Die Oberfläche eines Kunstwerks ist die Handschrift seines Schöpfers. Wie individuell und fremd der künstlerische Umgang mit dem Material sein kann, zeigt die Ausstellung »Surface« mit Arbeiten aus Asien und Europa. Günter Baumann war von Anfang bis Ende begeistert.
Der Untertitel »Poesie des Materials« ist dankbar – und taucht deshalb in regelmäßigen Abständen immer wieder auf. Wer könnte sich ihm auch verschließen: Der Klang der Bilder lässt das Sensorium schon vorab aufmerken. Trotz der Abgelegenheit des Privatmuseums in Eberdingen-Nussdorf ist es mit Fug und Recht als internationale Größe bekannt, was der weltläufige Haupttitel der Ausstellung »Surface« im sogenannten »Kunst-Werk« der Sammlung Alison und Peter W. Klein – ganz im Trend der Zeit – beweist.
Auch wenn hier die Oberfläche thematisiert wird, die naturgemäß materialbestimmt ist, geht es keineswegs oberflächlich zu. Im Gegenteil: Die großzügig ausgerichtete Schau ist eine fulminant tiefschürfende Präsentation installativer und malerischer Arbeiten, die sich nicht nur durch ungewöhnliche Materialien hervortun, sondern auch durch die tatsächlich poetische, vielschichtige Stimmung begeistern. Im Raumgefüge spürt man rasch, dass die Ausstellungsmacher, allen voran Keumhwa Kim, eine besondere Schau auf die Oberfläche vorgegeben haben, die nirgends abgekupfert ist und bis in jeden Augen-Blick Überraschungen bietet.
Der Projektleitung sei Dank, dass der Koreaner Chun Kwang Young als Star der Ausstellung die sinnlich-poetische Messlatte ganz oben anlegt. In einer Mischung von filigraner Collagearbeit, malerischer Farbnuancen und objekthafter Reliefierung verliert sich der Betrachter im positivsten Sinn in einer Materialität, die für europäische Augen gänzlich ungewohnt ist: Chun umformt mithilfe antiquarischer, das heißt beschriebener Maulbeerbaumpapiere kleine geometrische Styroporkörper, unendlich viele Elemente, die er zu teils vollplastischen Gemälden aneinanderfügt. So abstrakt seine »Bastel«-Ergebnisse sind, so souverän spielt Chung mit der fallweise landschaftlichen Anmutung.
Gegen diese absolut innovative Oberflächengestaltung ist uns freilich die ausladende Materialvielfalt von Anselm Kiefer vielfach vertraut, der sicher das bekannteste Zugpferd der Ausstellung ist. Bleiobjekte, Fotografie, Trockenpflanzen, Gips, Ölfarbe, Schrift und anderes mehr kombiniert der Philosoph unter den Malern auf der Leinwand, um Geschichte und Mythos, Märchen und Allegorie in großformatigen Allegorien und sogar noch in vergleichsweise kleinen Sinn-Bildern nachzuspüren. Die Versuchung, die optischen Reize auch haptisch zu erfahren, ist groß – wie unterschiedlich sie auch bei Kiefer und bei Chung sein mag.
Es ist kein Zufall, wenn die literarischen und materialistischen Assoziationen in den Hauptpositionen einen philosophischen Anspruch erheben. Asiatische und deutsche Geistesgeschichte sind in den Werken der genannten Künstler integral gegenwärtig. Zwischen den Welten ist der Dritte im Bunde, Gotthard Graubner, zu verorten. Der Grandseigneur der Ausstellung ist einer der führenden Farbmagier aus der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Die bemalten Kissenbilder aus Synthetikwatte und die auf der Leinwandfläche entworfenen »Farbraumkörper« sind ohne die Ideen des fernöstlich-meditativen Nirwana und des westlichen Existenzialismus kaum zu denken. Liegen die plastisch-räumlichen Bezüge bei Chung und Kiefer auf der Hand, dominieren bei Graubner die Pigmente, die eine flirrende Tiefe suggerieren, die der räumlichen Wirkung der anderen in nichts nachstehen.
Die Ausstellungen im Hause Klein schaffen Spannung durch das Miteinander von renommierten, etablierten Positionen und jüngeren Künstlern. »Surface« umfasst auch noch vier Werkgruppen von Nicole Bianchet, Chiharu Shiota, Tabaimo und Monika Thiele. Die sind freilich auch keine Neulinge im Kunstalltag mehr. Empfohlen haben sie sich selbstredend durch den Oberflächenbezug: Die in Los Angeles geborene Wahlholländerin und -deutsche Nicole Bianchet erschafft ihre postromantischen Welten bevorzugt auf Sperrholzplatten. Am bekanntesten in der Viererrunde ist sicher Chiharu Shiota, deren Faden-Installationen man kaum mehr vergisst, wenn man sie einmal erlebt hat – denn unbeteiligt nimmt man diese bedrohlich wirkenden Szenerien nicht wahr. Ihre japanische Kollegin Tabaimo verwendet das handgeschöpfte, hochwertige Gampipapier, das nicht nur für Kalligraphien verwendet, sondern auch wegen seiner hautähnlichen Erscheinung als interessanter Malgrund geschätzt wird – gezeichnete Comicmotive und lithographierte Anatomiedarstellungen konfrontiert die Künstlerin mit der dadurch geförderten, tattoo-artigen Anmutung. Monika Thiele schließlich, die im deutschen Südwesten sehr geschätzt ist, präsentiert Malerei, die allerdings nicht mit dem Pinsel erstellt wurde, sondern als ein eigenwilliges Fadenflechtwerk bzw. als Stickerei: Im Vergleich fällt natürlich auf, dass Chiraru Shiota – und auch hier und da Tabaimo – grundverschieden mit dem Faden als plastischem Element umgeht, während Thieles Fäden in den figurativen Motiven im schimmernd-schillernden Organzagewebe auf- oder besser eingehen. So poetisch sich die anderen Arbeiten geben, so sind die ihren eher prosaisch – auch das kann der Oberfläche eine spektakuläre Materialität verleihen.