Rezensionen

Shift KI und eine zukünftige Gemeinschaft Katalog zu Ausstellungen im Kunstmuseum Stuttgart und im Marta Herford 2023

Der Titel des mit zahlreichen farbigen Abbildungen ausgestatteten Kataloges macht es deutlich: Shift – es geht um einen Wechsel, eine Verschiebung in eine völlig neue Richtung, die uns in unserem Menschsein empfindlich berührt. Das vom Kunstmuseum Stuttgart und dem Museum Marta Herford entwickelte Ausstellungsprojekt beschäftigt sich mit künstlerischen Perspektiven auf die Künstliche Intelligenz (KI). Als Schlüsseltechnologie des 21. Jahrhunderts ist KI längst in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Mit ihr verbinden sich sowohl Hoffnungen als auch Bedenken. Melanie Obraz hat die vielschichtigen Aspekte des begleitenden Kataloges interessiert aufgenommen.

© Courtesy die Künstlerin, Andrew Kreps Gallery, New York und Esther Schipper, Berlin; © VG Bild-Kunst, Bonn 2023; Foto: K21, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf, Achim Kukulies
© Courtesy die Künstlerin, Andrew Kreps Gallery, New York und Esther Schipper, Berlin; © VG Bild-Kunst, Bonn 2023; Foto: K21, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf, Achim Kukulies

Ein gesellschaftlicher Wandel scheint erneut unmittelbar bevorzustehen, hat vielleicht schon stattgefunden. Internet, Social Media etc. sind dabei Marken, die schon der Vergangenheit angehören. Mit dem Schlagwort „Künstliche Intelligenz“ (KI) ergeben sich völlig neue Formen der Kooperation und jene stimmen den denkenden Menschen nicht unbedingt zuversichtlich. Andere als biologische, eben rein technische Formen des Seins sind hier das Thema. Auch aus diesem Grunde weist der Katalog auf die interdisziplinäre Linie zwischen Natur-, Geisteswissenschaft und Kunst hin. Darin offenbaren sich dann auch weitreichende Möglichkeiten, die die menschliche Urteilsfähigkeit überfordern (können). Allerdings machen die der Kunst zur Verfügung stehenden Optionen, jene brisanten Zusammenhänge anschaulich.

Dabei stellt der Katalog klar heraus: Künstliche Intelligenz kann uns nicht die Aufgabe abnehmen, welche Art Entscheidungen wir delegieren wollen und ob diese vorteilhaft für die Gesellschaft sind. Die technische Unabhängigkeit der Systeme ist vorhanden und zeigt eine „Selbstorganisation unter Prinzipien, die vorher festgelegt wurden“. Der irritierende Aspekt verdeutlicht sich daran, da KI eine Maschine ist, die Regeln befolgt, Anweisungen ausführt, „sich aber nicht in einem moralisch-normativen Sinne zu diesen Regeln“ verhält. Der Mensch kann also das Innere der Maschine nicht als emotionales Wesen erkennen. Die entscheidende Frage lautet daher, wie KI-Systeme jemals den von Menschen bestimmten und erfühlten moralischen Bereich berühren können. Darin besteht die scheinbar unüberwindbare Kluft, die im Besonderen durch die Exponate der Kunst zum Ausdruck gelangen.

© VG Bild-Kunst, Bonn 2023; Foto: HeK Basel, Gina Folly
© VG Bild-Kunst, Bonn 2023; Foto: HeK Basel, Gina Folly

Die Werke der Ausstellung bringen die Frage aufs Tableau: Wird uns etwas vorgegaukelt was der menschlichen Art zuwiderläuft und also seelenlos ist? Wie können wir überhaupt Antworten und Lösungen von einem System erwarten, welches nicht menschlich ist, obwohl von Menschen programmiert und initiiert? Sehr interessant ist in diesem Zusammenhang ein Kunstvideo, in welchem ein Polizei-Avatar auf die Suche nach Leonardo da Vincis „Salvator Mundi“ geschickt wird. Eine Anspielung darauf, dass eine Maschine zu Dienst ist, um Göttliches zu finden?
Obwohl KI von Menschen programmiert wird, lernt das System, wie es die ihr einprogrammierte Aufgabe ausführt. Vor allem ist bemerkenswert, dass KI weitaus mächtiger ist als regelbasierte Systeme, da sie – wenn auch noch begrenzt – imstande ist, auf bisher unbekannte Situationen zu reagieren und aus Erfahrung zu lernen.

Exponate der bildenden Künste, die von der Hand eines Menschen erschaffen und als Medium (Gemälde etc.) der Kommunikation zur Verfügung stehen, werden bereits von KI tangiert. Darüber hinaus hat sich auch eine Roboterliteratur herausgearbeitet. Sind die Betrachter:innen, Leser:innen enttäuscht, wenn sie erfahren, dass die Schöpfung des Werkes nicht von einem Menschen ausging, sondern lediglich eine Maschine/KI tätig war? Sind die Rezipienten:innen dann noch bereit in den Dialog mit dem Kunstwerk einzusteigen oder wird ein solcher sogleich abgelehnt? Kommt es also grundsätzlich darauf an, dass wir mit einem Menschen kommunizieren?
Wichtig dabei ist der Bereich. Wissenschaftliche Erkenntnisse wären heute ohne Technik und ohne Hilfe der KI nur äußerst schwierig (teilweise auch nicht) zu erreichen. Als Helferin mag KI also durchaus begehrt sein, doch als Ersatz für ein Gegenüber in einem Bereich wie der Kunst oder überhaupt als Ersatz für einen Menschen, darüber gehen die Ansichten weit auseinander und dies obwohl der Golem ,Frankensteins Monster` oder Roboter, die als menschengemachte Kreaturen schon Bestandteil unserer Welt sind.

