Ausstellungsbesprechungen

Abschied von Ikarus. Bildwelten in der DDR – neu gesehen, Neues Museum Weimar, bis 3. Februar 2013

Staatskitsch oder originelle Malerei? Die Kunst der DDR ist bis heute umstritten. Mit der Rekonstruktion ihrer Entwicklung, den Entstehungs- und Wirkungszusammenhängen will die Weimarer Ausstellung den 1990 entbrannten deutsch-deutschen Bilderstreit endgültig schlichten. Rowena Fuß ist durch die Schau geschlendert.

»Es gibt keine Künstler in der DDR, alle sind weggegangen«, behauptete Georg Baselitz 1990, der einer von ihnen war. Nach einem Verweis wegen "gesellschaftlicher Unreife" an der Hochschule für bildende Künste in Berlin-Weißensee verließ er 1958 Ost-Berlin und zog in den Westen der Stadt. Mit seiner Bemerkung eröffnete er nach der Wende den deutsch-deutschen Bilderstreit. Im Westen wird bis heute unter Kunsthistorikern bezweifelt, dass es unter autoritären Bedingungen Kunst habe geben können. Diese vertreten oft das Avantgarde-Ideal des 20. Jahrhunderts, wonach Kunst autonom sein müsse.

Natürlich macht es das Leben eines Künstlers einfacher, wenn er sich ohne Sorgen entfalten kann. Doch wie verhält es sich, wenn das nicht möglich ist? Welche Möglichkeiten bleiben ihm? Tatsächlich nur die offiziell gewünschte Staatskunst? Die thematisch geordnete Schau stellt non-konforme und von der DDR-Obrigkeit abgesegnete Werke nebeneinander.

Es ist die Kunst eines zerbrochenen Ideals. Am Anfang stand die Utopie des Aufbruchs in eine neue Gesellschaft. »Blick auf Eisenhüttenstadt« (1955) von Bernhard Kretzschmar symbolisiert das Wunschbild einer industrialisierten, sozialistischen Gesellschaft: fröhliche, junge Menschen unter blauem Himmel in einer grünen Landschaft, eingerahmt von Neubauten rechts und Aufbruch symbolisierenden Kohlekraftwerken zur Linken.

Doch umgehend folgt die Ernüchterung: Im Bild »Freundlicher Besuch im Braunkohlerevier« (1974) von Wolfgang Mattheuer, das direkt daneben hängt, schreiten Arbeiter über die kein Leben mehr duldende Abraumfläche zu ihrem Einsatzort. Dazwischen kreuzen sie den Weg mit Gestalten, die bunte Schachteln statt Köpfe tragen. Es ist eine Anklage gegen Umweltzerstörung und bürokratische Realitätsschönung.

Auf 900 Quadratmetern geben 280 Gemälde, Grafiken, Fotografien, Skulpturen und Videos darüber Auskunft, wie Kunst in der DDR genutzt wurde, um auf ihre Art beim Aufbau des Staates zu helfen („Bitterfelder Weg“). Das präsentierte Filmmaterial aus Propagandafilmen und Beiträgen der Wochenschau macht beispielsweise sehr genau deutlich, was als „richtige“ und was als „falsche“ Kunst galt: Einfache, sorgfältig an der Realität studierte Motive und eine getreue Farbgebung sind gewünscht. An der Wand gegenüber hängen dazu Bilder eines dreifachen Aktivisten in Lederschürze, eines Maurerlehrlings und einer Bauerndelegation bei der ersten sozialistischen Künstlerbrigade. Gemalt sind sie in gedeckten Farben, wobei Braun- und Weißtöne dominieren. Sie wirken sehr biedermeierlich, obwohl im Film der Realist Adolph Menzel (1815-1905) als schulendes Vorbild für derlei Motive empfohlen wird. Abstraktion oder wirklichkeitsfremde Farben sind dagegen verpönt. Ein zweites Video über die Ausmalung eines Arbeiterspeisesaals in einer Fabrik dient dazu, die Künstler auf die Zukunft und die Arbeit im Kollektiv einzuschwören.

Im Obergeschoss führt uns der Parcours durch die künstlerische Bearbeitung technokratischer Utopien, den sozialistischen Alltag, vorbei an dramatischen Geschichtsbildern von Krieg und Terror hin zu Ausbruch und Zerfall. Die Figur des Ikarus dient als Schlüsselmotiv, denn sie vereinigt wie keine andere Figur die Widersprüche der Moderne und die Tragik einer gescheiterten Utopie. Wolfgang Mattheuer etwa lässt Ikarus abstürzen. Im Gegensatz dazu spiegelt sich der Hochmut der ikarischen Unternehmung in Bernhard Heisigs »Der Tod des Ikarus« im Turmbau zu Babel. Punk-Musik im nachfolgenden Eckkabinett dient als Abgesang an die Deutsche Demokratische Republik.

Das Schlussbild der Schau ist das 1983 von Trak Wendisch gemalte Werk »Mann mit Koffer«: Mit hochgeschlagenem Mantelkragen entfernt er sich von der in nächtliches schwarz gehüllten Stadt. Ja, es haben einige Künstler die DDR verlassen, aber längst nicht alle. Überdies entstand nicht nur offiziell gewünschte und protegierte Kunst, sondern auch abweichende – eine eventuelle Obrigkeitskritik musste jedoch hier wie da möglichst gut verpackt werden, um nicht der Zensur anheimzufallen. Vielleicht ist es mit dem vom Bund gefördertem Verbundprojekt »Bildatlas: Kunst in der DDR«, an dem mehrere Forschungseinrichtungen beteiligt sind, möglich, bald Vorurteile zu reklamieren. Die mit der Weimarer Ausstellung geleistete Aufklärungsarbeit ist jedenfalls ein Schritt in die richtige Richtung.

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