Botticelli für Einsteiger: Passend zur Ausstellung »The Botticelli Renaissance« in der Gemäldegalerie Berlin veröffentlicht Thomas R. Hoffmann im Belser Verlag seine kleine feine Publikation im handlichen Format. Ideal zum Eintauchen in ein Kapitel der ganz großen Kunstgeschichte. Ulrike Schuster hat genau das getan.
Hoffmann ist Historiker und Kunsthistoriker und hat sich bereits seit geraumer Zeit auf das Gebiet der Kunstvermittlung spezialisiert. Er wirkt an der Kinderakademie der Staatlichen Museen zu Berlin, veranstaltet Kunstdetektivreisen für Kinder durch die Sammlungen Berlins und ist Verfasser von mittlerweile einer ganzen Reihe von kunsthistorischen Büchern zu klassischen und modernen Themen der Kunst. Alle mit Blickrichtung auf ein junges Publikum, dem er die Kunstgeschichte in heutiger Sprache näherbringen will. Angesichts der unterhaltsamen und anregenden Aufbereitung seines jüngsten Streiches, der Botticelli-Monographie, wünscht man dem Autor, dass er den eingeschlagenen Weg weiterverfolgt und dass ihm noch zahlreiche Fortsetzungen gelingen!
Seine Stärke ist die kurze und dennoch äußerst kompetente Darstellung. Inhaltlich konzentriert er sich auf einige wenige Hauptwerke Botticellis und stellt sie in einen Dialog der Epochen, wobei er dem Konzept der Berliner Ausstellung folgt. Doch die Klammer zwischen Gestern und Heute funktioniert hervorragend: Nicht nur die Malerei Botticellis ist zeitlos faszinierend. Auch die auf seinen Spuren wandelnden Künstlerinnen und Künstler haben Brisantes vorzubringen.
Den Anfang macht Jeff Koons. Er entwarf 2013 das Cover für Lady Gagas Album »ARTPO« wo Bildsplitter der weltberühmten Venus im Hintergrund schwingen, die alte und die neue Ikone ineinander verschränken. Cindy Sherman posierte nach einem mutmaßlichen Porträt der Simonetta Vespucci, mit üppiger Kunststoffperücke und entblößtem Silikonbusen. Radikale Anti-Ästhetik bestimmt auch die Bildschöpfung von David LaChapelle, der ein erfolgreicher Modefotograf war, bis er 2006 aus dem Business ausstieg. Seine Neuinterpretation des Gemäldes »Venus und der schlafende Mars« ist nachgerade verstörend, steht sie doch für die Zerstörung Afrikas durch die Auswirkungen von Kolonialismus und Globalisierung: In der Rolle einer schwarzen Venus thront Naomi Champell. Mars schlummert auf Bergen von goldenem Kriegsgerät, während anstelle von Putti kleine Kindersoldaten mit modernen Waffen spielen. Unglaublich aber wahr: nichts davon wurde durch Nachbearbeitung mit Photoshop in die opulente Komposition eingefügt, alles geschah im Rahmen eines Sets im Studio.
Eigentlich waren es die Präraffaeliten, die Botticelli im 19. Jahrhundert wiederentdeckten. Es mag verblüffen angesichts des heutigen Bekanntheitsgrads des Malers, doch Botticelli war bis dato über die Jahrhunderte hinweg in der Versenkung verschwunden. Zwar zeitlebens hochgeschätzt, liefen ihm in seiner Heimatstadt wohl die nachdrängenden Superstars wie Michelangelo und Leonardo da Vinci den Rang ab. Eine schlechte Presse bei Vasari tat ihr übriges – bis die jungen Engländer kamen und die Qualität der vermeintlichen Schlichtheit im Werk des Florentiners erkannten.
Bald schon wurde Botticelli zu einem der wichtigsten Ideenlieferanten der frühen Moderne. Seine reduzierte Formensprache übte eine starke Anziehungskraft auf die Symbolisten aus. Der schnörkellose Realismus inspirierte die Neue Sachlichkeit. Wilhelm Lachnit malte mit seinem Bild »Der traurige Frühling« eine Paraphrase der Flora aus »La Primavera«. Seine Allegorie steht jedoch für die düsteren Vorahnungen im Frühjahr 1933, die bevorstehende Katastrophe und die unter der Nazi-Herrschaft eingeleiteten Säuberungsaktionen in der modernen Kunst, deren Auswirkungen der politisch engagierte Künstler bald schon am eigenen Leib zu spüren bekam. Mit seinem Gemälde, so Hoffmann, habe Lachnit die unheilvolle Zeitenwende exemplarisch für eine ganze Malergeneration personifiziert und mit seiner traurigen Gestalt ein zeitgenössisches Stimmungsbild vieler Intellektueller geschaffen.
In einer Anthologie wie dieser darf natürlich keinesfalls der berühmteste aller Botticellis fehlen. »Die Geburt der Venus« inspirierte Künstler immer wieder aufs Neue, jede Generation schuf ihre eigene Antwort auf sie. Jean Auguste Dominique Ingres machte aus der zentralen Figur den Inbegriff der Quellennymphe. Arnold Böcklin vergaß angesichts ihrer überwältigenden Schönheit seine düsteren, melancholischen Stimmungen. Ebenso originell wie sinnfällig ist die Pop-Art Interpretation von Alain Jacquet von 1963/64. Dessen Venusfigur ist eingeschrieben in die Zapfsäule einer Shell-Tankstelle, die alte Mythologie verschmilzt mit der zeitgemäßen, dem Kult um das Statusobjekt Auto. Unvollständig wäre ein jeder Überblick schließlich ohne Verweis auf Andy Warhol. Dessen Venus steht in einer Galerie der Warhol’schen Stars, Seite an Seite mit Marilyn Monroe, Liz Taylor oder Ingrid Bergmann. So wird aus der Personifikation der italienischen Renaissance endgültig eine Ikone der Moderne.
Das Spiel auf der Klaviatur der Epochen beherrscht Hoffmann meisterhaft. Der Blick auf den Altmeister der Renaissance ist niemals nostalgisch oder beschaulich, sondern kritisch und offen, mit viel Gespür für zeitgenössische Positionen. Seine Auswahl behandelt nur einen Ausschnitt der Fülle von Exponaten, die in der aktuellen Ausstellung zu sehen sind. Diese jedoch sind klug gewählt und erfahren eine profunde Erläuterung. Deshalb bietet sich »Botticelli forever« mit seiner gut fassbaren, optisch ansprechenden und wunderbar übersichtlichen Darstellung in vielerlei Hinsicht an: zur Einstimmung oder zur Nachlektüre, zum Kennenlernen des Altmeisters oder für eine äußerst gelungenen Begegnung Werken mit der zeitgenössischen Kunst.