Ausstellungsbesprechungen

Sitzen – Liegen – Schaukeln. Möbel von Thonet, Grassi Museum für Angewandte Kunst Leipzig, bis 14. September 2014

Sitzen, liegen, wippen, kippeln, balancieren, drehen: so ein Stuhl ist vielgestaltig und vielfach gestaltbar. Einen Überblick über bahnbrechende gestalterische Kühnheit und handwerkliche Perfektion im Hause Thonet präsentiert nun das Leipziger Grassi Museum. Rowena Fuß war vor Ort.

Im Vergleich zur Menschheitsgeschichte nimmt die Erfindung des Sitzmöbels einen erstaunlich kurzen Zeitraum ein. Und da reden wir noch von Hockern. Das uns bekannte Modell des vierbeinigen Stuhles mit Sitzfläche und Rückenlehne entwickelte sich erst als Kaiser, Könige und Kirchenfürsten den Thron zum Symbol ihrer Herrschaft machten. So gesehen hat die weitere Entwicklung dieses royalen Hinternparkplatzes hin zum täglich viel genutzten, bürgerlichen Gebrauchsgegenstandes auch etwas Herabwürdigendes. Dennoch oder gerade deswegen ist der Nimbus um Thonet-Möbel etwas Besonderes. Natürlich könnte man sagen: Das sind doch bloß Möbel. Aber das wäre nur die halbe Wahrheit. Gestern wie heute steht Thonet für geradliniges und durchdachtes Design sowie gute Qualität der Materialien und Ausführung. Daher sind Thonet-Stühle auch nicht nur Gebrauchsgegenstände, sondern Inspirationsquellen.

Der Stuhl aller Stühle ist der Kaffeehausstuhl Nr. 14: Vier leicht nach außen gebogene schlanke Beine, eine runde Sitzfläche und eine offene, gebogene Lehne kennzeichnen den Klassiker. Lediglich sechs Teile plus Schrauben werden benötigt, um Nr. 14 zusammenzubauen. Bis heute gilt er als der traditionelle Stuhl für Wiener Kaffeehäuser und ist das meistproduzierte Sitzmöbel der Welt. Bis 1930 wurde er bereits 50 Millionen Mal verkauft.

Der Tischlermeister Michael Thonet (1796-1871) hatte um die Mitte des 19. Jahrhunderts nach Techniken gesucht, schöne, haltbare und bezahlbare Möbel in großer Serie herstellen zu können. Um 1830 beginnt er mit dem Biegen von geschnittenen und miteinander verleimten Holzlatten zu experimentieren, es entstehen die sogenannten Bopparder Schichtholzstühle. 1849 entsteht für das Gartenpalais des Fürsten Schwarzenberg in Wien der »Sessel Nr. 1«. Er ist Bestandteil einer revolutionären und neuartigen Stuhlbauweise. Nicht nur, dass er aus Bugholz gefertigt ist, seine Einzelteile sind Fertigteile, die im Baukastenprinzip auch mit Teilen anderer Modelle kombiniert werden können. So spiegelt sich im Werk Thonets auch der Übergang vom Handwerk zur industriellen Massenproduktion im 19. Jahrhundert. 1859 gelingt ihm der endgültige Durchbruch mit dem berühmten Kaffeehausstuhl. Schraub- statt verleimte Zapfenverbindungen machen ihn haltbarer und robuster. Zudem war es nun möglich, die Stühle zerlegt im großen Stil zu versenden und erst am Bestimmungsort zu montieren. Bis heute messen sich die zahlreichen Nachfolger des Modells am Original.

Rund 130 Stücke geben in der Leipziger Ausstellung einen Überblick über die  Sitzmöbelproduktion seit dem Zweiten Weltkrieg. Das Spektrum reicht dabei vom einfachen Küchenstuhl, Bürodrehstuhl, Freischwinger, Clubsessel und Schaukelstühlen bis hin zu medizinischen Liegen, Sitzgelegenheiten für den Garten und Kindermöbeln. Doch geht es nicht nur um ein Portfolio des Unternehmens, sondern darum, Entwicklungsstränge aufzuzeigen. Daher sind die Möbel nicht chronologisch geordnet.

Holz – Stahlrohr – Plastik, das sind die wesentlichen Materialien und Gemarkungen. Mit dem ab 1930 produzierten freischwingenden Kragstuhl nahm sich das Unternehmen nicht nur des Stahlrohrs an. Dank seines Rufes als Produzent von preiswerten, qualitativ hochwertigen Möbeln ebnete Thonet den Entwürfen von Mart Stam, Ludwig Mies van der Rohe und Marcel Breuer den Weg. Es sind nur ein paar Namen auf der Liste hochkarätiger Designer, die Thonet im Laufe der fast 200-jährigen Firmengeschichte beschäftigte. Die illustre Gesellschaft zeigt sich im hinteren Teil des Ausstellungsraumes. Hier findet sich in der Reihe mit Bürostühlen auch das Exemplar einer Arztzimmerbestuhlung Le Corbusiers. Rotes, leicht zerschlissenes Leder polstert auf der halbhohen Lehne und der Sitzfläche der Stahlrohrkonstruktion den Rücken und Podex des Sitzenden. Es ist selbst heute nicht genau zu fassen, was einen an diesem Stück abstößt. Vielleicht sind es die damit verbundenen negativen Gedanken an Untersuchungsräume und Krankenhäuser. Fest steht, dass der Entwurf auch damals nicht ankam, wie der kurze Informationstext unterhalb des Stuhls zu berichten weiß.

Nichtsdestotrotz überzeugen die anderen Vettern und Kollegen. Sie sind um leuchtende Tischquader verteilt und werfen lustige Schatten in den Raum. Wie es sich denn sitzt, darf auch probiert werden. Speziell gekennzeichnete Thonet-Stühle aus neueren Kollektionen stehen dafür bereit. Summa summarum: Ein Muss für alle Thonet-Fans und die, die es werden möchten!

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