Buchrezensionen

Stephan Elbern: Nero. Kaiser – Künstler – Antichrist, Zabern 2010

Weshalb, so fragt der Historiker Stephan Elbern einleitend in seiner neuen Publikation, "ist Nero auch nach nahezu zwei Jahrtausenden noch unvergessen – anders als zahlreiche durchaus bedeutendere Herrscher der Antike?" Er weiß darauf eine treffende Antwort zu geben: Es ist die Faszination des Bösen, die von dieser eigenwilligen Herrscherfigur ausgeht. Ulrike Schuster hat sich das Buch für Sie angesehen.

Stephan Elbern © Cover Zabern 2010
Stephan Elbern © Cover Zabern 2010

Lang ist das Register der Schandtaten, das die Geschichte Kaiser Nero zugeschrieben hat: Muttermörder und blutiger Tyrann, dekadenter Lüstling und Inbegriff des altrömischen Cäsarenwahns, angeblicher Brandstifter Roms und – was über viele Jahrhunderte lang am schwersten gegen ihn wog – Initiator der ersten Christenverfolgung. Zu alledem fügt sich in einem bizarren Kontrast das Bild des kaiserlichen Dilettanten, der als großer Künstler in die Geschichte eingehen wollte und dafür den beißenden Spott der Nachwelt erntete.

Wie viel davon entspricht nun tatsächlich der Wahrheit, was ist den bösen Gerüchten seiner zahlreichen Gegner geschuldet? In der jüngeren Vergangenheit haben einige Historiker die Rehabilitierung Neros gefordert und versucht, ihn zum Opfer einer großangelegten Verleumdung zu erklären. Elbern nimmt dagegen eine differenzierte Haltung ein: Einerseits darf man zu Recht Entstellungen und Übertreibungen im traditionellen Bild des Kaisers vermuten. Andererseits konstatiert er in seinem Handeln schwere politische Fehler, wodurch er sich am Ende selbst zu Fall gebracht hätte: Just als es darauf angekommen wäre, seine Fähigkeiten als Herrscher unter Beweis zu stellen, versagte er kläglich.

Als Ursache diagnostiziert Elbern bei Nero einen schleichenden Realitätsverlust. Zwar sei das Imperium unter seiner Regentschaft nicht schlecht verwaltet gewesen, zumal er über einen fähigen Mitarbeiterstab verfügte, der Kaiser hätte jedoch zunehmend das gute Verhältnis zum Senat vernachlässigt, den römischen Adel durch seine extravaganten Auftritte vor den Kopf gestoßen und sich immer exzessiver in eine Scheinwelt geflüchtet, wo er seine Phantasien als Künstler auszuleben konnte – darin Ludwig II. von Bayern nicht ganz unähnlich.

Elberns Essay über Biographie und Interpretationsgeschichte Neros liest sich eben so informativ wie kurzweilig. Kompakt und flüssig im Vortrag, nur manchmal fast etwas atemlos – man ahnt, dass der Autor noch über ein ungleich größeres Hintergrundwissen verfügt, das der gebotenen Kürze wegen außen vor bleiben muss. Wertvolle Zusatzinformationen erhält man auch durch die kleinen Fenster am Textrand, wo spezifische Fachtermini erläutert werden.

Äußerst gelungen ist die Bildauswahl, die Nero im Spiegel der Jahrhunderte zeigt: zeitgenössische Darstellungen, darunter sogar eine Karikatur. Mittelalterliche Buchmalereien, die ihn als „Antichrist“ oder einfach nur als das Sinnbild des schlechten Herrschers zeigen. Opulente Historienbilder, laszive Monumentalschinken aus dem 19. Jahrhunderts und nicht zuletzt – der große Sir Peter Ustinov in der Rolle seines Lebens. Mögen sowohl Film als auch Buchvorlage zu „Quo vadis“ unhistorisch sein, er verkörpert für uns bis heute den Nero schlechthin.

Doch wer oder was steckt wirklich dahinter? Die historische Person Neros lässt sich aus den überkommenen Quellen nur mehr bruchstückhaft rekonstruieren, zu sehr ist sie von Bildern und Klischees überlagert. Darunter mischen sich durchaus überraschende Facetten. So galt der für seine Verschwendungssucht verteufelte Kaiser im einfachen Volk durchaus als populär, da er es reichlich mit panem et circenses versorgte. Nach seinem Ende genoss er im Osten des Reiches sogar posthume Verehrung – Gerüchte sprachen von seiner wunderbaren Rettung und seiner baldigen Wiederkehr (was damals auch prompt einige falsche Neros auf den Plan rief).

Dennoch verwehrt sich Elbern gegen die in letzter Zeit in Mode gekommene, „revisionistische“ Sichtweise, die gleichfalls auf einer fragwürdigen Basis agiert. Letzten Endes sind die Legenden um Nero, spätere Interpretationen und Vereinnahmungen für eigennützige politische Zwecke ebenso Teile der Geschichte. Elberns Buch zeigt – entgegen der Ankündigung im Klappentext – kein grundsätzlich neues Bild Neros, jedoch eines, das der Vielschichtigkeit der schillernden Persönlichkeit gerecht wird und diese für den heutigen Leser in eine höchst fesselnde und gut fassbare Form bringt.

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