Buchrezensionen

Peter Williams u.a.: Ernst Haeckel. Art Forms from the Abyss. Images from the HMS Challenger Expedition, Prestel 2015

Dass Wissenschaft und Kunst sich nicht ausschließen, das mag inzwischen leidlich bekannt sein. Dass Ernst Haeckels »Kunstformen der Natur« genau in diesen trüben Gewässern fischen, ebenso. Dass einige davon aber selbst aus trüben und vor allem tiefen Gewässern stammen, das wird manchmal vergessen. Genau das will ein Projekt der Bangor University ändern und hat kürzlich Haeckels Studien zu Quallen und Mikroorganismen in Buchform veröffentlich. Stefanie Handke hat darin geblättert.

Zuweilen staunt man, wenn ein NASA- oder ESA-Teleskop oder Satellit einmal mehr Bilder zur Erde sendet, in denen sich um glitzernde Sternen atemberaubend surreale Formationen gruppieren, die dank der bildtechnischen Nachbearbeitung auch noch in herrlichen Farben daherkommen. Nicht umsonst ist ein Lesezeichen-Platz in meinem Browser für die NASA reserviert. Ähnlich zauberische Bilder kann man aber auch im Kleinen entdecken: Die Mikrofotografie zeigt uns mindestens ebenso wunderbare Bilder von Bakterien und Mikroorganismen, von Kristallstrukturen und einigem mehr. Wenn man diese hochauflösenden Bilder betrachtet, denkt man kaum daran, dass im 19. Jahrhundert bereits ähnlich magische Kunst veröffentlicht wurde – von Ernst Haeckel!

Der ist vor allem für seine beeindruckenden wissenschaftlichen Illustrationen bekannt, seine »Kunstformen der Natur« sind ein Klassiker an der Grenze zwischen Kunst und Wissenschaft. Weit weniger bekannt sind die jetzt veröffentlichten »Art Forms from the Abyss«, ja, sie standen gar fast davor, vergessen zu werden und in den Archiven unbeachtet zu verstauben. Zum Glück aber haben sich einige Forscher der Bangor University ihrer angenommen und mit einem kleinen Kommentar neu veröffentlicht.

Der eigentlichen Bildersammlung sind ein Vorwort von Martin Kemp sowie ein kleiner informativer Essay von Werner Herzog vorangestellt. Darin erfahren wir über die Diskussionen des 19. Jahrhunderts, die sich eben nicht nur um die Arten drehten, sondern auch um Klein- und Kleinstlebewesen. Diese konnte man nämlich bereits in Mikroskopen beobachten und schon im 1676 hatte man entdeckt, dass ein Tropfen Wasser zahlreiche Mikroorganismen birgt. So gibt uns Herzog eine kleine Geschichte der Auseinandersetzung mit diesen wundersamen Kleinstlebewesen, vor allem aber mit dem Plankton und erläutert ganz nebenbei einige elementare Fakten.

Welche Rolle spielen da aber nun Haeckel und die HMS Challenger? Die Expedition der Challenger von 1872-76 war die zweite von der Royal Society ausgerichtete Expedition, die sich dem Meeresboden widmete in einer Zeit, da das Interesse für die Tiefsee und ihre biologische, chemischen und physikalischen groß wurde. Auch die Suche nach dem berühmtem »Missing Link« spielte bei diesen Expeditionen eine Rolle. Haeckel dagegen hatte bereits 1859 sein Interesse an den Strahlentierchen entdeckt und fand in ihnen seine Inspiration zur Auseinandersetzung mit der Morphologie des Lebens. An der Challenger-Expedition selbst nahm er zwar nicht teil, wurde aber eingeladen, die gesammelten Proben zu begutachten und darüber zu berichten. Insgesamt entstanden genau 222 Bildtafeln, die in verschiedenen Forschungsberichten veröffentlicht wurden.

