora Maar, Robert Doisneau und Elie Lotar – die meisten oft reproduziert, aber selten in der Zusammenschau gezeigt.

Neben den bekannten Werkthemen, die Giacometti-Kennern und -Liebhabern hinlänglich bekannt sind und denen Peppiatt nicht eigentlich Neues hinzuzufügen hat, lebt die Publikation von der Rückführung des Giacometti-Mythos auf die zeitgenössisch-irdische Ebene, die dem persönlichen Blickwinkel Michael Peppiatts entspringt.

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