© VG Bild-Kunst, Bonn 2023; Foto: kennedy+swan
© VG Bild-Kunst, Bonn 2023; Foto: kennedy+swan

Das spezifische Fluidum des Kunstwerks und seines Entstehungsprozesses im Zusammenspiel mit geistesgeschichtlichen Zusammenhängen kann KI so nicht herstellen – noch nicht. Die Frage ist, ob KI kreativ sein kann, und zwar kreativ im menschlichen Sinne. Detailliert stellt sich der Katalog dieser bestimmten These und zeigt die damit einher gehenden Ängste. Kreativität erschöpft sich aber nicht darin, bereits Bestehendes neu, in neuem Gewand, zusammen zu mixen, sondern innovativ etwas völlig Neues zu begreifen und einen Neuanfang zu wagen. Künstler wie Beuys, Giacometti, Gorki, Duchamp, Picasso und viele andere entwickelten neuartige Weisen des Sehens und verarbeiteten diese in ihren Werken. KI sucht vielleicht eher nach logischen Anknüpfungspunkten und nicht nach dem Ersehnen neuartiger Gegebenheiten, die ohne Muster auf uns kommen. Das Mythologische und Heilige des Kunstwerks, die Überraschung und das völlig Unvorhersehbare ist der KI nicht eigen. Könnte eine von Robotern gestaltete Kunst überhaupt Kunst sein, wäre sie ethisch vertretbar oder müsste ein neuer Name dafür gefunden werden?

Gebietet allein ein vermeintlicher Respekt vor dem Wesen Mensch, dass Maschinen/Roboter/KIs jenes sensible Begabt-Sein des Menschlichen nicht ersetzen dürfen? Warum? Weil KI es nicht kann und nie können wird? Dies berührt eine weitere Frage: Soll oder muss den beteiligten Personen bewusst sein, dass es sich um Kunst infolge künstlicher Intelligenz handelt? Wie steht es um den Fall, dass Kunstbetrachter:innen, die nicht ahnen mit KI konfrontiert zu werden, völlig ahnungslos darauf reagieren und so einer Täuschung unterliegen? Die Frage: Schämen sich Besucher:innen einer Kunstausstellung, wenn ihnen im Nachhinein klar wird, dass sie Exponaten ihre Wertschätzung schenkten, die ausschließlich von KI erschaffen wurden und die sogenannten „Kunst“-gegenstände von keiner menschlichen Koryphäe herzuleiten ist. Muss dann die gesamte Rezeptionsgeschichte aus veränderter Perspektive beleuchtet werden? Von solchen Exponaten wird keine Erwartung oder wenn doch dann eine völlig neuartige an die Rezeptienten:innen gestellt. Wird dadurch dem Publikum ein Genuss oder eine Erkenntnis geschenkt und wenn ja, in welchem Verhältnis lässt sich ein solcher Kunstgenuss auf den Roboter als Urheber beziehen? Darf man sagen, Hauptsache es komme überhaupt zu einem Genuss und einer daraus resultierenden Erkenntnis? Das vom Wienand Verlag erschienene Buch wirft Fragen über Fragen auf, denen wir uns in Zukunft stellen müssen.

© VG Bild-Kunst, Bonn 2023; Foto: Christoph Faulhaber
© VG Bild-Kunst, Bonn 2023; Foto: Christoph Faulhaber

Versierte Interviews und Kommentare der Kuratoren:innen und Kunstwissenschaftler:innen geben den Lesern:innen mehr als nur einen Einblick in die problematische Diskussion, verdeutlichen sie doch die Wichtigkeit für jeden, sich mit diesen, die Menschheit elementar betreffenden Neuerungen unbedingt auseinanderzusetzen, um eine für uns vorteilhafte Lösung zu finden.

Titel: Shift KI und eine zukünftige Gemeinschaft (Katalog zu Ausstellungen im Kunstmuseum Stuttgart und im Marta Herford 2023)
Autor:innen: Clemens Apprich, Rosi Braidotti, Jessica E. Edwards, Friederike Fast, Christoph Faulhaber, Eva-Marina Froitzheim, Alina Grehl, Ulrike Groos, N. Katherine Hayles, Hans-Dieter Huber, Elizabeth E. Joh, Andreas Kaminski, Ann Kristin Kreisel, Anika Meier, Luciana Parisi, Kathleen Rahn
144 Seiten mit 52 farbigen und 1 s/w Abb.
Verlag: Wienand 2023
ISBN 978-3-86832-740-3

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