Eine große, außergewöhnlich vielseitige und anregende Schau lässt sich in diesen Tagen in Schwerin bewundern. Fast zweihundert Kunstwerke und Artefakte werden präsentiert, die ganz oder teilweise aus Perlmutt, Perlen oder den Schalen von Schnecken oder Muscheln gefertigt wurden. Stefan Diebitz hat sich die Ausstellung angesehen.
Schon rein atmosphärisch zeigt sich Schwerin als eine ganz andere Stadt als Wismar, Rostock oder Lübeck, denn sie ist viel weniger vom Bürgertum und gar nicht von der Seefahrt geprägt. Über Jahrhunderte war Schwerin die Residenz der mecklenburgischen Herzöge, und so ist es nicht die dunkle Backsteingotik, die das Stadtbild prägt, sondern die prächtige Architektur des 18. Jahrhunderts wie der Marstall am Ufer des Schweriner Sees. Und es ist auch nicht die sakrale Kunst, die im Mittelpunkt der Sammlungen steht, sondern es sind die alten Holländer, welche bei Hofe gesammelt wurden. Zusätzlich profitiert das Museum von dem Inventar der herzoglichen Kunst- und Wunderkammern, die allerdings nicht oft vorgestellt werden. Jetzt endlich ist wieder einmal die Gelegenheit gekommen, selten Gezeigtes aus den Magazinen hervorzuholen.
In seinem Vorwort für den sonst ganz allein von Karin Annette Möller verfassten Katalog stellt Dirk Blübaum die Kunst- und Wunderkammern als einen Aspekt der Selbstinszenierung der Herrscher dar. Zusammen mit den Marstallgebäuden, die den militärischen Teil der Regierung präsentierten, bildeten sie das Selbstverständnis eines Herschers ab, der sich ebenso um Wissenschaft und Kunst wie um Verwaltung und Sicherheit kümmerte. Die Wunderkammern waren keine Kuriositätenkabinette, fassten also nicht einfach nur Absonderlichkeiten zusammen, sondern spiegelten die beginnende Erforschung der Welt. In ihnen war die Natur »das Grundelement, das erst durch menschliche Hand und Geist ihre Vervollkommnung fand«. Im Katalog sind unter anderem mehrere architektonische Entwürfe für die Kabinette abgebildet, so dass wir über Aufbewahrung und Ordnung des Bestandes ziemlich genau orientiert sind.
Es versteht sich eigentlich von selbst, dass eine derartige Ausstellung einerseits unmöglich vollständig sein kann, andererseits außerordentlich bunt und vielseitig sein muss. Wenn man von dem Material absieht, aus dem alle Artefakte gearbeitet sind, so gibt es kaum einen roten Faden, sondern die Spannweite ist extrem; so werden unter der Überschrift »Kostbarkeiten für Liturgie und Repräsentation« auf der linken Katalogseite zwei Waffen mit kostbaren Einlegearbeiten gezeigt, wogegen auf der rechten Seite ein Christkind aus dem Rostocker Kloster zum Heiligen Kreuz steht.
Weil die Ausstellung vor allem von der Sammlung der Herzöge profitiert, sind zahlreiche Stücke auch höfischen Ursprungs: Pokale, Ess - oder Trinkgeschirr (darunter ein fantastisches in Gestalt eines vergoldeten Elefanten), Schmuck, kostbare Möbel mit wunderbar feinen Intarsien – alles das demonstriert den Reichtum eines absolutistischen Fürsten in einer armen und abgelegenen Provinz. Wunderbar ist der Aufsatz eines Prunksekretärs von 1721 mit allegorischen Darstellungen, und ein besonderes Prachstück ist auch die vergleichsweise blasse Zeichnung einer Pyramide aus dem 18. Jahrhundert, die man wohl auch gern selbst gesehen hätte, aber leider verschollen ist. So muss man sich mit der Zeichnung des Kunstwerks zufriedengeben.
Höfisch sind natürlich auch Tapisserien, kleine Porzellanfiguren oder eine Reihe sehr prächtiger Faltfächer. Der Titel der Ausstellung ist auch gleichzeitig das Leitmotiv, denn es ist wirklich ein Schimmern, kein Leuchten oder Glitzern, das den Betrachter in den Bann schlägt. In allen Fällen findet sich das Thema der Ausstellung als Material, aber gelegentlich sind die betreffenden Gegenstände auch in ihrer Funktion gespiegelt und in ihrer sozialen Bedeutung auf Gemälden oder Stichen dargestellt. Manche Zeichnungen sind eher der Naturforschung zugeordnet, und natürlich finden sich etliche Stillleben, besonders mit Muscheln und meist aus dem 18. Jahrhundert. In einem Fall übernimmt die Schale eines Nautilus die Funktion des Totenkopfes als Momento mori und veranschaulicht die Vergänglichkeit alles Irdischen.
Die ästhetische Bedeutung der Konchylien (Weichtierschalen) war auch noch im 20. Jahrhundert unvergessen. Überragend die »Kunstformen der Natur« Ernst Haeckels, der ein etwas platter Denker gewesen sein mag, aber doch offensichtlich über ein erstaunliches künstlerisches Talent verfügte; ein Band seines berühmten Buches mit den wunderbaren Zeichnungen findet sich ebenso in der Ausstellung wie schöne Schwarzweißfotos von Alfred Ehrhardt, der die teils sehr kleinen Schalen gekonnt ins rechte Licht setzte. Man weiß nicht recht, ob man hier dem Foto oder der Zeichnung den Vorzug geben soll.
Mit einem Acrylbild Sigmar Polkes, das einen Nautiluspokal zeigt und 1988 entstanden ist, erreicht die Ausstellung auch die Kunst der Gegenwart. Wahrscheinlich hat der Künstler die Abbildung eines solchen Pokals auf eine Leinwand projiziert, um sie dort zu fixieren.
Der gebundene, sehr hochwertige Katalog wird der großartigen Ausstellung mit seinen sorgfältigen Beschreibungen und kurzen erläuternden Essays zu Perlen oder Konchylien in allen seinen Teilen gerecht. Karin Annette Möller hat als Autorin und Kuratorin eine erstaunliche Leistung vollbracht.