Haeckels Stellung als Zoologe hinderte ihn, der als junger Mann auch mit dem Gedanken gespielt hatte Maler zu werden, nicht daran seinen biologischen Zeichnungen eine künstlerische Note zu geben. Betrachtet man seine Zeichnungen, fällt seine Faszination für die Gleichmäßigkeit verschiedener Formen auf und ein damit verbundener Hang zur Idealisierung. Sein Werk beweist eindrucksvoll, dass die Biologie des 19. Jahrhunderts stark von der geistigen Haltung der Wissenschaftler abhängig war, neigte Haeckel doch manchmal zu einer gewissen Romantik. Seine taxonomischen Studien wie Illustrationen sind zugleich genau und liebevoll gezeichnet. Auch seine Illustratoren in Jena, Eduard und Adolf Giltsch trugen mit ihrer Kunstfertigkeit in Sachen Lithografie zum sicherlich zum Erfolg seiner Werke bei. Nichtsdestotrotz war er vor allem Wissenschaftler und sein Ziel war die Wiedergabe der Natur – ein Ziel, das er dank seiner außerordentlichen Beobachtungsgabe und seinem geschulten Auge erreichte.

Die »Art Forms from the Abyss« nun enthalten Bildtafeln aus dreien der Monographien, die aus dem Studium der Challenger-Proben entstanden: den »Staatsquallen« (Siphonophoren), den Medusen sowie den Strahlentierchen (Radolarien). Jedem Kapitel ist dabei eine Kurzinformation zur jeweiligen Gruppe vorangestellt. Bei den eigentlichen Bildtafeln handelt es sich jeweils um eine bestimmte Art, die mit wissenschaftlicher Bezeichnung, dem von den Wissenschaftlern der HMS Challenger angegebenen Fundort sowie einer Größenangabe versehen ist. Darunter finden sich in schwarz-weiß gehaltene, aber auch kolorierte Abbildungen. Haeckel konzentrierte sich nicht nur auf das äußere Erscheinungsbild seiner Vorlagen; er schuf auch Querschnitt- und Detailbilder der »Quallen« (im Übrigen eher ein umgangssprachlicher Begriff denn eine taxonomische Einheit). Bei den Strahlentierchen widmete er sich auch den inneren »Organen« dieser winzigen Lebewesen und füllte die Blätter mit surreal anmutenden Formen. Sie beeindrucken besonders und scheinen manchmal eher einem Science Fiction-Film entsprungen denn der Untersuchung eines Biologen. Hier finden sich skelettartige Konstruktionen und komplexe Sphären mit einem Kern, einer filigranen Umhüllung und langen strahlenförmigen Auswüchsen (z.B. die Liosphaeridae). Doch auch Haeckels Siphonophoren und Medusen können sich sehen lassen mit ihren filigranen Fangarmen, den komplexen Formen und beeindruckenden Kolorierungen.

Wer Haeckel liebt, kann mit »Art Forms from the Abyss« eigentlich nicht viel falsch machen, denn es bietet die erwarteten prächtigen Abbildern und einen kleinen Überblick über das philosophische und wissenschaftliche Umfeld des Zoologen. Ein wenig schade ist die Entscheidung für eine Paperback-Ausgabe, jedoch entschädigt der kleine Preis für das große Format durchaus und wird wohl auch den Ausschlag gegeben haben, denn hier hält man ein erschwingliches und schönes Geschenk in Händen. Wer sich am Paperback nicht stört, wird viel Freude beim Blättern und Betrachten der wundersamen Formen aus dem Abgrund, aber auch beim Nachschlagen der abgebildeten Arten haben. Obendrein bietet das Projekt auf seiner Website unter haeckel.bangor.ac.uk noch weitere Tafeln weitere Abbildungen an, ausdrücklich auch zum Download. Den Autoren und Herausgebern ist damit eine gekonnte Verknüpfung von Buch und digitalem Medium gelungen, die hoffentlich das erklärte Ziel, die unbekannteren Werke Haeckels vor dem Vergessen zu bewahren, erreicht.

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